Leben in Bayern

Holte die Idee nach München: Jan Svensson. (Foto: Schneider)

31.05.2013

Ein Prosit auf den guten Zweck

Bier trinken und damit Gutes tun: In München wagt sich ein Social Business Start-Up mit einem Sozialbier auf den hart umkämpften Markt

Das bayerische Nationalgetränk kann mehr sein als Genuss oder der nächste Rausch: Das Sozialbier Quartiermeister erobert Münchner Kneipen, Gaststätten und Läden. Und der komplette Gewinn fließt in soziale und kulturelle Projekte der Nachbarschaft. Jan Svensson hat die Berliner Idee nach Bayern geholt und die kleine Privat-Brauerei Gut Forsting davon begeistern können. Späne fallen von einer alten Werkbank auf den Boden. Der Schraubstock ist abgegriffen, die Kanten von Kerben gezeichnet. An den Wänden lehnen Bretter mit verschiedenen Maserungen. Hobel, Feilen, Beitel und Hämmer stapeln sich in den Regalen. In der Werkstatt in einem Hinterhof am Münchner Ostbahnhof sieht es so aus, als würde die Zeit still stehen – wäre da nicht der Mark und Bein durchdringende Lärm einer Oberfräse. Rainer Wirth (44) führt das Elektrowerkzeug gekonnt über die Oberfläche des eingespannten Holzes.
Der promovierte Geisteswissenschaftler leitet die offene Werkstatt im Haus der Eigenarbeit. Sie ist ein Treffpunkt für Freunde des Selbermachens, die sich unter fachmännischer Beratung kreativ ausleben wollen. Und erst die Förderung durch eine soziale Initiative machte den Kauf der neuen Fräse möglich. Während nun einige Gäste  in den Ateliers mit Holz, Metall und Stoff werkeln, schauen ihnen andere lieber vom Café im Vorraum zu.
Aus diesem Café stammt auch ein Teil der Fördersumme. 774 Euro gingen im März an das Hauesder Eigenarbeit – quasi aus der Bierkasse: Im Kühlschrank stehen dort die bauchigen braunen Bierflaschen mit einem ungewöhnlich modernen Ettikett. Es zeigt ein weißes Q mit gelber Umrandung, aus dessen Mitte ein bärtiger, junger Mann mit Trachtenhut herauslugt, der auch als Hipster mit Traditionsbewusstsein durchgehen könnte. Um ihn herum steht der Schriftzug „Quartiermeister – Bier für München“. Früher war der Quartiermeister für das Wohl im Heereslager zuständig, heute will ein Social Business Start-Up, das das Bier vertreibt, an diese Tradition anknüpfen und Projekte in der Nachbarschaft fördern.
Das Bier ist eigentlich ein Gut Forsting Export Hell, wird nun aber auch als Quartiermeister verkauft. Ein Kasten mit 20 Flaschen à 0,5 Liter kostet derzeit 14,99 Euro im Laden. Davon gehen mindestens zwei Euro pro Kasten und damit zehn Cent pro Flasche an soziale und kulturelle Zwecke in dem Viertel, wo das Bier getrunken wurde. Der Gastronom selbst macht seinen normalen Schnitt. „Das Bier kostet zehn Cent mehr, aber die Gäste bezahlen das klaglos“, erzählt die Leiterin des Hauses der Eigenarbeit Elisabeth Redler (64). Seit Herbst schon ist das gesamte Sortiment im Café des Hauses für Eigenarbeit auf das Sozialbier Quartiermeister umgestellt.


