Den ganzen Tag über schien die Sonne, doch am späten Nachmittag verdunkelt sich plötzlich der Himmel: Es regnet in Strömen. „Mittwoch, 17 Uhr, ist immer schlechtes Wetter“, sagt Norbert Tartler lächelnd, während er Richtung Trainingsplatz schreitet. Er trainiert die Kleinsten beim SV Weichering, dem Sportverein einer 2500-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen, nah bei Ingolstadt. 16 Jungen und Mädchen sind an diesem Nachmittag gekommen, trotz des Regens.
„So, jetzt laufen wir und führen den Ball mit links, mit rechts. Super, Sarah! Super, Diego!“, ruft der Trainer. Zwei Stoffleitern werden auf den Boden gelegt. Die Kinder laufen in Trippelschritten seitlich und frontal zwischen die Sprossen. Dann bauen Tartler und die anderen drei Trainer vier Minitore auf. Jetzt wird Fußball gespielt.
Seit vielen Jahren bildet der Verein im Juniorenbereich eine Spielgemeinschaft mit der TSV Lichtenau aus dem anderen großen Ortsteil der Gemeinde. 80 Kinder sind es, über mehrere Altersklassen verteilt. Doch selbst zusammengeschlossen reicht es weder für eine A-Jugend, noch für eine U17 oder eine U15.
Immerhin: Ab kommendem Jahr soll zumindest wieder eine U15 zustande kommen. „Die Bereitschaft der Väter, Trainer zu sein, ist auch gering“, sagt Tartler. Doch auch da gibt es einen kleinen Lichtblick: Ein frisch ausgebildeter Trainer wird die neue U15 übernehmen.
Wer wissen will, wie es um die Gegenwart und die Zukunft des Fußballs bestellt ist, muss sich in seine Herzkammer begeben: den Nachwuchsamateurbereich. Hier gibt es keinen Videobeweis, keine Rasenheizung, keine Laptoptrainer. Und die Hochglanz-Europameisterschaft ist weit weg. „Wer von euch hat das Spiel Deutschland gegen Spanien gesehen?“, fragt Tartler die Kinder. Drei Arme gehen hoch.
„Ein EM-Effekt? Das wäre schön“
Ob die stimmungsvollen Auftritte der deutschen Nationalmannschaft bei der EM dem SV Weichering einen Nachwuchsboom bescheren, da ist Tartler vorsichtig. Die Gemeinde habe er eigentlich schon weitgehend nach potenziellen Kandidat*innen abgegrast. „Aber es wäre natürlich schön, wenn es einen EM-Effekt gäbe.“
Was für ihn auf jeden Fall etwas gebracht hat, ist die durchaus umstrittene Kinderfußballreform des Deutschen Fußballbunds. Statt sieben gegen sieben auf zwei große Tore spielen die Kinder bis zur E-Jugend nun drei gegen drei auf vier winzige Tore. Der Effekt: Niemand muss auf der Bank sitzen und auf seinen Einsatz warten, alle sind immer in Bewegung. „Ich war vorher auch skeptisch“, sagt Tartler. „Aber jetzt bin ich begeistert. So verlieren wir keine Kinder mehr.“ Nach zweijähriger Testphase ist die neue Spielform ab der kommenden Saison verbindlich.
Der SV Weichering ist einer von rund 4500 Fußballvereinen im Freistaat. Und zumindest in einigen dieser Vereine dürfte man den positiven Effekt des Turniers bald zu spüren bekommen. Nach der Heim-Weltmeisterschaft 2006 wurden laut Bayerischem Fußballverband (BFV) im Freistaat so viele neue Spielerpässe wie nie zuvor ausgestellt – es waren 61.343. 2014, nach dem WM-Titel in Brasilien, gab es einen Zuwachs um rund 50.000 – trotz geburtenschwacher Jahrgänge.
„Auch jetzt spüren wir die Begeisterung allerorten und setzen darauf, dass diese noch lange anhält“, erklärt BFV-Pressesprecher Fabian Frühwirth. Der Verband rechnet mit einem starken Zuwachs durch das Heim-Turnier.
Der BFV startete schon vor rund drei Jahren mehrere auf die Europameisterschaft ausgerichtete Aktionen. Mit Schnuppertrainingspaketen, einer Ausbildungsoffensive für Jugendtrainer*innen, gesponserten Minitoren und einer speziellen Mädchenfußballkampagne sollte nach Corona wieder Begeisterung für die Sportart Nummer eins in Deutschland entfacht werden.
