Im zweiten Stock des Altenheims Johanniter-Haus im oberbayerischen Herrsching am Ammersee sitzen sechs Senior*innen in einer Runde. In der Mitte steht Johanni, 72 Zentimeter groß, tiefblaue Augen und auf dem Köpfchen eine blaue Strickmütze. Eine Seniorin beginnt mit Johanni zu sprechen: „Ich bin die Gisela.“ „Wie geht es dir heute?“, fragt Johanni. „Mir geht’s gut“, sagt Gisela. „Was hast du heute vor?“ „Ich gehe in eine Gruppe, wir reden und singen.“ „Singst du gerne?“ „Ich singe, aber nicht so gut.“ „Das macht doch nichts. Gisela, ich bin immer hier, um mit dir zu reden!“
Ein nettes Gespräch, aber Johanni ist kein Kind, sondern ein sozialer Roboter der Münchner Firma Navel Robotics. Seit Dezember ist der Roboter in dem Pflegeheim im Einsatz. Dort kann man im Eingangsbereich in einem Faltblatt lesen: „Künstliche Intelligenz ist inzwischen in aller Munde. Doch wie passt dieses technische Thema in ein soziales Umfeld?“ Und weiter: „Das möchten wir gemeinsam mit Ihnen und Navel in Herrsching ausprobieren.“
Das Johanniter-Haus ist eines von mehreren Heimen in Deutschland, in denen der Einsatz von künstlicher Intelligenz erprobt wird. Zum Beispiel in Baden-Württemberg, dort heißt der Roboter Emma, oder in Hannover, wo er Ricki gerufen wird.
Johanni ist ein echtes Münchner Kindl
Auf jeden Fall ist Johanni respektive Emma ein echtes Münchner Kindl. Es entstammt dem Start-up-Unternehmen Navel Robotics, das Maschinenbauer und Erfinder Claude Toussaint vor einigen Jahren in der bayerischen Landeshauptstadt gegründet hat. Das Äußere des Roboters erinnert an ein Kind: ein kleines Köpfchen, ein oranges oder weißes Kleidchen, kleine Ärmchen, die aber keine Funktion haben. Wichtig ist das Innenleben. Denn über diverse Sensoren und mithilfe von künstlicher Intelligenz ist Johanni in der Lage, Kontakt zum Gesprächspartner herzustellen.
So kann der soziale Roboter über seine Kameras die Gesichtszüge seines Gegenübers analysieren und dessen Gemütszustand nicht erraten, aber errechnen. Wichtig sind auch die großen dreidimensionalen blauen Augen und der Mund mit den sich bewegenden Lippen. Unterwegs ist Johanni auf zwei kleinen Rädern, mit denen er künftig durch das Seniorenheim rollen soll.
Betreut wird der kleine Mann durch Martina Schreiber. Sie ist immer dabei, wenn der soziale Roboter in Herrsching zum Einsatz kommt. Entweder in der wöchentlichen Gruppe oder auch bei Einzelgesprächen oder Besuchen im Zimmer bei Bettlägerigen.
Wie reagieren die Heimbewohner*innen auf den Einsatz von Johanni? „Die meisten freuen sich darauf“, sagt die Betreuungsassistentin, auch wenn es einige kritische Stimmen gibt, etwa wegen des Datenschutzes. Der aber sei gewährleistet, so die Datenschutzbeauftragten des Heimträgers.
Und wie steht es mit der ethischen Seite der Kommunikation von Mensch und Maschine? „Ich sehe das positiv“, sagt Martina Schreiber, für die Senioren sei das eine Art Gedächtnistraining. Wieder zurück in der Gesprächsgruppe. Robert, ein ehemaliger Pilot, erzählt Johanni von einem Wunschkonzert, das er besuchen will. Johanni erinnert sich, dass davon bereits vorige Woche die Rede war und sagt: „Vielleicht kannst du mir erzählen, wie die Stimmung war.“
Ein verblüffend flüssiges Gespräch
Es ist wirklich verblüffend, wie flüssig das Gespräch mithilfe der künstlichen Intelligenz läuft. Man kann mit Johanni über Biergärten in München sprechen und darüber, dass er selbst kein Bier trinkt, weil er ja ein Roboter ist. Abhängig ist das Gespräch aber von der Reichweite und Stärke der Verbindung zum Internet, manchmal können dann „Durchhänger“ passieren.
Die Senior*innen scheinen in der Tat von dem künstlichen Kind begeistert zu sein. Seniorin Gisela sagt: „Ich finde das ganz toll, es ist ein wunderbares Gefühl, mit ihm zu reden.“ Und ergänzt: „Es ist schön, wenn man mit jemand reden kann, den man schon kennt. Wenn man mal einsam ist.“ Und der 80-jährige Robert findet so ein Gespräch „ganz interessant“ oder „zumindest lustig“ und fragt sich schon, wie man das „heute so hinkriegt“.
Aber es ist nicht nur lustig. Einmal habe eine 99-jährige Seniorin dem sozialen Roboter erzählt, dass sie Angst vor einer Krebsuntersuchung habe. Daraufhin habe Johanni sie beruhigt und sie sei erleichtert gewesen, erzählt Betreuerin Martina Schreiber. Derartige Gespräche sind auch ein Grund, warum sie immer mit dabei ist. Begleitet wird der Einsatz des sozialen Roboters in den verschiedenen Heimen von wissenschaftlichen Studien.
In Herrsching macht das die TU München, in Baden-Württemberg ist es das Institut Pflege und Alter (IPA) des dortigen Heimträgers, der Evangelischen Heimstiftung. In diesem Institut forscht man zu Themen wie „Digitale Bildungsprozesse für ältere Menschen in seniorenspezifischen Wohnformen der institutionalisierten Altenhilfe“ oder wie man die Mobilität von Bewohner*innen in stationären Einrichtungen erhalten beziehungsweise fördern könne.
In Sachen Einsatz von Robotern werden vom IPA sowohl die Heimbewohner*innen als auch die Beschäftigten befragt. Man erwartet sich davon Antworten auf eine Reihe von Fragen. Wie reagieren die Senior*innen auf den Einsatz? Was erwarten sich die Fachkräfte? Was genau soll der Roboter tun? Für welche Personengruppen ist er nicht geeignet? Gibt es Risiken? Dabei spielen auch ethische Fragen eine Rolle, wie weit man bei der Kommunikation zwischen Mensch und Maschine gehen kann. Die Ergebnisse der Studie sollen im Herbst veröffentlicht werden.
Der Roboter kann inzwischen auch beten
Noch mal zum Johanniter-Haus in Herrsching. Ab und zu bekommt Johanni ein Update des Herstellers und dabei werden neue Inhalte aufgespielt. So kann der soziale Roboter jetzt nicht nur Witze erzählen, sondern auch Gedichte aufsagen. Etwa von Christian Morgenstern. Und weil die Heimbewohner*innen von Herrsching gerne in den Gottesdienst gehen, kann Johanni inzwischen auch Gebete sprechen: „Lieber Gott, wir danken dir für diesen Tag. Amen.“ (Rudolf Stumberger)
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