Leben in Bayern

Florian Pichler (l.) und Luca Distler können sich vor Aufträgen kaum retten. (Foto: Peters)

07.10.2011

Die zwei Bayern mit den Scherenhänden

Serie seltene Handwerksberufe (XII): Florian Pichler und Luca Distler betreiben im Chiemgau eine der deutschlandweit letzten Messer-Werkstätten

Es gab Zeiten, da war das Messer ein wertvoller, sehr persönlicher Gegenstand. Im Mittelalter zum Beispiel war es Waffe, Schneidewerkzeug sowie Teil des Essbestecks in einem und wurde stets bei sich getragen. Doch mit beginnender Industrialisierung verkam das Messer zu einem Objekt der Massenproduktion. Plötzlich gab es zwar gleichbleibende Qualität bei niedrigen Kosten, doch das Schneidewerkzeug wurde zu einem austauschbaren, wenig wertgeschätzten Gegenstand degradiert. Wer will heute schon Hunderte Euro für ein handgefertigtes Messer ausgeben, wenn es in jedem Kaufhaus schon für einen Fünfer ein ordentliches Schneidegerät zu kaufen gibt?
Und so verschwand mit dem individuellen Messer auch der althergebrachte Handwerksberuf des Messerschmieds zusehends von der Bildfläche. Doch es gibt sie noch, die harten Jungs, die stundenlang an der feuerheißen Esse stehen und Stahl erhitzen, um ihn dann auf dem Amboss mit einem Hammer zu formen und zu bearbeiten. Viele sind es nicht, eine Handvoll in Bayern, die davon leben können. Fast 3000 Euro für ein Messer
Dreckige Arbeit ist das, doch dafür ist jedes Messer ein Unikat – wunderschön in den Augen des Kenners. Und ist es aus Damaszenerstahl gefertigt, sogar wunderschön in den Augen eines Laien. Denn jede Klinge hat ein individuelles, unverwechselbares Muster, das in vielerlei Grautönen changiert, je nachdem, wie viele Sorten unterschiedlichen Stahls verwendet wurden.
In Aschau im Chiemgau kann man Florian Pichler und Luca Distler in ihrem „Messer Werk“ bei der Produktion von Damaszenerstahlklingen über die Schulter schauen. Die beiden sind um die 30 und kennen sich schon aus der Schulzeit. Zunächst hatten sie gar nichts mit Schneidewerkzeugen am Hut, der eine wurde Kunstschmied, der andere Zahntechniker.
Doch dann begann Distler mit Klingen zu experimentieren. Was ihn faszinierte? „Die Verbindung von Werkzeug und Kunstobjekt“, erzählt er. Und er steckte mit seiner Begeisterung auch seinen Spezl Florian an, der in dem Hobby die Genauigkeit seines Handwerks als Zahntechniker wiedererkannte.
Und so bastelten die beiden an ihren ersten Messern herum, erst für Freunde – und die waren begeistert. „Die ersten Messer waren nicht schön, aber unglaublich scharf“, schmunzelt Luca. Ein gutes Messer soll nämlich nicht schneiden, wenn man es über das Schnittgut schiebt oder zieht, sondern mühelos hindurchgleiten wie eine Rasierklinge. Pichler und Distler probierten weiter, es wurden Bücher gewälzt und mit verschiedenen Griffmaterialien wie Holz, Perlmutt oder Elfenbein herumexperimentiert. Die Messer wurden noch besser und formschöner, erste Ausstellungen folgten.
Doch noch nahmen die beiden ihr Hobby nicht allzu ernst, es war für sie eine Feierabendbeschäftigung. Interessenten gaben sie ihre private Mobilnummer. Doch irgendwann stand das Handy nicht mehr still – die Aufträge häuften sich. Und so gründeten die beiden jungen Männer 2004 mit Anfang Zwanzig ihre gemeinsame Firma und pachteten eine 200 Jahre alte Schmiede in Aschau, in der seither Tradition und Moderne aufeinandertreffen.
Florian Pichler und Luca Distler haben sich inzwischen einen Ruf unter den Messerliebhabern erarbeitet. Ihr Privathandy von damals haben sie aus Gründen der Kontinuität zum Firmentelefon gemacht, man kann das „Messer Werk“ nur mobil erreichen. Ein Zeichen dafür, wie sehr sie von ihrem Erfolg überrascht wurden.
