Autoscooter, Kettenkarussell, Zuckerwatte - dann eine Stichflamme, ein Knall, Funken. Robert Höckmayr, damals zwölf Jahre alt, wird durch die Luft gewirbelt. Vor seinen Augen sterben zwei Geschwister. Die Eltern und zwei weitere Geschwister werden schwer verletzt. Bis heute leidet der 53-Jährige an den Folgen des rechtsextremistisch motivierten Oktoberfest-Attentats von 1980. Und bis heute kämpft er um eine angemessene Entschädigung.
Vor dem Sozialgericht geht es am Freitag (17. Dezember) um die Einstufung seiner Schädigung nach Opferentschädigungsgesetz. Dies wirkt sich unter anderem auf Rentenzahlungen aus.
Bei dem Anschlag des rechtsextremen Studenten Gundolf Köhler starben am 26. September 1980 zwölf Besucher und Köhler. Es ist 22.19 Uhr, als Höckmayr und seine Geschwister Papier und Stäbe von Zuckerwatte in einen Abfalleimer am Wiesn-Haupteingang werfen wollen. Da explodiert genau dort die Bombe. Sie enthält knapp 1,4 Kilogramm TNT; Nägel erhöhen die Zerstörungskraft. Mehr als 200 Menschen werden verletzt.
Über Jahrzehnte wird das Attentat bagatellisiert
Während Ärzte um das Leben von Verletzten ringen, wird der Tatort aufgeräumt, Spuren werden beseitigt, der Boden asphaltiert. Gut zwölf Stunden später strömen wieder Gäste auf die Wiesn, es wird getrunken und gefeiert. Heute ist klar: Es war der schwerste rechtsextreme Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Täter wünschte sich einen Führerstaat nach dem Vorbild des Nationalsozialismus.
Über Jahrzehnte wird das Attentat aber bagatellisiert - als Tat eines Einzelnen aus persönlichem Frust. Das wirkt sich auch auf den Umgang mit den Opfern aus. Lange Zeit gibt es laut Höckmayr kaum Hilfe. Er kämpft sich ins Leben zurück, als einziger von fünf Geschwistern. Der damals überlebende Bruder und die Schwester töten sich später selbst, sie können laut Höckmayr das Erlebte nicht verarbeiten.
Immer wieder wendet sich Höckmayr an die Behörden. Er bekommt eine Erwerbsminderung von 25 Prozent. 2003 schrieb der damals zuständige und inzwischen pensionierte Richter des Sozialgerichts, an mehr sei nicht zu denken. Die Beschwerden seien kaum auf das schädigende Ereignis zurückzuführen. Ein Fachgutachten halte er nicht für sinnvoll, wenngleich es möglich sei. "Nach lästigen Untersuchungen, Röntgenbelastungen (und hohen Aufwendungen für die Staatskasse) ist dann aber ein negatives Ergebnis umso weniger befriedigend."
Ungewöhnliche Entschuldigug
2017 - inzwischen hat die Bundesanwaltschaft nach Recherchen des Anwalts Werner Dietrich und des Journalisten Ulrich Chaussy neue Ermittlungen aufgenommen und ein rechtsextremer Hintergrund wird immer klarer - eine ungewöhnliche Entschuldigung. Er stelle "in ehrlicher Betroffenheit" fest, dass er zur Verweigerung einer Begutachtung beigetragen habe, indem er auf die Aussichtslosigkeit hingewiesen habe, schrieb der Richter nun. "Das war aus heutiger Sicht eine Fehleinschätzung."
Er leite nun eine Begutachtung auf vier Fachgebieten ein. Er wolle die "Defizite der Verwaltung und meiner eigenen seinerzeitigen Unsensibilität nach besten Kräften ausgleichen und bitte Sie für mein Verhalten im damaligen Verfahren um Verständnis und Verzeihung".
Auch Politiker hatten sich spät entschuldigt: für Ermittlungspannen, die falsche Einschätzung der Tat und die mangelhafte Aufarbeitung.
42 Mal operiert und bis heute Splitter im Körper
Bis heute hat Höckmayr Splitter im Körper; 42 Mal wurde er operiert. Er kann schlecht laufen. "Mit weiterer medizinischer Betreuung hätte man viel verhindern können", sagt er. Das gelte auch für andere Betroffene, die seit vier Jahrzehnten mit ihrer Behinderung leben.
Auch Bilder verfolgen ihn: ein "Trümmerfeld" mit menschlichen Körpern, abgetrennten Gliedmaßen und zerfetzten Kleidungsstücken - "ein Horrorbild". "Je näher es auf die Wiesn zugeht, desto schlimmer werden die Träume und die Schlaflosigkeit", sagt Höckmayr. "Wenn ich die ersten Trachten seh, brodelt das wie ein Vulkan nach oben."
Die Einstufung der Schädigung von 50 Prozent sei aus Sicht seiner behandelnden Ärzte zu gering, sagt sein Anwalt Alexander Frey. "Es geht schon um Geld, aber es geht auch ums Prinzip." Das Verfahren habe grundsätzliche Bedeutung für Betroffene anderer Anschläge, etwa am Olympia-Einkaufszentrum in München oder am Berliner Breitscheidplatz. Auch sie müssten oft um Unterstützung kämpfen; staatliche Hilfe komme oft zu spät oder reiche nicht. Inzwischen haben sich Betroffene verschiedener Attentate vernetzt.
(Sabine Dobel, dpa)
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