Die Brauerei verkauft der Initiative das Bier günstiger


Dass das ungewöhnliche Konzept funktioniert, zeigt das Beispiel Berlin. Dort ist die Quartiermeister-Idee entstanden und binnen eines Jahres konnten 10 000 Euro an Projekte in der Stadt ausgeschüttet werden. Der Berliner Student Sebastian Jacob hatte die Idee, als er an seiner Examensarbeit saß. Er habe nach einem simplen Weg zur Nachhaltigkeit gesucht, wie man den Verbrauchern etwas zurückgeben kann, erklärt der Leiter des Münchner Ablegers der Initiative Jan Svensson (33). „Warum also nicht auch in München?“, habe er sich sofort gefragt. Denn das Prinzip ist bestechend einfach: Das Bier einer regionalen Brauerei wird in großen Mengen zu Sonderpreisen gekauft und neu etikettiert. Danach landet es in Bars und Kneipen. Privatpersonen können das Bier auch direkt in einigen ausgewählten Getränkemärkten beziehen. So hat das Non-Profit-Unternehmen Spielraum bei der Abrechnung und kann Geld abzweigen, das später in soziale Projekte fließen soll. Und die Leute haben  etwas von dem Geld, das sie in der Kneipe lassen.
„Letztlich haben wir sieben Privatbrauereien angeschrieben und sind von Brauerei zu Brauerei getingelt“, erzählt Svensson. Nach längerer Suche haben die Quartiermeister die kleine Privat-Brauerei Gut Forsting östlich von Ebersberg im Speckgürtel von München gefunden. Der mittelständische Betrieb im Landkreis Rosenheim wurde 1871 gegründet und ist seit 1916 eine Genossenschaftsbrauerei. Der Zehn-Mann-Betrieb war schließlich von der Idee begeistert. Der Verkaufspreis des Bieres sei so zwar deutlich niedriger, damit der Gewinn für den jeweiligen Zweck zusammenkommt, sagt Georg Lettl, geschäftsführender Vorstand von Gut Forsting über die Zusammenarbeit mit Quartiermeister: „Aber wir sind keine Samariter. Es gibt auch zwei Punkte für uns: Bekanntheitsgradsteigerung und Auslastung der Anlagen.“ So habe man schnell einen guten Draht zueinander gefunden.
Im Gegensatz zu Berlin, wo die Initiative in den Problembezirken Kreuzberg und Neukölln startete, gehen die Macher von Quartiermeister ihr Münchner Abenteuer gediegen an. Haidhausen, ehemals aufgrund seiner ärmlichen Verhältnisse als Glasscherbenviertel verschrien, ist schon lange eines der begehrtesten Viertel in München. Neben sanierten Altbauten befinden sich hier zahlreiche Bars, die Muffathalle und das Kulturzentrum Gasteig: „Das Lustige ist, das ich Haidhausen auf eine ganz andere Art kennengelernt habe und mit den Menschen in Kontakt gekommen bin“, sagt Svensson, der selbst dort lebt. Einer der ersten Abnehmer des Sozialbieres war schließlich die Kneipe Wiesengrund. Mittlerweile bekommt man das Quartiermeister-Bier in mehreren Lokalen in Haidhausen. „Es heißt immer München ist viel stärker brauereigebunden als Berlin. Aber das stimmt nicht“, erklärt Svensson. Die Leute wollten etwas Regionales trinken, das nicht von einer internationalen Großbrauerei kommt. Momentan seien schon 1000 Kästen im Umlauf.
Der Münchner Biermarkt ist hart umkämpft und auch was das soziale Engagement angeht, hat Svensson jede Menge Konkurrenz. Die meisten der über 600 Brauereien in Bayern seien sozial engagiert, sagt Walter König, Pressesprecher des Bayerischen Brauerbundes. „Wenn Sie mit offenen Augen durch München laufen, können Sie Brunnen, Plätze und Häuser sehen, die beispielsweise die Familie Pschorr gestiftet hat. Die waren als Kunstmäzene tätig.“ Andere Brauereien haben Stiftungen ins Leben gerufen oder zahlen in Fonds ein, bei denen Ausbildungsplätze gefördert werden. „Fast jede Brauerei macht etwas, weil man als Brauerei mit seinem Standort historisch verwachsen ist und die Gemeinschaft festigen will“, erklärt König. „Oft passiert soziales Engagement im sportlichen Bereich – und zwar nicht nur im Fußball – sowie bei Vereinen zum Erhalt von Kultur und Traditionen.“


Jedes Viertel bekommt einen eigenen Fördertopf


Die zu fördernden Projekte und Initiativen von Quartiermeister werden in Kooperation mit einem ehrenamtlichen, unabhängigen Beirat beschlossen. Darüber hinaus legen die Organisatoren im Internet offen, wie viel Quartiermeister getrunken, wie viel Gewinn realisiert und welche Projekte gefördert wurden. Auf ihrer Homepage können auch Vorschläge gemacht werden, wohin der Gewinn, der regelmäßig ausgeschüttet wird, fließen soll. Sobald in einem Stadtgebiet in einem Quartal ein Gewinn von mindestens 500 Euro erwirtschaftet werden kann, entsteht ein eigener Fördertopf für dieses Gebiet. Mittlerweile bezuschussen die Bierfreunde mehrere Projekte: Das Haus der Eigenarbeit ist nach dem Projekt-Laden International Haidhausen, der zweite Empfänger von Fördermitteln. Die Summe von 774 Euro stammt allein aus dem Bier-Verkauf im vierten Quartal 2012 in Haidhausen.
Weitere Töpfe in anderen Teilen der Stadt sind noch am Wachsen. Inzwischen verkauft auch ein Getränkemarkt in der Messestadt Riem das Sozialbier. Ob es Quartiermeister langfristig mit den sechs großen stadteigenen Brauereien Augustiner, Hofbräu, Hacker-Pschorr, Löwenbräu, Paulaner und Spaten, verschiedenen Münchner Mikrobrauereien und dem Tegernseer Hell, das sich in den vergangenen Jahren als siebtes Heimatbier etabliert hat, aufnehmen kann, wird sich zeigen. Letztendlich wird das auch der Geschmack entscheiden. (Andreas Schneider)

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