Leben in Bayern

Ans Ufer kommen alle sicher – dafür sorgt Jason Charles persönlich. (Foto: Peters)

28.06.2013

Käpt'n Charles – der karibische Isarflößer

Vor zehn Jahren verliebte sich Jason Charles in Trinidad in eine Bayerin, folgte ihr an die Isar und gehört heute zu den besten Flößern

Schaut man in das Gesicht dieses Mannes, beginnt sofort der Film zu laufen. Man sieht weiße, palmengesäumte Sandstrände, hört die Wellen ans Ufer rollen und im Hintergrund die Steeldrums dengeln. Jason Charles lacht das typische, heisere südamerikanische Lachen, dabei blitzen die Zähne und wippen die Rastazöpfe. Alles passt ins Klischee, wären da nicht, weiter unten, die Shorts im Lederhosen-Look. Auch die Oktoberfest-Musik will nicht so recht passen und statt Palmen säumen Pappeln und Weiden das Ufer – immerhin, ein Ufer gibt es, aber die Isar versucht erst gar nicht, exotisch zu wirken. Mit oberbayerischer Gelassenheit fließt sie dahin. Und auf dem Floß, das Käpt’n Charles kommandiert, herrscht deutsche Disziplin. Mit knappen Anweisungen werden die beiden Flößerlehrlinge angeleitet, durch die einzig brenzelige Stelle zu navigieren, welche die Isar auf dem Abschnitt zwischen Wolfratshausen und München zu bieten hat: die Schnellen um den Georgenstein bei Grünwald; geht es doch darum, das Floß nicht allzu heftig mit dem Findling kollidieren zu lassen.
Karibisches Laisser-Faire wäre hier auch nicht angebracht, immerhin ist Jason Charles der Chef auf dem Floß und trägt damit die Verantwortung für bis zu 60 Personen, die auf den schwimmenden Baumstämmen mitfahren und die zu diesem Zeitpunkt, nach einigen Litern Bier, zum Teil ihre Seetüchtigkeit schon erheblich eingebüßt haben. Doch als Flößer ist der Mann aus Trinidad ein Anachronismus allererster Güte. Nicht nur, dass er kein Einheimischer ist – die Flößerei ist eigentlich fest in der Hand dreier Traditionsunternehmen aus Wolfratshausen und Umgebung. Mit seiner dunklen Hautfarbe und seinen Rastalocken sieht der 32-Jährige so unbayerisch aus, wie es nur möglich ist. Und auch wenn sich einige idiomtypische Redewendungen –„habe die Ehre“ – in seinen Sprachschatz eingebürgert habe, im Gespräch ist nicht zu überhören, dass Deutsch nicht Jasons Muttersprache ist. Wie kommt also dieser Mann in diese Gegend und zu diesem Job?


