Leben in Bayern

Am Stecker liegt’s bei dem Germeringer Zahnarzt nicht: Weil sein Telekom-Anschluss nicht funktioniert, ist der Umsatz massiv gesunken, klagt er. (Foto: dpa)

05.06.2015

Kein Anschluss unter dieser Nummer

Bei der Umstellung auf Internet-Telefonie gibt es oft Probleme: Der Anschluss eines Germeringer Zahnarztes ist seit fünf Monaten tot – er fürchtet um seine Existenz

Das Schreiben der Deutschen Telekom, das Anfang September im Briefkasten der Germeringer Zahnarztpraxis von Ralph Birner landete, klang bedrohlich: „Ihr Handeln ist erforderlich – sonst müssen wir Ihren jetzigen Anschluss leider bald kündigen“, prangte da in fett gedruckten Lettern. Ende Januar wäre sein bestehender Vertrag ausgelaufen. Seinen bisherigen Anschluss hätte der Konzern zu diesem Zeitpunkt stillgelegt. „Auch die Telefonnummer wäre dann weg gewesen. Für eine Zahnarztpraxis ist das natürlich fatal“, sagt Birner. In dem Schreiben empfahl das Unternehmen dem Zahnarzt eine Umstellung auf einen IP-basierten Anschluss.
Das Ansinnen, seinen alten Anschluss zu behalten, lehnte die Telekom nach Birners Darstellung kategorisch ab. Kein Wunder: Schließlich plant das Unternehmen sein Telefonnetz bis Ende 2018 auf Internet-Telefonie umzustellen. Laut einer Telekom-Sprecherin stellt der Konzern „derzeit jede Woche rund 60 000 Kunden auf die IP-Plattform um“.
Notgedrungen, wie der Mediziner sagt, willigte er einer Vertragsumstellung zu. Zum 22. Dezember vergangenen Jahres sollte dann die Umstellung erfolgen – mit für Birner katastrophalen Folgen: „Von diesem Tag an, war die Leitung tot“, ärgert er sich. Auch wer in den vergangenen Tagen und Wochen versuchte, unter der offiziellen Nummer der Praxis anzurufen, wurde mit einer Sprach-Mailbox verbunden und aufgefordert, eine Nachricht zu hinterlassen.
Lediglich an einem halben Tag sei die Praxis seit Weihnachten unter ihrer Nummer erreichbar gewesen, berichtet der Zahnarzt: „Sonst ging immer die Mailbox ran.“ Allerdings lassen sich die Mailbox-Nachrichten nicht abhören. „Die Patienten, die uns erreichen wollen, glauben dann, dass sich einfach niemand von der Praxis bei Ihnen meldet.“ Da auch das Internet ausgefallen ist, können Birners Mitarbeiter über den Telekom-Anschluss zudem weder faxen noch mailen. Um den Schaden so gering wie möglich zu halten, besorgte sich Birner gleich nach den Weihnachtsfeiertagen einen Handyvertrag beim Telekom-Konkurrenten O2. Die Firma richtete ihm auch eine Festnetznummer ein.
Mehrfach hatte ihm die Telekom telefonisch eine Behebung der Störung zugesagt – doch es geschah: nichts. „Ein ums andere Mal wurde ich vertröstet. Auch ein Techniker ließ sich nicht blicken“, erinnert sich Birner. Mitarbeiter des Technik-Centers der Telekom hätten ihm telefonisch bestätigt, dass die Ursache für den Defekt auf Seiten des einstigen Staatskonzerns liege. Als sein Telekom-Anschluss auch nach Tagen nicht funktionierte, ergriff der Zahnarzt selbst die Initiative. Er veröffentlichte seine O2-Nummer auf der Internetseite der Praxis und schrieb 1500 Patienten an, um ihnen die Notfall-Nummer mitzuteilen.

Verbraucherschützer klagen über massive Störungen

Anfang Januar schaltete Birner auch den Anwalt Klaus Rehbock ein, der die Telekom aufforderte, sie möge den Schaden umgehend beheben. Doch erst nach einem weiteren Schreiben antwortete die Telekom am 21. Januar. Darin räumt die Telekom ein, „das der Anschluss von einem systemseitigen Schnittstellenproblem betroffen ist“. Dies führe dazu, dass die Rufnummern noch nicht auf der IP-Plattform vorhanden seien. „Die Lösung obliegt der IT Deutschland und von dort haben wir am 12. Januar 2015 eine Bestätigung zur Fehlerbereinigung erhalten“, heißt es weiter.
Dann passierte lange nichts. Birner hat die Hoffnung, dass die Telekom das Problem zeitnah behebt, längst aufgegeben. Seit Februar fordern er und sein Anwalt ergänzend zum Schadenersatz eine fristlose Kündigung seines Anschlusses – so könnte er einfach die Nummer von O2 übernehmen. Doch die Telekom bestand in einem Schreiben Anfang März auf ein Fortlaufen des Vertrags bis Dezember 2016. Noch immer will der Konzern die Nummer nicht abtreten.
Birner rechnet damit, dass zahlreiche Neukunden, aber auch manch früherer Patient weiterhin erfolglos versuchen, Termine über die alten Telekom-Nummer zu vereinbaren. Schließlich ist sie in den Branchenverzeichnissen und auf den meisten Internetseiten noch immer vermerkt. „Das Verhalten der  Telekom ist für mich längst existenzgefährdend“, sagt der Vater von drei Kindern. Zahlreiche Kunden habe er „durch die Inkompetenz der Telekom an andere Praxen verloren“. Allein im ersten Quartal sei sein Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um etwa 22 000 Euro gesunken.
Die Telekom behauptet in ihren Schreiben, man habe Birner die Möglichkeit gegeben, eine Anrufweiterschaltung einzurichten. So wäre er unter seiner neuen Nummer erreichbar gewesen. Doch der Zahnarzt habe davon keinen Gebrauch gemacht. Birner versichert dagegen, er habe mehrfach um eine solche Umleitung gebeten, doch die Telekom habe dies verweigert.
Eine Firmensprecherin sagt auf Anfrage, man stehe mit Anwalt Rehbock in engem Kontakt und sei „zuversichtlich, dass wir gemeinsam zu einem guten Ergebnis kommen“. Um dem Gespräch nicht vorweg zu greifen, wolle man sich zu den einzelnen Vorwürfen Birners nicht äußern. Rehbock sagt dagegen, es gebe bislang keinen Kontakt oder gar einen Lösungsvorschlag.

