Leben in Bayern

Laureen Koch und Gerhard Gruberr sind ehrenamtliche Gefangenenbegleiter in München. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

22.05.2019

Lichtblick im Knastalltag

Gefängnisse scheinen eine hermetisch abgeriegelte Welt zu sein. Die allermeisten Menschen kennen das Geräusch, wenn die schweren Tore ins Schloss fallen und der Schlüssel umgedreht wird, nur aus dem TV. Doch es gibt eine Verbindung zwischen drinnen und draußen - Ehrenamtliche

Seit zweieinhalb Jahren sitzt Reinhold Wagner hinter Gittern. Der Haftalltag ist eintönig, auf Besuch darf Wagner - der eigentlich anders heißt - nicht hoffen: Er hat seine Tochter missbraucht, seine Familie hat sich von ihm losgesagt. Doch einen Lichtblick hat der 52-Jährige: Etwa einmal im Monat trifft er sich mit einer ehrenamtlichen Betreuerin. "Es tut sehr gut, dass man jemanden zum Reden hat, der bloß da ist und zuhört und sich mit einem abgibt."

Rund 1480 Ehrenamtliche kümmern sich in den 36 bayerischen Justizvollzugsanstalten um diejenigen, die von der Gesellschaft gerne ausgeblendet werden. Sie haben Mörder vor sich sitzen, Drogendealer und Betrüger. Und doch sehen sie in den Gefangenen in erster Linie einen Mitmenschen. "Es geht um ein ganz tiefes, mitfühlendes Zuhören", schildert Laureen Koch ihr Selbstverständnis.

Seit sieben Jahren ist Koch als Ehrenamtliche in der Münchner JVA Stadelheim aktiv. Zwei Mal in der Woche leitet die 60-Jährige Gruppenangebote zum Thema gewaltfreie Kommunikation - und hat schon mehrfach erlebt, wie vermeintlich harte Kerle und unverwundbare Frauen auf einmal anfangen zu weinen, wenn sie lernen, ihre Gefühle in Worte zu fassen. Auch Gerhard Gruber kennt solch emotionale Situationen. So habe ein Gefangener ihn wie in einer Endlosschleife immer wieder gefragt, ob er wirklich seinetwegen gekommen sei. "Der hat das gar nicht fassen können."

Gruber gehört zu den Ehrenamtlichen, die eine 1:1-Betreuung machen. Das kann im Prinzip jeder, der bestimmte Voraussetzungen erfüllt, etwa in den letzten fünf Jahren nicht selbst im Gefängnis saß. "In Gesprächen, bei Freizeitangeboten oder bei Ausgängen begleiten sie die Gefangenen in der schwierigen Lebenssituation der Inhaftierung und bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft", erläutert Justizminister Georg Eisenreich (CSU). "Dadurch leisten unsere ehrenamtlichen Helfer einen wertvollen Beitrag zur Resozialisierung und sind für unseren Justizvollzug eine wichtige Unterstützung."

Das Gefühl, vergessen worden zu sein

"Wenn man den ganzen Tag hinter Gittern lebt, hat man schon manchmal das Gefühl, von der Welt abgeschnitten, vergessen worden zu sein", erzählt der Leiter der JVA Stadelheim, Michael Stumpf. Den Ehrenamtlichen komme daher eine wichtige Brückenfunktion zu - sie kümmerten sich um die Insassen, auch wenn diese nicht immer einfach seien. "Das sind ja Menschen, die sich nicht immer an die Spielregeln halten, die vielleicht ihr ganzes Leben lang gelernt haben, sich durchzumogeln, denen es jedenfalls schwer fällt, Grenzen einzuhalten."

Auch Carmen Dietenberger, die die Ehrenamtlichen in der JVA Stadelheim betreut, kennt die Fallstricke: So dürften sich die Betreuer nicht manipulieren lassen, teils gebe es auch überhöhte Erwartungen - auf beiden Seiten. Manchem Gefangenen müsse man erstmal klarmachen, dass die Ehrenamtlichen ihnen weder Job noch Wohnung besorgen noch das Urteil anfechten. "Sie sind keine Anwälte, sie sind keine Dienstboten und keine Sekretärinnen!"

Das Thema Nähe und Distanz spielt ebenfalls eine große Rolle, auch wenn das jeder Ehrenamtliche individuell handhabt. "Ich bin sehr zurückhaltend mit privaten Sachen. Das ist eine Gratwanderung, denn wir wollen ja auch authentisch und ehrlich und echt sein", erläutert Koch. Letztlich gehe es um einen "natürlichen Respekt" voreinander.

Mitleid hingegen sei kontraproduktiv. "Man darf den Gefangenen nicht nur in der Opferrolle sehen", betont auch Dietenberger. Stattdessen müsse man ihm verdeutlichen, dass er nicht nur von seiner Vergangenheit bestimmt sei, sondern noch was aus seinem Leben machen könne. "Bei 60, 70 Prozent kann man was bewegen", bilanziert Gruber seine bisherigen Erfahrungen. "Bei manchen ahnt man, da wird es wieder ähnlich ablaufen. Wenn einer in das gleiche Milieu zurückkehrt, dann ist absehbar, was passiert."

Angst haben die Ehrenamtlichen bei ihren Einsätzen dennoch nicht. Brauchen sie auch nicht: Obwohl sie sowohl bei den Gesprächen als auch bei Ausgängen - das sind kurze "Ausflüge" in die Freiheit - mit den Gefangenen alleine sind, gab es in Bayern noch nie einen Übergriff. Im Gegenteil: Das Ansehen der Ehrenamtlichen unter den Gefangenen ist hoch, wie Dietenberger betont. "Das sind Zivilmenschen von draußen. Alle anderen, die hier arbeiten, sind Bedienstete der Institution, Vertreter der Staatsmacht, und so werden sie auch gesehen."

Auch Reinhold Wagner lässt nichts auf die Ehrenamtlichen kommen. "Das ist Angehörigen- und Familienersatz. Es ist eine große Wertschätzung, dass die sich die Zeit für uns nehmen." Allerdings bleibt es meist bei einer Bindung auf Zeit, echte Freundschaften entstehen selten. "Man darf nicht damit rechnen, dass jedes Jahr Weihnachtskarten kommen", erzählt Gruber. "Von zehn Gefangenen meldet sich einer nochmal nach der Entlassung."
(Elke Richter, dpa)

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