Leben in Bayern

Bei Karl Baumanns Online-Treffen nehmen ehemalige Corona-Patienten aus dem ganzen Bundesgebiet teil. (Foto: privat)

01.04.2021

Leben mit und nach der Krankheit

Der Regensburger Karl Baumann hat eine der ersten Selbsthilfegruppen für ehemalige Covid-19-Patient*innen gegründet

Karl Baumann (53) hat das Virus gleich zu Beginn der Pandemie erwischt. Sieben Wochen lag er in der Klinik, drei davon im künstlichen Koma. Auch ein Jahr später leidet Baumann noch unter den Folgen. Damit Menschen wie er ihre Erfahrung mit der Krankheit gemeinsam verarbeiten können, hat er eine Selbsthilfegruppe gegründet. Noch finden die Treffen nur online statt.

Es war im März vergangenen Jahres: Gleich ganz zu Beginn der Corona-Krise steckte sich Karl Baumann mit dem neuen Virus an. Man feierte gemeinsam in einem Lokal – es fand ein Gedächtnisessen für einen Verstorbenen statt. 14 Tage später lag der damals 52-jährige Unternehmer aus Regensburg mit schweren Covid-19-Symptomen auf der Intensivstation. Angeschlossen an eine Herz-Lungen-Maschine kämpfte er um sein Leben. Sieben Wochen lag Baumann im Krankenhaus, drei davon im künstlichen Koma. Heute hat er die Krankheit zwar überstanden. Aber an den Spätfolgen leidet er auch ein Jahr später immer noch. „Ich bin so schnell erschöpft“, beschreibt Baumann eines der Symptome von Long Covid.

Erschöpfung, Atemnot und Gedächtnisprobleme

Der Regensburger Baumann machte sich auf die Suche nach Menschen, denen es nach einer Covid-19-Erkrankung ähnlich ging wie ihm. Als einer der ersten in Deutschland gründete er eine Selbsthilfegruppe. Inzwischen suchen immer mehr Menschen, die an Langzeitfolgen nach der Erkrankung leiden, die Hilfe in Gruppen mit Menschen, die ein ähnliches Schicksal haben.

Marianne Fill aus Taufkirchen bei Waldkraiburg zum Beispiel. Als die 70-Jährige sich mit dem Coronavirus infizierte, glaubte sie zunächst, das sei eine normale Grippe: Müdigkeit, Abgeschlagenheit, kein Geruchssinn mehr. Erst als sie getestet wurde, weil die Tochter in einem Pflegeberuf arbeitet, war der Befund klar: Covid-19. Der Ehemann musste gar ins Krankenhaus, er kämpft auch heute noch zwischendurch mit Atemnot. Im Juli 2020 rief Fill deshalb eine Corona-Gruppe ins Leben. Damals traf man sich genau einmal in einem Gasthaus, dann kam der Lockdown. Fill, die Senioren- und Behindertenbeauftragte ihrer Gemeinde ist, will die Corona-Gruppe, für die sich im Juli acht Leute trafen, zwar fortsetzen. Aber erst, wenn man sich wieder persönlich treffen darf.

Dafür, dass Betroffene nicht so lange warten müssen, sorgt in München Erich Eisenstecken vom Selbsthilfezentrum. Dort moderiert er die „Virtuelle Selbsthilfegruppe für Corona-Betroffene aller Art“. Über eine Internetplattform treffen sich jeden zweiten Mittwoch im Monat an die acht bis zwölf Teilnehmer und tauschen sich aus. „Wir sind für alle offen, die Themen sind querbeet“, sagt Eisenstecken. So geht es zum Beispiel um Ängste und Zwänge. Und darum, was es bedeutet, wenn man sich im Corona-Lockdown nicht mehr wie gewohnt mit anderen treffen kann. Wenn Beziehungsnetze zusammenbrechen. Und es geht auch um Schicksalsschläge wie jener Frau, die durch Corona ihren Ehemann verloren hat. Vier Wochen war der Gatte im Krankenhaus, Besuche waren nicht erlaubt. Also ist er alleine gestorben.

Aber die Gruppe diskutiert auch andere Themen: Zum Beispiel, wie man in Selbsthilfegruppen mit sogenannten „Corona-Leugnern“ umgehen soll. Die sich dort auf die Meinungsfreiheit berufen und deshalb die Gruppe partout nicht verlassen wollen. „Die anspruchsvollste Form der Auseinandersetzung ist sicherlich, sich die Argumente anzusehen“, sagt Eisenstecken. Es hätten sich aber auch schon Gruppen deshalb aufgelöst. Eisenstecken moderiert nicht nur die Gruppe in München. Er will den Teilnehmer*innen das technische Wissen mitgeben, damit diese ihre eigenen Gruppen online aufbauen können.

Bei Claudia Oberneder aus Landshut ist es jetzt so weit, die 53-Jährige ist gerade dabei, eine Corona-Selbsthilfegruppe ins Leben zu rufen. Unterstützt wird sie von der örtlichen Diakonie. Auch Oberneder war bereits im März 2020 schwer an Covid-19 erkrankt. Auch sie lag im Koma. Sie litt zuvor schon an allergischem Asthma. Heute, sagt Oberneder, sei vieles nicht mehr wie zuvor. Manchmal fallen ihr Worte nicht mehr ein, sie fühlt sich erschöpft. Auch das Treppensteigen funktioniert nicht mehr so wie früher. Von der Selbsthilfegruppe erwartet sie sich vor allem den Austausch mit anderen Betroffenen, „dass man mit seinem Schicksal nicht alleine ist“. Sie hat sich auch von Karl Baumann Ratschläge geholt.

Ein Ziel: die Anerkennung von Langzeitfolgen als Krankheit

Der Regensburger ist inzwischen so eine Art Pionier der Corona-Selbsthilfe geworden. Zusammen mit zwei Moderatorinnen betreibt er heute online drei verschiedene Post-Covid-19-Erkrankte-Gruppen, die Teilnehmer kommen aus dem ganzen Bundesgebiet. Meist laufen die Treffen so ab: Zuerst wird gesammelt, was für Themen jeweils anliegen, dann wird ein Punkt ausführlich besprochen. Das Besondere: Ein Psychologe oder Arzt ist immer dabei.
„Dass sich das Leben durch die Krankheit um 180 Grad gedreht hat, damit muss man erst fertig werden“, sagt Baumann. Und dabei zu helfen, sei eine der wichtigsten Aufgaben der Selbsthilfegruppen.

Baumanns Aktivitäten stoßen mittlerweile auf große Resonanz. Die Universität Dresden möchte mit den Teilnehmer*innen seiner Gruppen über die Müdigkeitssymptome forschen. Außerdem ist Baumann heute selbst Patientenvertreter für Bayern in einer Arbeitsgruppe der Bunderegierun. Am 4. Mai wird er deshalb bei einer Gesundheitskonferenz im Bundestag mit dabei sein.

Baumanns großes Anliegen: Die Anerkennung von Covid-19-Langzeitfolgen als Krankheit – auch durch Arbeitgeber. Außerdem fordert Baumann die Einrichtung von Post-Covid-19-Ambulanzen in jedem Regierungsbezirk. Damit sich dort dann Fachärzte gebündelt um die von Langzeitfolgen Betroffenen kümmern können.
(Rudolf Stumberger)

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