Telekom spricht von „kaum einer Handvoll Fälle“

Derzeit komme es bei der Umstellung von Anschlüssen auf die IP-Technologie in seltenen Einzelfällen zu Problemen, die zu einem Ausfall des Telefonanschlusses führen, räumt die Telekom-Sprecherin ein. Der Konzern arbeite an der Lokalisierung des Fehlers, damit Birners Anschluss schnellstmöglich wieder funktioniert. Seit Anfang 2015 nutzen laut Telekom bereits über sechs Millionen ihrer Kunden Anschlüsse auf Basis der IP-Technologie. „Auch wenn die Umstellungen millionenfach reibungslos verlaufen, bedauern wir jeden einzelnen Fall, bei dem es zu Verzögerungen und Störungen in der Umstellung kommt“, heißt es.
Einzelfälle? „Das sind keine Einzelfälle“, ist Tatjana Halm, Rechtsexpertin der Verbraucherzentrale Bayern (VZ), überzeugt. Sie stützt sich auf eine Umfrage der VZ aus diesem Jahr. Telekom-Kunden klagen gegenüber den Konsumentenschützern etwa über Komplett-Ausfälle ihrer VoIP-Anschlüsse (Voice over IP), mitunter sollen diese sogar mehrere Monate gedauert haben.
Die in der Umfrage geschilderten technischen Probleme sind vielfältig. Kunden machten vor allem ihrem Ärger über Probleme mit dem Telefonanschluss Luft. Manchmal konnten sie gar nicht telefonieren. In anderen Fällen sollen Gespräche ständig unterbrochen worden sein. Mitunter war die Verbindung zwar vorhanden, die Gesprächsqualität jedoch miserabel. Telekom-Kunden gaben zudem an, wenn sie telefonieren wollten, werde die Verbindung nicht aufgebaut. Andere klagten, bei den Angerufenen sei andauernd besetzt – und das, obwohl am anderen Ende der Leitung gar nicht telefoniert werde. Wieder andere behaupten, sie seien angerufen worden, ihr Telefon habe jedoch nicht oder nur kurz geklingelt.
 „Kunden berichten zudem, die Telekom hätte ihnen nicht einmal mitgeteilt, dass sie ihre Anschlüsse auf VoIP umgestellt hatte“, sagt Halm. Da sei am Telefon dann „einfach von einem guten Angebot die Rede gewesen“. Erst als dann irgendwann die Leitung tot war, erfuhren die Betroffenen davon, dass sie ihre Gespräche längst via Internet-Telefonie führten. Andere Kunden wollen nicht darüber aufgeklärt worden sein, dass sie bei Stromausfällen bei Internet-Telefonie keinen Notruf über das Festnetz absetzen können.
Ein Telekom-Sprecher sagt auf Anfrage, man sei die geschilderten Fälle mit der Verbraucherzentrale bereits durchgegangen. „Kaum eine Handvoll Fälle sind wirkliche VoIP-Fälle.“ Auch sei nicht jede Beschwerde gerechtfertigt und nicht jede Behauptung richtig. Der Sprecher weist den Vorwurf, die Telekom informiere Kunden nicht korrekt über die Umstellung, zurück: „Wir klären über die IP-Umstellung auf – auch beim Thema Hausnotruf.“ (Tobias Lill) Bild: Zahnarzt Ralph Birne sagt: „Das Verhalten der Telekom ist für mich längst existenzgefährdend.“; Foto: privat

Kommentare (2)

  1. Zitrone am 07.06.2015
    Und bei der Wasserversorgung, wenn diese privatisiert würde. Und bei Post und Bahn, bei denen es früher dank der oft beneideten Beamten früher keine Streiks gab. Und bei den Fluglotsen, als sie noch Beamte waren.

    Das sagt aber vor der Privatisierung kein Verantwortlicher öffentlich.
  2. Christrian am 05.06.2015
    Das ist das Ergebnis der Privatisierung!
    "Kein Anschluss unter dieser Nummer"
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