Leben in Bayern

Für die Beschäftigten der Aicher Ambulanz ist auf der Münchner Wiesn immer etwas zu tun. (Foto: Aicher Ambulanz)

22.09.2023

KI trifft Wiesn-Tradition

Nach der Einführung eines mobilen Computertomografen im Vorjahr gibt es in der Sanitätsstation des Münchner Oktoberfests nun eine weitere technische Neuheit

In München herrscht in diesem Jahr sogar 18 Tage lang absoluter Ausnahmezustand: Es ist Wiesn-Zeit. Allein am Eröffnungswochenende strömten rund eine Million Menschen auf die Theresienwiese.

Es zog sie in die Fahrgeschäfte, an die Stände – und natürlich auch in die Festzelte. Bei so viel Heiterkeit kann auch viel passieren. Kreislaufprobleme und zu viel Alkohol, der Griff in eine Glasscherbe oder der Sturz im Vergnügungspark: Es ist gut, wenn im Notfall schnelle Hilfe kommt. Die Sanitätsstation Aicher Ambulanz kümmert sich seit 2018 um kleine Wehwehchen oder Kreislaufschwäche, aber auch um Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Und das alles auf 466 Quadratmetern.

Dabei wird gerade in der jüngsten Zeit auf die neueste Technik gesetzt: Seit 2022 gibt es einen eigenen mobilen Computertomografen samt Fachpersonal. Und heuer wird erstmals Künstliche Intelligenz (KI) genutzt. Hightech im Rettungsdienst trifft auf Oktoberfest-Tradition.

Der Anteil ausländischer Gäste ist hoch – und natürlich landen auch einige von ihnen in der Sanitätsstation. Schwierig wird es dann, wenn sie kein Deutsch oder Englisch sprechen, weil sie beispielsweise aus Asien kommen. Allein Mandarin hat zahllose Dialekte, und es ist ein Ding der Unmöglichkeit, stets den richtigen Dolmetscher oder die richtige Dolmetscherin parat zu haben.

Doch die Aicher Ambulanz hat eine Lösung gefunden: eine Übersetzungs-App, die auf eine KI zurückgreift. Darüber können die Betroffenen angesprochen werden. Die Ärzt*innen und Sanitätskräfte können so nach den Symptomen fragen und mittels App auch erklären, was gemacht werden muss.

Nur Betrunkene versteht die Sprach-KI nicht immer

„Das funktioniert sehr gut und beruhigt den Patienten“, sagt Michel Belcijan, Betriebsleiter der Aicher Ambulanz. Gefragt waren schon am ersten Wiesn-Wochenende zahlreiche Sprachen – von Spanisch bis Serbokroatisch. Und der KI fehlten nie die Worte, auch, wenn es manchmal Fehlerquellen gibt: „Die App kann zwar Japanisch, aber ob sie einen betrunkenen Japaner noch versteht, das ist nicht immer ganz gewiss.“

Früher war die Verständigung noch um einiges komplizierter. Englisch sprechen zwar die meisten Beschäftigten, doch natürlich sind auf der Wiesn sehr viele Gäste aus sehr vielen Ländern zu Gast. Gerade Italiener*innen lieben bekanntlich das Oktoberfest. „Für sie haben wir immer Kollegen aus Südtirol zur Verstärkung“, gibt Belcijan Einblick. Diese melden sich nach seinen Worten jedes Jahr gerne und freiwillig, ebenso wie die rund 450 Sanitätskräfte und 50 Ärzt*innen, die für die diesmal 18 Tage gebraucht werden.

Auch, wenn überall in der Medizin und Pflege das Personal sehr knapp ist, hat die Aicher Ambulanz kein Problem, um für das Oktoberfest genügend Mitarbeitende zu finden: „Die Wiesn ist ein großer Motivationsfaktor. Da wollen viele dabei sein. Wir haben im März mit der Rekrutierung angefangen und hatten schon da den Dienstplan so gut wie voll.“

Relativ neu im Team sind Radiologen aus dem Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie sind zuständig für eine der neuesten Errungenschaften in der Sanitätsstation: den Computertomografen. Das mobile Gerät ist seit dem ersten Volksfest nach Corona im Einsatz. „Ziel war es, möglichst viele Patienten hier zu behandeln, um die Kliniken nicht zu überlasten“, erklärt Belcijan. Wenn sich also jemand verletzt, dann kann die Diagnostik bereits in der Sanitätsstation erfolgen.

