Leben in Bayern

Da ist der Kunde gleichzeitig auch Beschäftigter: Matthias arbeitet 3 Stunden im Monat im Food Hub in München mit. (Foto: Stumberger)

16.08.2024

Ein Supermarkt zum Mitmachen

In einem Münchner Lebensmittelgeschäft dürfen nur die Mitglieder einkaufen – sofern sie regelmäßig mitarbeiten

Rote Tomaten, grüne Gurken, weiße Rettiche: Matthias arbeitet gerne in der Gemüseabteilung. Das macht er nun schon seit zwei Jahren. Er radelt dann 20 Minuten von seiner Wohnung nahe der Hackerbrücke bis hierher in die Deisenhofener Straße 40 im Münchner Stadtteil Giesing. Zum „Food Hub“, einem „Mitmach-Supermarkt“. Den gibt es seit 2021 und die Genossenschaft hat mittlerweile 2400 Mitglieder. Die dürfen hier einkaufen, müssen aber dafür 3 Stunden im Monat mitarbeiten. So wie Matthias.

Wer den Supermarkt betritt, ist von der ruhigen und hellen Atmosphäre überrascht, die in dem Laden herrscht. Keine Schlangen an der Kasse, kein Gedudel über Lautsprecher und keine Hektik zwischen den Regalen. Die Butter kostet 2,99 Euro, die Milch 1,66 Euro und die unverpackten Erdnüsse 10 Euro das Kilo.

„Das ist sehr günstig“, sagt Matthias. Er arbeitet gerade seine drei Pflichtstunden im Laden ab, natürlich ist er auch Genosse. „Als Freiberufler kann ich mir meine Zeit einteilen“, erzählt der 49-Jährige, der beruflich mit Datenschutz zu tun hat. Meistens ist er in der Gemüseabteilung unterwegs, räumt die Salate und die Avokados ein, denn „Kasse ist nicht so mein Ding“. Es macht ihm Spaß, hier mit anzupacken, mit den Händen etwas zu tun und nicht nur immer vor dem Bildschirm zu sitzen.

Bio – aber günstiger als im Fachgeschäft

Einmal pro Woche kommt er nach Giesing, um seinen Einkauf zu machen. Warum ist er mit dabei im Mitmach-Supermarkt? „Man ist näher dran an der Lebensmittelproduktion“, sagt Matthias und außerdem fand er das Wirtschaftsmodell der Genossenschaft sehr interessant, das Konzept des Ladens hat ihn überzeugt.

Mit dem Konzept des Ladens zu tun hat auch Kristin Mansmann, sie ist einer der drei Vorstände der Genossenschaft. Die großgewachsene 51-Jährige ist Volkswirtin und Juristin und hat auch Erfahrung als Imkerin, das Kaufmännische hat sie sich selbst beigebracht: „Man kann alles lernen“. Warum hat sie den Mitmach-Supermarkt mitbegründet? „Wir wollen Handel anders machen“, lautet die Antwort. Anders als die Handelsriesen und Supermarktketten, die oft den Produzenten die Preise diktieren.

„Wir knechten unsere Lieferanten nicht“, sagt Kristin Mansmann. Sondern die Genossenschaft ermöglicht auch kleinen Lieferanten den Zugang zum Markt, der ansonsten – abgesehen vom Hofverkauf – schwierig wäre. 99 Prozent aller Produkte im Laden sind Bioprodukte, und – darauf legt die Vorständin wert – sie seien ein Fünftel günstiger als in vergleichbaren Bioläden.

Auf die eingekauften Waren wird ein einheitlicher Aufschlag von 30 Prozent erhoben, die Preisgestaltung ist so für jeden erkennbar. Andere Supermärkte schlagen schon mal bis zu 80 Prozent auf Obst und Gemüse drauf und machen dafür die Butter billiger. Der Supermarkt arbeitet nicht renditeorientiert und versteht sich als Beitrag zur ökologischen und gesellschaftlichen Veränderung, er wirbt mit der „Revolution im Einkaufswagen“. 

Vier Vollzeitkräfte gibt es inzwischen

„Wir sind überzeugt davon, dass wir jetzt aktiv handeln müssen, um nachfolgenden Generationen eine lebenswerte und gerechte Welt zu hinterlassen“, ist auf der Webseite der Genossenschaft zu lesen. Und: „Wir sind davon überzeugt, dass gemeinschaftsgetragenes Wirtschaften eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft spielt.“

Gestartet wurde die Genossenschaft mit 700 Mitgliedern, heute gibt es vier Vollzeitkräfte im Laden. Über ein Portal im Internet können sich die Genossen für ihre drei Pflichtstunden eintragen – und es gibt viel zu tun: im Verkauf, an den Kassen, beim Fahrdienst, beim Käseschneiden oder bei den anstehenden Reparaturen.

Und wie funktioniert die Verteilung der mehr als 7000 Arbeitsstunden pro Monat? „Es geht sich aus“, sagt Kristin Mansmann. Freikaufen kann man sich aus der Verpflichtung übrigens nicht. Das Stadtviertel hat man wegen seiner Größe ausgewählt und weil die Bevölkerung hier auch sozial gemischt sei. Und man habe viel „Kundschaft“ beziehungsweise Mitglieder aus Frankreich, denn die würden das Konzept schon aus ihrer Heimat kennen. Dort gibt es bereits über 25 solcher Projekte wie hier in der Deisenhofener Straße, zum Beispiel das 2016 in Paris gegründete „La Louve“ mit heute zehn Festangestellten und 7700 Mitgliedern.

Lange Tradition von Konsumgenossenschaften

Auch in Deutschland gibt es in Berlin, Köln oder Hamburg derartige Initiativen. Der Mitmach-Supermarkt belebt die Idee der Konsumgenossenschaft neu, die es schon sehr lange gibt. So entstand in den 1970er-Jahren mit der co op AG ein riesiger Konzern mit 50 000 Mitarbeiter*innen in Form einer Aktiengesellschaft, in der die meisten regionalen Genossenschaften in der Bundesrepublik aufgegangen waren. Die Aktien wurden von den Gewerkschaften gehalten. Die co op ging Ende der 1980er-Jahre im sogenannten co-op-Skandal um die Machenschaften der Vorstände unter.

Erfolgreicher ist die Migros der Schweiz, ein Verbund von Genossenschaften mit 2,3 Millionen Mitgliedern. Die Migro-Läden setzten schon früh auf hochwertige Lebensmittel und sie investieren in soziale Bereiche wie der Bildung der Beschäftigten. Der Mitmach-Supermarkt in München steht also in einer langen Tradition an Konsumgenossenschaften, was ihn zum Beispiel von Migros unterscheidet sind die Pflichtarbeitsstunden und dass der Laden nur für Mitglieder geöffnet ist. (Rudolf Stumberger)

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