Die Kunden sind Jäger und Sammler, Profiköche, aber auch einfache Hausfrauen, die sich nicht mehr mit stumpfen Küchenmessern herumärgern wollen. Dafür blättern sie ohne mit der Wimper zu zucken bis zu 650 Euro hin. Je nach Größe, Material und Design können aber auch mal 2900 Euro auf dem Preisschild stehen, wie bei dem Drachenkopfmesser, einem Entwurf von Distler.
Es war ein ausgefallenes Fantasymesser, dessen Griff einen Bronze-Drachen darstellte und das jetzt bei einem Sammler in der Vitrine steht. „Wir arbeiten zwar auf Bestellung, aber jedes Messer ist unser Entwurf“, versichert Pichler. Die beiden sehen sich eher als Künstler denn als Handwerker.
An jedem Messer sitzen sie zwischen zwei und fünf Tage, alleine das Schmieden einer Klinge dauert bis zu fünf Stunden und ist die Spezialität von Kunstschmied Distler. Woher der Damaszenerstahl seinen Namen hat, ist unklar. Den Ursprung der Technik dieses Verbundstahls wähnen einige Quellen in Indien, andere glauben, dass die syrische Hauptstadt Damaskus einst eine Hochburg der Schmiedekunst war. Sicher scheint jedoch, dass auch im Europa früherer Zeiten das Damaszieren von Stahl üblich war und in der Waffenproduktion eingesetzt wurde.
Das Besondere am Damaststahl ist nämlich, dass er aus mehreren verschiedenen Stahlsorten besteht, die verschiedene Eigenschaften besitzen. Ist der Stahl sehr hart, schneidet er zwar gut, bricht aber auch leicht ab. Ist er eher weich, wird er durch die Flexibilität haltbarer – aber bei Gebrauch schnell stumpf. Durch die Kombination drei bis sieben verschieden harter Stähle, die in Platten aufeinandergeschweißt, plattgehauen und bis zu zehnmal wieder gefaltet und behauen werden, entsteht eine einzigartige Klinge. Eine solche Qualitätsklinge bewahrt sehr lange ihre Schärfe – zumindest, wenn sie richtig gepflegt wird.
Jede Klinge hat ihre eigene Charakteristik
Das Benutzen einer Spülmaschine ist tabu. Ab und zu muss das Messer allerdings geölt werden, damit es nicht rostet. Das einzigartige Muster entsteht übrigens erst durch das Ätzen in Säure: Die verschiedenen Schichten verfärben sich je nach Kohlenstoffanteil beziehungsweise Legierung hell und dunkel. So erhält jede Klinge ihre eigene Charakteristik, die auch durch Schleifen oder Polieren nicht verschwindet.
Die beiden jungen Männer brennen für ihren Beruf, das sieht man ihnen an. Besonders stolz sind die Messermacher auf ihre qualifizierte Fachberatung. Denn jeder Kunde hat andere Anforderungen, Härte und Zähigkeit eines Messers müssen auf den jeweiligen Verwendungszweck abgestimmt sein. „Neulich war ein Fischer bei uns, der wollte seinen Teich sauber machen und musste deshalb innerhalb kurzer Zeit Hunderte Fische ausnehmen, da braucht er ein Messer, das lange seine Schärfe behält“, erzählt Florian Pichler. Und so bekam er ein Fischermesser aus besonders hartem Gebrauchsdamast mit einer breiten Klinge.
Und dann gibt es die Sammler, für die es weniger auf die Schnitteigenschaften ankommt, denn ihre Messer werden niemals in Gebrauch genommen. Sie müssen nur gut aussehen.
Trotzdem legen die beiden Stahlhandwerker großen Wert darauf, dass die Objekte auch funktionstüchtig sind. Deshalb verzichten sie auf den Gebrauch so genannten Zierdamasts, der zwar besonders ausgeprägte und kontrastreiche Muster erzeugt, aber nicht sonderlich schnitttauglich ist.
„Das Schönste für uns Messermacher ist zu beobachten, wie die Augen vieler Menschen beim Betrachten einer Damaszenerklinge zu leuchten beginnen“, schwärmen Luca Distler und Florian Pichler. Und so ganz nebenbei helfen sie mit ihrer Werkstatt, eine traditionelle Handwerkskunst am Leben zu erhalten. (Gabi Peters)

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