Im vergangenen Jahr wurden laut dem Sprecher 205 CTs durchgeführt. Rund 80 Prozent waren ohne Befund und haben dem Krankenhaus also eine Untersuchung erspart. Am ersten Wiesn-Wochenende dieses Jahres war das Gerät schon rund 40 Mal im Einsatz.

Schon mehr als 1000 Einsätze in diesem Jahr

Neu sind heuer sogenannte Ohrensensoren. Das sind kleine, wie Airpods aussehende Knöpfe im Ohr, die digital wichtige Gesundheitsdaten der Patient*innen wie Körpertemperatur, Sauerstoffsättigung des Blutes und Herzfrequenz auf ein Endgerät übertragen. Darauf haben die Beschäftigten der Sanitätsstation stets Zugriff – auch, wenn die zu behandelnde Person auf der Trage liegt. „Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht“, erklärt der Betriebsleiter der Ambulanz.

Die Menschen werden auf dem Oktoberfest auf Herz und Nieren getestet, und das ist für die Ambulanz ideal: „Das ist ein tolles Testumfeld, weil es sonst selten so viele Patienten auf einmal gibt.“ 2019 waren es rund 7000 Wiesn-Gäste, die in der Aicher Ambulanz Hilfe suchten. Im vergangenen Jahr, nach der Corona-Zwangspause, waren die Zahlen etwas niedriger. Da waren es rund 5400 Einsätze. Dabei vernähten die Chirurg*innen über 260 Meter Faden – das entspricht der zwölffachen Höhe der Bavaria, die über der Theresienwiese thront. Die Rettungskräfte legten bei ihren Einsätzen zusammen eine Wegstrecke zurück, die sie bis nach Südspanien führen würde, wenn sie alles zusammenrechneten.

Auch heuer war am ersten Wiesn-Wochenende schon sehr viel los: Am Samstag gab es 646 Einsätze, dazu gehörte auch die Verarztung mehrerer Verletzter nach dem Zusammenstoß zweier Achterbahnwaggons. Am Sonntag gab es dann 537 Einsätze.

Zu den Spitzentagen gehören die Oktoberfest-Samstage. Dann sind zwölf Ärzt*innen und rund 100 Sanitätskräfte im Einsatz. Auf den 466 Quadratmetern im Sanitätsbereich kommen die Hilfesuchenden zuerst in den sogenannten Triage-Bereich. Dort gibt es jeweils eine Station mit einem Arzt oder einer Ärztin, die sich um die Erstversorgung kümmern. Dann geht es, je nach Einschätzung, entweder in den Behandlungsbereich oder – vor allem dann, wenn Alkohol im Spiel ist – in den Überwachungsbereich.

Lediglich 8 Prozent müssen ins Krankenhaus

Es gibt auch einen Ruhebereich, in dem zum Beispiel Ältere wieder zu Kräften kommen können, die erschöpft sind. Dazu kommen zwei Eingriffsräume, in denen zum Beispiel Wunden genäht werden.

Wie in einer richtigen Großstadt – so groß ist die Wiesn ja gemessen an den Besucherzahlen – tritt auch auf dem Oktoberfest die ganze Bandbreite an Erkrankungen und Verletzungen auf. Und ja, natürlich ist auch oft Alkohol im Spiel, wobei laut Michel Belcijan die Zahl der Volltrunkenen eher rückläufig ist, auch, wenn sie natürlich nach wie vor auftauchen. Aber auch Gäste, die nach dem Genuss von zwei Maß Bier stolpern und sich verletzen, beschäftigen die Einsatzkräfte.

In der Sanitätsstation wird versucht, so viele Patient*innen wie möglich vor Ort zu behandeln. Sie können dort auch zwei, drei Stunden ausruhen und überwacht werden. Lediglich etwa 8 Prozent von denen, die ankommen, müssen an ein Krankenhaus überwiesen werden.

Und wie halten die Beschäftigten, die teilweise mit ihrer Trage am Tag rund 20 Kilometer zurücklegen, durch? Natürlich wird auch für ihr Wohl gesorgt, sagt Belcijan. Gegen den Durst gibt es eine Zapfanlage mit Saft und für das Stillen des Hungers sorgt Küchenfee Zenzi. Sie verteilt die rund 130 Mahlzeiten, die ein Caterer dreimal pro Tag anliefert. Am ersten Wiesn-Sonntag gab es zum Beispiel Schaschlikpfanne.

Bier ist den Oktoberfest-Gästen vorbehalten. Die Beschäftigten der Sanitätsstation bleiben gerne nüchtern, damit sie im Notfall optimal behandeln können. (Melanie Bäumel-Schachtner)
 

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