Die Auswirkungen: Die Zahl der neu ausgestellten Pässe stieg in den vergangenen beiden Jahren deutlich an. Im Vorjahr gab es sogar den zweithöchsten Wert, der jemals gezählt worden ist. 57 637 Männer, Frauen, Kinder und Jugendliche traten neu in einen Fußballverein ein. Dazu wurden in den vergangenen Jahren Tausende neue Kinder- und Jugendtrainer*innen mit Zertifikat ausgebildet – darunter der neue U15-Trainer in Weichering. Und auch bei den Schiedsrichter*innen ist laut BFV inzwischen eine Trendwende erkennbar: Es fangen mehr als noch vor einigen Jahren an, gleichzeitig hören weniger auf.
Harte Bedingungen des Ausrichters UEFA
Während des Turniers war der BFV zudem an jedem Tag mit eigenem Spielfeld und einigen Mitmachangeboten in der Fan-Zone im Münchner Olympiapark vertreten.
Das muss man auch berücksichtigen, wenn man kritisiert, dass Deutschland die Bedingungen des Ausrichters, des europäischen Fußballverbands UEFA, akzeptiert hat. Die UEFA fordert nämlich von jedem Gastgeberland weitgehende Steuerfreiheit, obwohl sie Milliardeneinnahmen mit jedem Turnier erzielt. Dazu muss akzeptiert werden, dass die UEFA ihre eigenen Sponsoren mitbringt, was zum Beispiel bedeutet, dass in jedem Stadion nur das Bier Bitburger ausgeschenkt werden durfte.
Doch auch außerhalb der Bannmeile um die Austragungsorte konnten die Gastronomen einigen Umsatz generieren. „Wir wollen ja nicht immer jammern“, sagt Thomas Geppert, der Geschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga Bayern. „Es war wie erhofft für die Umsätze in der Gastronomie.“ Das habe auch für das kalte und regnerische Wetter der Wochen zuvor und für die Mückenplage entschädigt. „Solche Turniere sind generell wichtig, aber eine Heim-EM ist noch toller, weil sie die Städte belebt“, sagt Geppert.
In Bayern war München der einzige Austragungsort, in der Landeshauptstadt feierten Menschen aus unterschiedlichen Ländern ausgelassen. Besonders beeindruckten ihn die schottischen Fans, sagt Geppert. „Die wollten wir gar nicht mehr gehen lassen.“ Immerhin sorgten die unkonventionellen Anhänger*innen des ersten Gruppengegners der deutschen Nationalmannschaft in München für einige Stimmung – und konsumierten auch überdurchschnittlich gut.
Auch in der Hotellerie war der EM-Effekt spürbar, stellt der Dehoga-Bayern-Geschäftsführer fest. „Je näher man am Austragungsort dran war, desto höher war die Nachfrage.“ Allerdings spürten die Hotels auch, dass diejenigen, die sonst für einen Kultururlaub nach München kamen, fernblieben. Die meisten dürften den Urlaub aber nur verschoben haben, schätzt Geppert.
Der Handel bestellte im März Sportartikel nach
Der bayerische Einzelhandel ist ebenfalls zufrieden. „Wir hatten uns 100 bis 200 Millionen Umsatzplus erhofft – und 200 Millionen werden wir auf jeden Fall erreichen“, sagt Pressesprecher Bernd Ohlmann. Verantwortlich dafür: das zumindest weitgehend gute Wetter – und natürlich der positive Eindruck, den die deutsche Nationalmannschaft zuletzt auf ihre Fans machte. „Die Nachfrage ist riesengroß, vor allem die Trikots gehen super“, sagt Ohlmann. „Das pinke Auswärtstrikot steht aber über allem.“
Vor nicht allzu langer Zeit hatte es danach ja gar nicht ausgesehen. Wegen des schlechten Abschneidens der Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren blieben die Trikots der Vergangenheit Ladenhüter. Entsprechend bestellte der Handel sehr zurückhaltend die neuen Trikots – der Vorlauf beträgt rund ein Jahr. Doch nach den erfolgreichen Vorbereitungsspielen im März orderten die Geschäfte kräftig nach – und fühlen sich jetzt bestätigt.
Sehr zufrieden mit dem Umsatz ist man laut Ohlmann auch in den Baumärkten, vor allem in den Grillabteilungen, und im Einzelhandel. Dort wurde natürlich alles, was man zum Fußballschauen braucht, in großen Mengen gekauft. Elektronikartikel wie Fernseher waren während des Turniers ebenfalls begehrt.
Ein neues Sommermärchen war die Europameisterschaft für den Einzelhandels-Sprecher trotzdem nicht. Man müsse nur auf die Zahlen schauen, sagt Ohlmann: „Der bayerische Einzelhandel setzt im Jahr 72 Milliarden Euro um – da sind 200 bis 250 Millionen Euro nicht viel.“ Außerdem sei die Gesellschaft viel pessimistischer als bei der Heim-WM 2006. Doch es habe sicher gutgetan, sich für einige Zeit wieder hinter der Nationalmannschaft versammeln zu können. „Und das Land konnte sich präsentieren. Aus Marketingsicht ist das super.“ (Thorsten Stark)
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