Leben in Bayern

Sie können es kaum erwarten: Die Kinder von Endayesus freuen sich auf ihre neue Schule. (Foto: Rudolf Stumberger)

03.05.2019

Endlich ein Klassenzimmer!

Obermenzinger Schüler haben eine Grundschule in Äthiopien geplant – der erste Bauabschnitt ist schon fast geschafft

In dem kleinen nordäthiopischen Dorf Endayesus findet der Unterricht im Freien unter Bäumen statt. In der Regenzeit fällt er deshalb oft aus. Noch. Denn eine Projektgruppe am Gymnasium im Münchner Stadtteil Obermenzing hat für eine Schulgebäude nicht nur Geld gesammelt, sondern es im Rahmen des Unterrichts auch selbst geplant. Aktuell wird es mithilfe eines Nürnberger Vereins gebaut.

Der Weg aus der nordäthiopischen Stadt Axum hinaus ins kleine Dorf Endayesus ist weit. Die blauen Bajajs – dreirädrige Motorroller aus Indien – knattern die Staubpiste entlang. Die Landschaft ist trocken und kahl – vereinzelt stehen Sträucher und Kakteen am Rand. Doch dann wird die Piste wegen der Steine unpassierbar. „Gehen wir halt zu Fuß“, sagt Marcel Heuer.

Dass Heuer sich auf den weiten Weg von Nürnberg in das afrikanische Land aufgemacht hat, liegt an zehn Münchner Schülern. Sie haben in Endayesus im Norden Äthiopiens eine Grundschule geplant. In einem Projektseminar am privaten Obermenzinger Gymnasium. Der 52-jährige Heuer ist Vorsitzender des Nürnberger Vereins „Hawelti e.V.“, der das bemerkenswerte Vorhaben unterstützt. Denn dass helfen nicht immer einfach ist, mussten die Gymnasiasten schnell erfahren.

Ein Klo gibt es nicht – die Kinder gehen in die Büsche

Nach ein paar Gehminuten ist Endayesus erreicht. Auf einem großen, staubigen Platz tummeln sich etliche Kinder. Dahinter sind ein paar Lehmhütten zu sehen. Kaum haben die Kinder Heuer erblickt, stürmen sie auf ihn zu und umringen ihn. Es sind die Schüler der Baumschule des Dorfs. Die Grundschule heißt so, weil es kein Schulgebäude gibt. Der Unterricht findet im Schatten von Bäumen statt. Ohne Stühle, Bänke, Toiletten und fließendes Wasser.

Genau das aber soll sich ändern. Vier Klassenräume, ein Lehrerzimmer und ein überdachter Gruppenraum sind geplant. Der Rohbau steht bereits. Die Bodenplatte ist aus Beton und Arbeiter bringen die letzten Verschalungen für die Wände an. „Das geht ja schneller voran, als ich gedacht habe“, freut sich Heuer. Die Obermenzinger Gymnasiasten haben sich die Konstruktion ausgedacht. Gemeinsam mit ihrem Physiklehrer Thomas Schmalschläger.

Alles begann mit einem Physik-Projektseminar im September 2017. Der 64-jährige Schmalschläger fragte sich angesichts der vielen Flüchtlinge, die 2015 in München ankamen: Wäre es nicht sinnvoll, den Leuten in ihrer Heimat zu helfen, nicht erst, wenn sie vor der Tür stehen? Die Schüler waren von der Idee begeistert, Entwicklungshilfe ganz konkret anzugehen. Sie planten ein kleines Schulgebäude und lernten, wie man klimagerecht baut. So hat die zukünftige Schule ein doppeltes Dach, damit die Luft zirkulieren kann und die Klassenräume nicht aufgeheizt werden.

