Leben in Bayern

Der Bamberger Autor Martin Beyer mit Schülern des Clavius-Gymnasium in Bamberg. Für sein Bildungsprojekt "Märchenakademie" arbeitet er insbesondere mit Schulklassen in Form von Workshops zusammen. (Foto: dpa)

13.12.2016

"Energie des Unfugs"

Eine Reise tun und am Abenteuer lernen - dieses Motiv prägt viele Märchen. Der Bamberger Autor Martin Beyer will, dass Kinder mehr davon bekommen - auch digital

Ausgerechnet in einem alten Henkershaus wohnt der Märchenautor. "Gearbeitet hat der Henker wohl eher auf dem Marktplatz", sagt Martin Beyer. "Hoffentlich." Dem Grausamen muss er ja eigentlich etwas abgewinnen können, zumindest als Gegenpart zum Guten. Schließlich gehört der Kampf zwischen diesen Polen zu vielen Märchen. Autor Beyer aber will die vermeintlich klaren Grenzen zwischen Gut und Böse knacken - genau wie die des Märchenbuchs an sich. Respekt, Freundschaft, das sind die Werte, um die es Beyer geht. "Und ums Frechsein, ums Regelbrechen", sagt der bald 40-Jährige. "Die Energie des Unfugs ist sehr wichtig." Titus hat davon nicht so viel. Der Junge mit dem blonden Schopf ist ein guter Schüler, ein eifriger, mit besten Noten und höchsten Zielen. Nur, er denkt ein bisschen eindimensional: Wölfe sind bös', Märchen müssen gut ausgehen, Elfen sind zart und hilfsbereit, immer. Bis er die Elfe Rabea trifft. Beyer hat sich Titus und Rabea ausgedacht, für sein Kinderbuch "Titus und der verwunschene Wald". Darin trifft Titus nicht nur Rabea, sondern Schneewittchen, Dornröschen und andere Ikonen - nachdem sie nicht gestorben sind. Viele Exemplare des Märchens stapeln sich auf dem Treppenabsatz in dem Haus aus dem 18. Jahrhundert in Bamberg, wo der Autor lebt. Der promovierte Germanist vertreibt sie selbst. Ein Risiko - und ein Projekt, das mehr ist als ein Buch.

"Märchen geben Orientierung"

Denn die Figur Titus muss das Leben lernen, als Schüler der "Märchenakademie" - die es nicht nur im Kinderbuch gibt, sondern auch tatsächlich, in Schulklassen und Workshops. So heißt auch das Bildungsprojekt, das Beyer mit der Didaktik-Professorin Julia Knopf von der Universität des Saarlandes entwickelt hat. Es soll, flankiert von wissenschaftlicher Forschung, verschiedene Medien verbinden: das Buch, die Workshops mit Kindern, irgendwann eine App. Und einmal auch, das ist Beyers Traum, eine virtuelle Welt, in der man sich einen Avatar baut - und die "Märchenakademie" betreten kann, die Titus absolviert. Märchen, davon ist Beyer überzeugt, geben Orientierung. Deshalb fährt er mit seinem in die Schulen. "Wir lernen Leute über das Erzählen von Geschichten kennen, wir lernen Vertrauen über das Erzählen", sagt Beyer. "Das ist nicht erledigt. Deshalb wollen wir das fördern." In den Schulen nehme das Tempo immer mehr zu, Kinder müssten mehr schaffen in kürzerer Zeit. "Es gibt weniger Zeit zu spinnen." Sein Sohn ist drei und stellt sich dauernd in verschiedenen Welten vor. Sein Vater findet es wichtig, das zuzulassen. "Das ist eine Bühne, auf der sich junge Menschen ausprobieren können." Das sollen Kinder aus seiner Sicht ruhig auch an Tablets und mit Apps machen. Dabei probiert sich Beyer mit dem Projekt auch selbst aus.

Eindeutige Antworten gibt es in der Märchenakademie nicht

"Vielleicht ist es eine Neurose", sagt er und grinst, "aber ich kann gar nicht anders, als Geschichten zu erfinden." Er schreibt, seit er 17 oder 18 Jahre alt war. "Das mit Pädagogik zusammenzubringen, das hat mich wahnsinnig gereizt." Die "Märchenakademie" ist ein Abenteuer, eine Herausforderung - für Titus - und für Martin Beyer und Julia Knopf. "Manchmal sind da Selbstzweifel", sagt der Autor. Noch ist nicht klar, ob ihr Konzept richtig einschlägt. "Irgendwann muss ein ehrlicher Cut kommen: Gehen wir die digitale Entwicklung an oder nicht?" Die Entscheidung stehe im Frühjahr an. "Das ist eine gewisse Drucksituation." Man wächst an seinen Aufgaben. Wie Titus. Der ist kein Held, sondern angewiesen auf Rabea; die Elfe ist weniger zart als zupackend. Und der Wolf - ob er den beiden Böses will, bleibt offen. Und Noten sind gar nicht so wichtig. Aber: "Wir sagen das nicht mit der Moralkeule", sagt Beyer. "Sonst würden wir den Mechanismus selbst bedienen." Beyers Kinderbuch und das Projekt "Märchenakademie" leben davon, dass es keine eindeutigen Antworten gibt. Dass die Abenteuerreise gerade lehrreich wird. Dass sie nicht am Ende von anderen benotet wird, sondern dass Titus lernt, sich heranzuwagen an Dinge. Auch an solche, die vielleicht eine Nummer zu groß sind für ihn. (dpa)

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