Es ist sieben Uhr am Morgen. Im Oberallgäuer Gunzesried hat der Tag längst begonnen. In den Ställen der Milchbauern werden bereits vor Sonnenaufgang die Tiere versorgt. Gut zwei Stunden später reiht sich Bauer für Bauer ein in die Schlange vor der kleinen Sennerei des Bergdorfes. 12 Bauern liefern ihre Milch ab. Zehn Liter, 40 Liter oder 220 Liter. Am Abend werden sie wiederkommen. 365 Tage im Jahr geht das so.
„Kühe geben immer Milch“, sagt Bauer Peter Haslach. Er kommt in kurzer Hose und barfuß. „Am Morgen bin ich immer ein wenig langsam“, gibt er zu. Er ist mit acht Kühen der kleinste Bauer in der Genossenschaft. „Hier werden keine großen Mengen verarbeitet“, sagt er. Die aber mit viel Handwerk, Verstand und Sinn für Qualität.
Die Sennerei Gunzesried ist die älteste durchgehend genossenschaftlich geführte Sennerei Bayerns. 32 Bauern haben die kleine Kooperative vor mehr als einem Jahrhundert gegründet. Zu ihren Hochzeiten versorgte sie 50 Bauern. Heute sind es noch 12.
Aus der Milch vom Vorabend und diesem Morgen produziert Sennmeister Benedikt Kaufmann zwölf Allgäuer Bergkäse. Jeder von ihnen bringt 30 Kilogramm auf die Waage. Seit vier Uhr morgens steht er in der Sennerei.
Im Jahr verarbeitet die Genossenschaft 1,3 Millionen Liter Milch zu Käse
Die Sonne blinzelt durch die voll verglaste neue Produktionshalle. 2015 haben die Gunzesrieder Bauern investiert. Rund zwei Millionen Euro für eine automatisierte und digitalisierte Käseproduktion. Ein Gespür für die Milch braucht der Senn dennoch. „Wir produzieren hier auch Rohmilchkäse wie Allgäuer Bergkäse und Emmentaler“, sagt Geschäftsführer Haslach. Das ist noch immer viel Handwerk, denn die Milch ist jeden Tag anders. Auch wenn die Milch von ganz unterschiedlichen Kühen kommt. Eines ist immer gleich: Es wird nur Heumilch verwendet. Genverändertes Kraftfutter ist tabu. Das schade dem Rohmilchkäse und der Qualität.
Bei der Sanierung haben die Milchbauern auch gleich ihre eigene kleine Energiewende vollbracht. Die Frage war: Wohin mit der Molke? Sie wird jetzt gereinigt und aufbereitet mit anaeroben Kulturen in
die Kanalisation abgelassen. Der Clou: Beim Reinigen entsteht Methan. „Ideal zum Heizen“, sagt Haslach. 80 Prozent der Energie für die Gunzesrieder Sennerei kommen aus dem Abfallprodukt Molke. „Im Sommer reicht das für die gesamte Anlage.“
Über das Jahr hinweg verarbeitet die Genossenschaft 1,3 Millionen Liter Milch zu Käse. 140 Tonnen Käse reifen im Sennkeller. Die 21 Käsesorten vermarkten die Bauern in Eigenregie. Dazu kommen Butter, Milch und Eis. Die Hälfte der Produktion wird direkt über die Ladentheke verkauft. Ein Teil wird während der Wintermonate auch online vertrieben. Die andere Hälfte liefern die Genossenschaftler an kleine Hotels und Gastronomen in der Region. Kein Großhändler zwackt wie so oft den Löwenanteil der Erträge ab. Sie fließen vollständig an die Bauern. Einzige Ausnahme ist eine ebenfalls regionale Supermarktkette mit rund 60 Filialen.
Auch der junge Bauer Wolfgang Weber gehört zur Kooperative. Er hat zwölf Kühe. Zuvor hatte er seine Milch an eine große Molkerei in Sonthofen geliefert. In sieben Jahren wechselte dort dreimal der Besitzer. Das war ihm „einfach zu unsicher“, sagt er. Und seine beiden Buben am Tisch im kleinen Gastraum neben dem Käseladen nicken auch schon verständnisvoll.
