Erst mal orientieren: Da vorne ist das Riesenrad, rechts das Schottenhamel-Festzelt – aber wo bitte schön ist der Breznstand, an dem ich meine erste kleine Aufgabe erledigen soll? Und noch viel wichtiger: Wie bewege ich mich überhaupt dorthin? Denn bei diesem Oktoberfest bringen einen nicht die eigenen Beine ans Ziel, man muss seinen Avatar, ein digitales Selbst, mit Controllern dorthin steuern. Die Controller, in jeder Hand einen, fungieren als Hände, beim Betätigen entsprechender Knöpfe dienen sie aber auch der Fortbewegung und helfen beim Drehen. Sehen und erleben kann man die Umgebung durch eine VR-Brille, die man trägt. So wähnt man sich tatsächlich mitten in einer Art Zeichentrick-Oktoberfest.
Oktoberfest – The Official Game nennt sich das Virtual-Reality-Spiel, das vom Münchner Studio K5 Factory entwickelt worden ist und zur diesjährigen Wiesneröffnung am 21. September erscheinen soll. „Wir arbeiten mit Hochtouren daran“, sagt Thomas Wagner, einer der beiden Geschäftsführer.
Taschen, T-Shirts und Sticker mit dem Logo des Spieles liegen quer über den Konferenztisch, an dem das Gespräch stattfindet, verteilt. Bis gestern waren sie noch bei der Gamescom in Köln, der größten deutschen Computerspielemesse, deswegen das Chaos, erklärt Oliver Simon, der andere Geschäftsführer, entschuldigend.
In den sozialen Netzwerken veröffentlichte Videos zeigen, dass das Spiel bei den Messebesucher*innen gut ankam. Am Stand von Games/Bavaria, der bayerischen Vertretung bei der Gamescom, konnte Oktoberfest ausgiebig ausprobiert werden. Der Freistaat ist offenbar auch überzeugt vom Erfolg des Spieles – immerhin war der Stand ganz im Stil des Oktoberfests dekoriert. Die Stadt München ist auch mit im Boot, sie hat die Erlaubnis gegeben, die Wiesn virtuell nachzubauen.
Natürlich tragen die virtuellen Gäste eine Tracht
So gibt es alles, was man im Spiel erleben kann, auch bei der echten Wiesn, und zwar auch exakt an der gleichen Stelle. Für das Spiel wurden die Abstände nur verkleinert, damit die Spielenden – natürlich in Tracht – nicht am Ende herumirren oder sich langweilen, weil sie zu viel Zeit für das Überwinden von Distanzen verwenden müssen.
Zurück in der virtuellen Welt. Das Gehirn muss sich erst einmal an das Tragen der VR-Brille gewöhnen. Denn während man sich im Spiel, in das man ganz eintaucht, vorwärtsbewegt, bleibt der echte Körper stehen. Das kann, gerade in Verbindung mit dem Schwenken des Kopfes, für Schwindel sorgen. Motion Sickness heißt der Fachbegriff dazu, sozusagen eine virtuelle Seekrankheit.
Also, erst einmal eine einfache Aufgabe: zum Breznstand, eine Breze kaufen, die man dann auch greifen und virtuell verspeisen kann. Das funktioniert ganz gut. Nur die Flasche Spezi fällt beim ersten Versuch, sie zu nehmen, aus der Hand. Aber macht ja nichts, hier muss niemand aufwischen. Das Rosenschießen an einem anderen Stand klappt auch nach einer Einweisung – ebenso wie das Kaufen eines Luftballons. In einem Festzelt kann man sich dann unter anderem als Bedienung verdingen, die den Gästen in einer vorgeschriebenen Zeit eine Maß oder ein Hendl bringen muss.
Mit einer Fahrt im Riesenrad verschafft man sich einen guten Überblick über das Gelände und bekommt schon einmal eine Ahnung, ob man den Effekt der schnelleren Fahrgeschäfte erträgt. Keine Probleme, und damit ist die Bahn frei für Freefall und Topspin. Kleiner Tipp: Wer sich schon auf der echten Wiesn nicht in diese Fahrgeschäfte traut, sollte es auch nicht im Spiel versuchen. Jedenfalls kann man auch auf dem virtuellen Oktoberfest erstaunlich viel erleben. Nur eines nicht: einen Alkoholrausch.
„Wir sind kein Trinkspiel“, sagt Geschäftsführer Wagner. Der einzige Rausch, den man erleben könne, sei ein kleiner Adrenalinrausch. Mit der Entwicklung des Spieles begann das Studio während der Corona-Pandemie – als das echte Oktoberfest pausieren musste. Als Ersatz sei das Spiel aber nie konzipiert worden, sondern als Ergänzung zum realen Erlebnis.
Die Idee, das Oktoberfest als VR-Reality-Spiel zu entwickeln, sei für die K5 Factory mit ihren 25 Beschäftigten eigentlich naheliegend gewesen, sagt Oktoberfest-Fan Wagner: „Wir sind ein Münchner Studio, wir haben das größte Volksfest vor der Nase. Eigentlich ist alles, was man auf dem Oktoberfest tun kann, physikbasiert. Und es gibt kein besseres Medium, Physik zu erleben, als Virtual Reality.“
Einen Alkoholrausch kann man nicht erleben
Zudem ist VR ein Wachstumsmarkt – auch wenn der große Hype um die Brillen von vor zehn Jahren vorbei ist. Wagner und Simon rechnen sich für ihr Spiel große Chancen aus, erfolgreich zu sein. Theoretisch kann man Oktoberfest weltweit herunterladen. Die Marketingmaßnahmen konzentrieren sich allerdings auf Europa mit Deutschland im Mittelpunkt und die USA, wo es ja auch Hunderte Oktoberfeste gibt. Das mit öffentlichen Mitteln geförderte Spiel ist free to play, also kostenlos, erhältlich. Man braucht nur zusätzlich eine VR-Brille. Einnahmen generiert die Firma über Zusatzinhalte im Spiel – etwa, wenn die Nutzer*innen für ihren Avatar eine bestimmte Kleidung auswählen wollen. Sponsoringeinnahmen gibt es noch keine. „Aber wir sind mit ganz vielen in Kontakt“, sagt Wagner. Erst einmal warten alle den Start des Spieles ab, dessen Entwicklung auch nach der ersten Veröffentlichung nicht abgeschlossen sein wird.
Je mehr Menschen bei dem Spiel mitmachen, desto interessanter wird es und desto mehr Erkenntnisse erhalten auch die Entwickler*innen. Denn der Clou ist, dass die Nutzer*innen untereinander agieren können, wie in einem sozialen Netzwerk oder – wenn man so will – wie bei einem echten Volksfest. Sie können miteinander reden, gemeinsam im Riesenrad fahren, sich im Festzelt verabreden – oder einfach etwas ganz anderes tun.
Auf einmal wird Stein-Schere-Papier gespielt
In der Testphase zeigte sich schon, wie beliebt die direkte Interaktion bei den virtuellen Oktoberfestgästen ist. „Das war schon eine Überraschung“, sagt Wagner. So spielten beispielsweise diejenigen, die sehr geübt im Umgang mit den Controllern waren, mit großer Leidenschaft miteinander Stein-Schere-Papier. „Und wir haben uns an viel aufwendigeren Dingen aufgerieben“, sagt Simon. Es ist nicht auszuschließen, dass die Spielveröffentlichung noch ganz andere Überraschungen bringen wird. (Thorsten Stark)
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