Aus den Kirchenbänken haben sie einen Meter herausgesägt. Noch sind die so verkürzten Sitzmöbel im Innenraum der Evangeliumskirche im Münchner Stadtgebiet Hasenbergl aufeinandergestapelt, bald aber sollen hier die Gemeindemitglieder zur Kircheneröffnung sitzen. Denn die Kirche im Norden der Landeshauptstadt wurde umgebaut, genauer gesagt zurückgebaut. Hatten vorher 400 Personen im Kirchenschiff Platz gefunden, passen jetzt noch 250 hinein. Der Sakralraum wurde um zwei Fünftel verkleinert, neu hinzugekommen sind Räume für verschiedene Nutzungen. „Der Umbau war wegen des Strukturwandels notwendig“, sagt Dekan Felix Reuter.
Erbaut wurde die Evangeliumskirche 1962. In dieser Zeit wurde das Neubauviertel am Stadtrand aus dem Boden gestampft, es entstanden Tausende Wohnungen im sozialen Wohnungsbau. Denn die Nachfrage im Nachkriegsdeutschland war enorm, die Menschen zogen aus den unsanierten Altbauten ohne Bad und moderne Heizung in der Stadtmitte hinaus in die neuen Wohnviertel mit Licht und Luft und Grünflächen. Unter den neuen Bewohner*innen waren auch viele Flüchtlinge aus Schlesien – die in der Regel evangelisch waren.
„In den 1970er-Jahren“, erzählt Pfarrer Reuter, „hatte die Gemeinde hier 8000 Mitglieder.“ Heute sind es noch 1400. Im Winter wurde der Gottesdienst schon mal im Gemeindehaus abgehalten, die fast leere Kirche zu heizen, war zu teuer. Der Schrumpfungsprozess betrifft nicht nur die evangelische, sondern auch die katholische Kirche. „Zusammen haben wir im Viertel nur noch einen Anteil von höchstens 25 Prozent in der Bevölkerung, wir stellen nicht mehr die Mehrheit“, sagt der 46-Jährige.
Keine christliche Mehrheit mehr im Viertel
Eine Entwicklung, die nicht nur das Hasenbergl betrifft. In ganz München sind noch 25,9 Prozent der Menschen katholisch und 9,4 Prozent evangelisch. Das heißt, 64,8 Prozent der Bevölkerung – also fast zwei Drittel – gehören keiner oder einer anderen Religion an. Das macht sich natürlich auch bei den Kirchenbesuchen bemerkbar, viele Gottesdienste sind nur noch schwach besucht. In den für große Gemeinden erbauten Gotteshäusern gibt es viel Platz und immer weniger Gläubige. So gehörten 1990 noch 72 Prozent der Bevölkerung in Deutschland einer der beiden großen Volkskirchen an, 2019 waren es nur noch 52 Prozent.
Und der Schrumpfungsprozess geht weiter. Nach einer Studie der Universität Freiburg soll sich die Zahl der Kirchenmitglieder bis zum Jahr 2060 auf 31 Prozent der Bevölkerung reduzieren. Dem steht eine fast gleichbleibende Zahl von 40 000 sakralen Gebäuden in Deutschland gegenüber. Im Eigentum der evangelischen Kirche befinden sich davon 20 000, von denen 355 bereits eine dauerhafte Nutzungsänderung erfahren haben. Und 410 evangelische Kirchen wurden nach 1990 verkauft oder abgerissen, 560 aber neu gebaut oder nach Sanierungen wieder in Betrieb genommen. Eine ähnliche Situation bei den Katholiken: Von 2000 bis 2018 wurden 538 Kirchen aufgegeben, davon wurden 160 abgerissen und 142 verkauft. 49 Gotteshäuser wurden neu erbaut.
Ein Merkmal der sakralen Gebäude ist, dass die meisten unter Denkmalschutz stehen. So auch im Hasenbergl, die Evangeliumskirche wurde 2012 unter Denkmalschutz gestellt. Der Plan, sich das große Kirchenschiff mit der benachbarten Diakonie zu teilen, stieß zunächst auf große Bedenken der Denkmalschützer. Es fand sich schließlich doch eine Lösung.
Beim Rundgang mit Pfarrer Reuter zeigt dieser auf die Mauergitter in der Fassade der Kirche. Sie verdecken die dahinterliegenden Fenster der neuen Multifunktionsräume. Durch eine Seitentür betreten wir das Kirchenschiff. Seit fünf Jahren steht hier der Pfarrer vor dem Altar, sein erster Eindruck der Kirche von außen war damals „nicht so toll“, sagt er, dann aber hat ihn der Altarraum mit seinem „Glasmeer“ begeistert.
Denkmalschützer geben doch ihr Okay
Die Orgel in dem verkleinerten Kirchenraum ist noch mit Plastikplanen abgedeckt, es ist das alte Instrument, wurde aber von den Klangeigenschaften her an den jetzigen Raum angepasst. „Wichtig ist, der Charakter der Kirche bleibt erhalten“, so der Geistliche. Wir gehen durch die Glastür hinaus in das neue Foyer, hier wird gerade ein Tresen eingebaut. Eine Treppe führt hinauf in das Obergeschoss mit den Funktionsräumen, darüber befindet sich ein Versammlungsraum direkt unter dem Betonband der ursprünglichen Kirchendecke. „Man kann im Foyer die Gäste empfangen, in der Kirche heiraten und hier oben im Saal feiern“, erklärt Pfarrer Reuter die Konzeption.
Zwei Jahre hat der Umbau gedauert, der von demselben Architektenbüro durchgeführt wurde, das auch die Kirche seinerzeit erbaut hatte. Die Kosten belaufen sich auf 6,8 Millionen Euro. Dafür gibt es nun auch eine Bodenheizung und niemand bekommt mehr kalte Füße. Die Kirche am Hasenbergl ist nicht das einzige Gotteshaus in München, das mit dem Schrumpfen der Gemeinde kämpft. Auch in der Satellitenstadt Neuperlach wurde bei der Lätare-Kirche ein neuer Weg beschritten. In diesem Neubauviertel aus den 1970er-Jahren sind 60 Prozent der dort lebenden Menschen ohne christliche Religionszugehörigkeit, nur knapp 7 Prozent sind evangelisch.
Die Kirche hat ihr Angebot an die Gemeinde sehr erweitert, neben dem Seelsorgerischen gibt es dort ein Outdoorkino, ein Kirchencafé, Tanz, Grillabende, einen Posaunenchor, Gesang und einen Altenkreis. Allerdings fehlt ein Kirchturm, um die Botschaft unter die Leute zu bringen. Architekten haben nun ein Projekt vorgeschlagen, um Abhilfe zu schaffen.
Um die Sichtbarkeit der Kirche zu erhöhen, soll ein moderner Kirchturm errichtet werden: eine 25 Meter hohe Stahlkonstruktion mit farbigen Lichtern in Orange und Hellblau. Christliche Symbole sollen für kirchliche Angebote werben und andere Logos für weltliche Inhalte wie Kino, Musik und Kaffee. Das Ganze soll an die Reklametafeln in Las Vegas erinnern, ganz oben mit einem großen, leuchtenden Stern. Der Vorschlag wird jetzt diskutiert. (Rudolf Stumberger)
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