Die Familie von Webers Frau lebt seit 200 Jahren im Tal. Auch Webers Großvater kommt von hier. „Regionale Vermarktung ist auch eine Art Heimatgefühl“, sagt er. Die Genossenschaft sei wie eine große Gemeinschaft im Dorf, wo jeder dem anderen hilft. „Das ist gut für die Qualität des Käses und gut für das eigene Leben“, betont Weber.
Und noch eines hat Weber überzeugt: der stabile und faire Milchpreis. „Unser Ziel ist, den Preis gleich zu halten“, stimmt Haslach zu. „Nach Möglichkeit sollte er jedes Jahr leicht steigen.“ In den meisten Fällen gelingt das auch. Haslach spricht von Planungssicherheit für beide Seiten.
In Gunzesried kommt die Milch ausschließlich vom Allgäuer Braunvieh. Eine Rasse, die gut und viel Milch gibt. Die Tiere fressen Gras oder Heu. Nur hin und wieder wird das Futter mit zugekauften gentechnikfreien Getreideschroten ergänzt. Ein Biobetrieb sei man aber nicht, stellt Haslach klar. Zweimal habe man darüber nachgedacht, den Gedanken aber wieder verworfen. Wegen der Kosten. An der Zertifizierung verdienen andere kräftig mit. Und der Aufwand für den einzelnen Bauern sei einfach zu groß.
Für Weber änderte sich die Arbeit mit dem Eintritt in die Kooperative kaum. Dass er morgens und abends die Milch selber anliefern muss, sei in Ordnung. Auch für die 23-jährige Bäuerin Agnes Waibel und ihre Familie ist die Genossenschaft seit Generationen das beste Lebens- und Geschäftsmodell. „Was soll die Milch denn in Sonthofen?“, fragt sie. Die Wirtschaftskreisläufe und Erträge bleiben im Dorf. Auch die Älpler profitieren im Sommer von den Kühen der Bauern. Diejenigen, die keine eigene Alpe bewirtschaften, finden bei ihnen Platz für ihr Vieh. Jeder Bauer hat im Schnitt 18 Kühe. Der Größte rund 128 Kühe. der Kleinste acht. Ganz nebenbei bleibe so auch eine uralte Kulturlandschaft erhalten.
Das ganze Dorf lebt vom Käse. Das stiftet Identität. Und das garantiert Unabhängigkeit. „Wir leben nicht in unserem eigenen Universum“, sagt Haslach. „Aber auf unserem eigenen Planeten.“ Freilich spüren auch die Gunzesrieder Bauern Marktschwankungen. Im Einzelfall müsse man darauf reagieren. Im Großen und Ganzen aber sei man autark.
Rund 14 Mitarbeiter betreiben den Laden und die Verwaltung. Im Käsekeller widmet sich nun eine Aushilfe der mühsamen Arbeit des Käseschmierens. Jeder Laib wird gewendet und mit Salz abgerieben. 1300 Laibe in der Woche.
Bei Sennmeister Kaufmann laufen unterdessen die Käseharfen auf Hochtouren durch den Käsegalert. Bevor das Eiweiß-Fett- und Molkegemisch über die Abfüllanlage in die Käseformen unter der Presse fließt, wird die Masse „gebrannt“. Sie wird vorsichtig von 32 Grad auf 52 Grad Celsius erhitzt. Über Stunden und unter großem Druck wird die Molke aus dem Bruch gepresst. Die fertigen Käselaibe kommen zum Abschluss in ein Salzbad.
Die Salzlacke entzieht dem Käse den letzten Rest Feuchtigkeit. Gleichzeitig dringt das Salz in den Käse ein und gibt ihm Aroma. Ein wechselseitiger Prozess. Wie auch seit über 125 Jahren in der Genossenschaft. (Flora Jädicke)
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