Irgendwann war auch der Schwiegervater überzeugt


Alles begann vor zehn Jahren mit einer Urlaubsliebe. Auf einer Ferienreise ins tropische Inselparadies Trinidad und Tobago vor der Küste Venezuelas verliebte sich die Tochter von Isarfloßfahrten-Betreiber Josef Seitner in den Hotelangestellten Jason. Beiden war es ernst – der Südamerikaner konnte ja nicht wissen, worauf er sich einlässt, als er beschloss, die Oberbayerin zu ehelichen und mit ihr in ihrer Heimat zu leben. „Am Anfang war es sehr schwer, ich war sehr einsam“, erzählt Jason. Er konnte kein Wort Deutsch. Doch dass der Begriff „Neger“ kein Kompliment ist, das fand er schnell heraus. Ebenso, dass der Ausspruch seinerseits „Du bist so streng wie Hitler“ nicht zur Verbesserung der zwischenmenschlichen Beziehungen beiträgt.
Auch Schwiegervater Josef Seitner brauchte einige Zeit, bis er akzeptierte, dass der Gatte seiner Tochter nicht gerade aussieht wie ein Model aus einem bayerischen Trachtenkatalog. Doch Jason hat sie alle um den Finger gewickelt, mit karibischem Charme, aber auch mit urdeutscher Zielstrebigkeit. Er lernte in Windeseile nicht nur Deutsch, sondern auch Bayerisch – so gut es geht. Und er krempelte die Ärmel hoch und packte mit an. Stand wie alle anderen im Sommer fast täglich um fünf Uhr morgens auf, wuchtete die fast 20 Meter langen Stämme durchs Wasser, trieb Holzstifte in die Balken. Studierte die Isar mit all ihren Tücken und erfreute die kräftig zahlende Kundschaft der Spaßfahrten mit Witzen und akrobatischen Einlagen.
„Ich kann halt gut mit Menschen umgehen“, antwortet Jason, wenn man ihn fragt, wie er es geschafft hat, in Oberbayern „anzukommen“. Dass er nicht nur sicher das Floß navigiert, sondern in ruhigen Momenten auch beim Catering mit anpackt und ältere, gehbehinderte Damen ans Ufer trägt, spricht sich herum. In der Gegend um Wolfratshausen ist Jason inzwischen eine Art Institution. Er scheint jeden zu kennen, grüßt Hinz und Kunz, schwatzt mit einem älteren Wanderpaar, frozzelt mit den Flößerkollegen, die ihn inzwischen behandeln wie ihresgleichen und seine Leistungen anerkennen. Ein Lehrling sagt über ihn: „Er ist einer der Besten“. Und die Mischung zwischen urbayerischer Flößertradition und karibischem Flair ist gut fürs Geschäft. Mit einem dunkelhäutigen Skipper in Lederhose die Isar entlang zu schippern – da hat man etwas zu erzählen, kommt man zum Beispiel, wie die Gruppe an diesem Tag, aus Frankfurt. Ist Jason gut drauf, macht er auch schon mal einen Handstand auf den schwankenden Balken oder steht mit den bierseligen Damen auf der Bank und tanzt Merengue. Aber nur in Maßen – „ist verboten“, sagt er verschmitzt, wenn Zugaben verlangt werden.
Diese Kombination aus Leichtigkeit und Disziplin hat den Schwiegervater schließlich überzeugt, „nach zwei Jahren“, so Jason. Selbst nachdem die Beziehung zur Tochter vor fünf Jahren auseinandergegangen war, blieb der Südamerikaner bei den Seitners, lebt inzwischen mit neuer Partnerin an der Floßlände in Wolfratshausen.


Bayerisch-karibisches Hotel in der Heimat geplant


Die Hoffnung des Seniors, dass der exotische Flößer einst sein Unternehmen weiterführt, scheint sich allerdings nicht zu erfüllen. Im Winter, wenn keine Saison ist, setzt sich Jason ins Flugzeug und fliegt in die Heimat – „zu kalt hier“, findet er. Dort baut er an einem eigenen Gästehaus, will mit der kuriosen Mischung aus Karibik und Bayern Urlauber anlocken. Doch auch wenn er die Lederhose, die er in seiner Heimat als Touristengag anzieht, abends wieder abstreifen kann – die deutschen Tugenden, die er in den zehn Jahren angenommen hat, wird er so leicht nicht wieder los. Wenn die Handwerker in seinem Ferienhaus nicht spuren, dann wird er weitaus deutlicher, als sie es von ihren Landsleuten gewohnt sind. Und, berichtet er schmunzelnd, „ich werde inzwischen echt grantig, wenn jemand unpünktlich ist“. In einigen Jahren wollen er und seine Freundin ganz nach Tobago ziehen. Jason glaubt nicht, dass er die Isar vermissen wird – so ein weißer Sandstrand mit Palmen ist eben doch schwer zu toppen. Nur eines wird ihm im heißen Südamerika abgehen: „Feierabend ohne so ein schönes kühles Weißbier, das wird mir schwer fallen.“ (Gabi Peters)

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