Doch als die Schüler dann beschlossen, das Gebäude auch wirklich zu bauen, begannen die Schwierigkeiten. Geklärt werden musste nicht nur die Frage, wo die neue Schule stehen sollte. Auch die Finanzierung war eine Hürde. Die Schüler schrieben einige Botschaften verschiedener Länder an, eine Antwort bekamen sie nicht. Doch dann fanden sie Unterstützung durch den Nürnberger Verein Hawelti. Der hatte bereits Erfahrungen in Sachen Hilfen für Schule in Äthiopien So hatte der Verein 2011 für eine Schule in Hawelti, einem armen Stadtteil von Axum, bereits ein Toilettenhäuschen gebaut. 2017 kamen eine Schulküche und ein Speisesaal für 500 Kinder hinzu. Zwei große Regenwasserzisternen versorgen die Schüler zudem mit Trinkwasser.

In Endayesus ist die Mittagspause nun vorbei und die Schüler sitzen wieder im Schatten der Bäume. Englisch steht auf dem Stundenplan. Wie notwendig ein Schulgebäude ist, erläutert derweil Schuldirektor Alikedimos Abraha. „Wenn in der Regenzeit der Regen kommt, fällt die Schule aus“, erklärt der 42-Jährige. „Wenn die Kinder aufs Klo müssen, gehen sie in die Büsche.“ Stühle und Bänke gibt es nicht, der Unterricht findet am Boden statt. „Wir sind sehr froh, wenn wir bald ein Schulgebäude haben“, sagt Abraha. Sechs Lehrer unterrichten in Endayesus 107 Grundschüler. Sie kommen aus der ganzen Gegend und müssen oft lange Wege gehen. Eine der Schülerinnen ist Fiyer Migusse. Die Elfjährige hat immerhin einen Schulweg von einer halben Stunde. „Aber“, sagt sie, während hinter ihr eine Kuh vorbeitrottet, „ich gehe gerne zur Schule.“

Marcel Heuer sieht sich währenddessen zusammen mit einem Ingenieur die Baustelle an. „Eines der großen Probleme ist die Wasserversorgung“, sagt er. Zum Beispiel für das Anmischen des Betons. Mit den ersten zehntausend Euro, die die Münchner Schüler an Spendengeldern gesammelt hatten, war die Bodenplatte betoniert worden. Und es wurde Baumaterial gekauft. Die Eltern der Schüler von Endayesus formten in Eigenarbeit rund 6000 Ziegelsteine, die sie in der Sonne trocknen ließen. Aus ihnen sind inzwischen provisorische Klassenzimmer geworden, Äste dienen als Dach.

Die Eltern der Schüler haben die Ziegel selbst geformt

Ebenfalls ein großes Problem: die steigenden Kosten. Seit die Grenze zum Nachbarland Eritrea geöffnet ist, gibt es einen Bauboom. Die Preise etwa für den Sack Zement oder für Metallstangen stiegen dadurch immens. Und auch die Koordination der Bauarbeiten von Deutschland aus per Telefon ist nicht immer einfach. Also nahm sich Heuer – er arbeitet bei der Bundesagentur für Arbeit – frei, um vor Ort nach dem Rechten zu sehen.

Insgesamt 50 000 Euro wird das Schulgebäude in Endayesus kosten. Dank Spenden, die Schüler und Verein eingetrieben haben, ist die Finanzierung gesichert. „Der Bau könnte in zwei Monaten fertig sein“, ist Heuer optimistisch. Jetzt werden weitere Spenden gesammelt – für den nächsten Bauabschnitt. Dabei geht es um den Bau einer Toilette, die Stromerzeugung und ein weiteres kleineres Gebäude für eine Vorschule.

Der Münchner Physiklehrer Thomas Schmalschläger freut sich über den großen Erfolg der Arbeit seiner Schüler. „Am Anfang hätte ich nicht gedacht, dass wir das wirklich realisieren können“, sagt er im Rückblick. Und die Schüler selbst? Die sind gerade mitten drin im Abiturprüfungsstress. Sie selbst waren noch nicht in Äthiopien, wollen aber unbedingt mal hin.
(Rudolf Stumberger)

Bilder (Stumberger, privat):
Marcel Heuer vom Nürnberger Verein Hawelti begutachtet gemeinsam mit Schuldirektor Alikedimos Abraha die Baustelle.
Schüler des Obermenzinger Gymnasiums haben das Gebäude gemeinsam mit ihrem Physiklehrer Thomas Schmalschläger geplant.    

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