Leben in Bayern

Bitte einsteigen: Silvia Lombardero sticht unter den vielen männlichen Rikscha-Fahrern heraus. (Foto: Rudolf Stumberger)

27.05.2022

Endlich wieder ganz gut im Tritt

Silvia Lombardero (60) ist eine der wenigen Rikscha-Fahrerinnen in München – und froh, dass nach der Corona-Krise wieder die Tourist*innen zurück sind

60 Jahre alt und megafit: Silvia Lombardero fährt seit zehn Jahren mit ihrer Rikscha Gäste durch München. Doch die Pandemie hatte auch sie ausgebremst. Für die gebürtige Spanierin war Corona ein Desaster, verdient sie doch ihren Lebensunterhalt mit ihrem ungewöhnlichen Gefährt. Zum Glück sind die Tourist*innen zurück – für die Branche hat sich aber einiges verändert.

Beim Einstieg muss man etwas den Kopf einziehen, dann aber sitzt man gut. Vorne tritt Silvia Lombardero kräftig in die Pedale – und bewegt ihre Rikscha vom Münchner Marienplatz weg in Richtung Englischer Garten. Es schaukelt ein bisschen, wenn es über Schlaglöcher oder Trambahngleise geht. Lombarderos Gefährt hat zwar einen Elektromotor. Doch „es braucht schon noch Kraft“, betont sie. Die 60-Jährige ist eine der ganz wenigen Rikscha-Fahrerinnen in München. Und bei schönem Wetter ist sie bis zu sechs Tage die Woche mit ihrem Gefährt unterwegs.

Die gebürtige Spanierin hat in Argentinien und im spanischen Baskenland gelebt, vor gut 30 Jahren kam sie nach München. Und vor zehn Jahren begann sie mit dem Rikschafahren. „Heute morgen habe ich zwei Fotografen zum Olympiapark gefahren“, erzählt Lombardero, und „wenn es bergauf geht, muss man ganz schön reintreten“. Die sogenannten Pedelec-Elektromotoren gewähren nur eine Anfahrtsunterstützung von maximal sechs Stundenkilometer und eine Endgeschwindigkeit von höchstens 25 Kilometern pro Stunde. Doch Lombardero ist sportlich und fit. Sie hat früher Leichtathletik gemacht – 400 Meter Hürdenlauf – das kommt ihr jetzt bei ihrem Job zugute.

Wie andere Fahrer*innen auch mietet sie beim Rikscha-Unternehmen Lederhosen-Express ihr Fahrzeug und ist dann quasi als selbstständige Unternehmerin unterwegs. Dazu braucht sie von Amts wegen eine kostenpflichtige Reisegewerbekarte. Außerdem muss eine Haftpflichtversicherung vorhanden sein. Und die Einfahrt in den Englischen Garten kostet pro Jahr 200 Euro.

Bis zu zwölf Stunden am Tag sitzt sie auf dem Sattel

„Ich verdiene derzeit meinen Lebensunterhalt durch das Rikschafahren“ erklärt Lombardero. Das bedeutet für sie, im Sommer auch schon mal bis zu zwölf Stunden auf dem Fahrradsattel zu sitzen; aber auch im Winter wird ein paar Stunden gefahren, je nachdem, wie es das Wetter zulässt. Corona bescherte Lombardero allerdings eine harte Zeit. Ohne Touristen kein Geschäft.

Den Lederhosen-Express hat Maximilian Zwez 2012 zusammen mit seinem Zwillingsbruder Alexander gegründet. „Damals studierten wir auf den Wirtschaftsmaster und waren während eines Praktikums bei einer Bank nicht so richtig ausgelastet“, erinnert sich der 39-Jährige. Zwei Tage lang probierten die beiden Brüder das Rikschafahren aus, dann begannen sie, ihre Idee in die Tat umzusetzen. „Drei Wochen später hatten wir vier Dreiräder“, sagt Zwez. 2019 gehörten bereits an die 50 Räder zum Fuhrpark der Brüder. Doch dann kam Corona. „Das hat brutal reingehauen“, klagt der Unternehmer. Nicht nur weil die Tourist*innen fehlten, wie er erklärt. Eine der Haupteinnahmequellen des Rikscha-Unternehmens sind die Erlöse für die Werbeflächen auf den Rädern. Während der Krise aber strichen viele Firmen ihr Werbebudget zusammen. Und so sprangen den Brüdern während der Corona-Zeit viele Fahrer*innen ab. Sie orientieren sich beruflich neu, um über die Runden zu kommen. Und so sind derzeit Fahrer*innen eher Mangelware. 15 bis 20 Fahrer*innen arbeiten derzeit für den Lederhosen-Express, der heute noch 35 Rikschas betreibt.

Aber immerhin: Endlich sind die Gäste wieder da. Ertönt am Marienplatz das Glockenspiel des Rathauses, legen sie den Kopf in den Nacken und blicken nach oben. Ist das Glockenspiel vorbei, schlägt die Stunde der Rikscha-Fahrer*innen, die auf Kundschaft hoffen. An diesem Tag stehen sechs der Dreiräder in der Mittagsonne, die Fahrer*innen gucken in ihre Handys oder dösen.

Bei manchen Rikschas sitzt der Fahrer vorne, bei anderen hinter den Fahrgästen. Manche Räder sehen bunt und selbst gebastelt aus, andere sind moderner und auch wieder mit Werbeflächen versehen. Rikschas gibt es in München seit Ende der 1990er-Jahre. Als Kerngeschäft gelten touristische Stadtfahrten, aber das Gewerbe bedient auch die sogenannte „letzte Meile“ der Personenbeförderung, will heißen, kurze Fahrten zum Beispiel vom Hauptbahnhof zum Hotel in der Innenstadt.

Sie hat auch eine Ausbildung für Fahrten mit Älteren

Gefahren wird in der Regel in einem Umkreis von fünf Kilometern rund um den Marienplatz, feste Standplätze gibt es daneben zum Beispiel noch am Odeonsplatz, am Teehaus und am Chinesischen Turm im Englischen Garten. Auch während des Oktoberfests sind an der Wiesn feste Plätze eingerichtet. Anders als beim Taxistand können sich Fahrgäste ihre Rikscha aussuchen, es gibt keine Rangfolge. Und auch die Preise sind nicht einheitlich, jede Fahrerin und jeder Fahrer kann seine eigenen Preise frei gestalten. Sie sollten aber in einer Liste an der Rikscha einsehbar sein.

Silvia Lambardero verlangt zum Beispiel für eine einstündige Tour durch die Altstadt 64 Euro für zwei Personen. Sie hat aber auch einen Rikscha-Stadtführerkurs beim Touristenamt absolviert. „Ich kann jetzt über 800 Jahre Wittelsbacher erzählen“, sagt sie. Und hat eine Ausbildung als sogenannte Betreuungskraft. Damit ist sie speziell für Fahrten mit Senior*innen ausgebildet.

Der Kontakt mit ihren Passagieren ist Lambardero sehr wichtig, da gebe es doch „viele positive Erlebnisse“, sagt sie. Zum Beispiel mit dem jungen Mann und dessen Freundin vor acht Jahren. Sie fuhr das Pärchen quer durch den Englischen Garten, bis sie bei Sonnenuntergang an eine bestimmte Stelle kamen. Dort hatte der junge Mann einen Kreis aus brennenden Kerzen vorbereitet und in diesem seine Freundin gefragt, ob sie ihn heiraten wolle. „Ich glaube, sie hat ja gesagt“, erinnert sich die Rikscha-Fahrerin und lacht.
(Rudolf Stumberger)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.