Leben in Bayern

Das Jugendsinfonieorchester auf der Rückreise aus China. Im Flieger gaben die Blechbläser ein spontanes Konzert. (Foto: Odeon)

06.12.2019

Musik (f)liegt in der Luft

Während viele Erwachsenenchöre und -orchester altern, wollen immer mehr junge Menschen singen und musizieren – ein Trend nicht nur in München

Die Klagen darüber, dass Chöre, Ensembles oder Orchester in Bayern aussterben, kennt man. Doch bei den Jungen liegt das Musizieren plötzlich wieder im Trend. Woran das liegt? An gezielter Nachwuchsarbeit, sagen Experten. Am Spaß an Musik, Freundschaften und Konzertreisen rund um den Globus, sagen die jungen Menschen. Manche standen sogar bereits mit Weltstars gemeinsam auf der Bühne.

„Zzzzzzzzz“, „Brrrrrrrrr“, „Phhhzzzzzz“. Die knapp 200 Sängerinnen und Sänger des Münchner Uni-Chors beginnen wie jeden Dienstag mit dem Einsingen. Rechts die Studentinnen, links die Studenten – angeordnet nach Stimmlage: Sopran, Alt, Tenor und Bass. Immer vor Augen: das Konzert in der großen Aula zum Semesterende. „Das ist das jährliche Highlight“, schwärmt Chorleiterin Anna Verena Egger. Dabei stehen die jungen Sänger regelmäßig im Rampenlicht. Bei ihren Live-to-projection-Konzerten der Herr der Ringe-Trilogie im Gasteig sogar gemeinsam mit den Münchner Symphonikern. Und 2017 trat der Uni-Chor unter der Leitung von Ennio Morricone sogar in der Münchner Olympiahalle auf. Der weltbekannte Filmmusikkomponist war auf Youtube auf den Chor aufmerksam geworden.

Rund 100 Studierende bewerben sich jedes Semester für den Uni-Chor. Nur etwa ein Drittel davon wird genommen. Aber auch andere Musikensembles für junge Menschen haben in Bayern alles andere als Nachwuchssorgen. Während zahlreiche Erwachsenenchöre im Freistaat altern, reißen sich viele junge Menschen um einen Platz. Wie eine bayernweite Umfrage bei Chorverbänden und Kirchenchören ergab, liegt das an der gezielten Nachwuchsarbeit. „Wir haben schon vor einigen Jahren gemerkt: Auweh zwick, wenn wir nichts tun, sterben wir aus“, sagt zum Beispiel Jürgen Schwarz, Präsident des Chorverbands Bayerisch-Schwaben. Durch die Nachwuchsarbeit aber konnten viele neue Mitglieder gewonnen werden. Gleiches gilt für die bayerischen Musikschulen, die ihre Schülerzahlen in den vergangenen vier Jahren um sieben Prozent steigern konnten. Und in Würzburg vermelden die Kinder- und Jugendkirchenchöre gar Wachstumszahlen von 20 Prozent.

Im Münchner Uni-Chor bekommt jeder Sänger ein individuelles Stimmtraining. Außerdem finden regelmäßig Konzertreisen statt – nach Venedig, Paris oder St. Petersburg. „Reisen sind für die Chorgemeinschaft einzigartige Erlebnisse und unglaublich wichtig“, erklärt Chorleiterin Egger. Im Frühjahr war sie mit ihren jungen Sängern sogar in Westafrika. Dort kamen sie gut an, erinnert sich Egger. Viele Menschen hätten gleich mitgetanzt.

Aber nicht nur das Reisen ist für die jungen Menschen attraktiv. Es entstehen oft auch enge Freundschaften. Nach jeder Probe trifft sich die „Chorfamilie“ des Uni-Chors zum Stammtisch. Und zweimal im Semester findet eine Party statt. „Es gibt sogar schon Uni-Chor-Babys“, sagt Egger und lacht.

Musik macht schlau

Auch aus wissenschaftlicher Sicht lohnt es sich, zu musizieren. Es werden „intellektuelle, emotionale, motorische und soziale Fähigkeiten gleichermaßen trainiert – also fast alle Hirnregionen samt dem Körper“, sagt etwa der Münchner Musikwissenschaftler Hartmut Schick. Und es wird noch besser: Wer schon als Kind intensiv ein Instrument erlernt hat, habe schon früh geübt, seine Lebenszeit besser zu organisieren und zu nutzen als andere, erklärt Schick. Der Musikprofessor sieht es deshalb nicht als Zufall an, dass es eine recht stabile Relation zwischen musikalischen Begabungen und Schul- beziehungsweise Studienerfolgen gibt.

Den jungen Menschen zwischen 15 und 25 Jahren vom Jugendsinfonieorchester Odeon ist das allerdings recht egal. Die Idee zum Orchester entstand in einer „euphorischen Feierlaune“ auf einer Gartenparty mit jungen Musikern, erzählt Gründungsmitglied Lukas Werle. „Dass uns diese Euphorie bis in die Oper von Santiago de Chile, die Münchner Philharmonie und den Wiener Musikverein tragen sollte, wagte damals noch keiner zu glauben.“ 2018 ging es für das 77-köpfige Orchester sogar zwei Wochen auf Tournee nach China. Vor der Landung in München gab es überraschend noch ein siebtes Konzert in Form einer spontanen Einlage der Blechbläser an Bord des Flugzeugs.

Vereine hängen oft vom Engagement Einzelner ab

Auch wenn in Deutschland der Staat laut Musikwissenschaftler Schick die Musik fördert wie sonst kaum ein anderes Land auf der Welt, hängen Vereine und Projekte häufig vom persönlichen Engagement Einzelner ab, sagt er. So auch bei den Munich Classical Players, ein Kammerorchester bestehend aus Studierenden der Musikhochschule. Ins Leben gerufen hat es der 23-jährige Maximilian Leinekugel. „Oft gilt die Klassik ja leider als veraltet und langweilig“, sagt er. „Dabei kann klassische Musik auch heute noch aktuell und packend sein.“ Wie bei jeder Musik gehe es um Emotionen und persönliche Gefühle. Um auch andere junge Menschen an die klassische Musik heranzuführen, hat Leinekugel in seiner Heimatgemeinde Vaterstetten in Kooperation mit der dortigen Musikschule ein Jugendorchester gegründet. Für sein Engagement erhielt er 2018 den Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung.

Auch das meist 100-köpfige Münchner Abaco-Orchester ist kreativ, was die Verwirklichung von Projekten betrifft. Um Mahlers Sinfonie Nr. 2 mit über 400 Sängerinnen und Sängern in der Philharmonie im Gasteig aufzuführen, haben die jungen Leute zum Beispiel eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Denn die Saalmiete hätte das Budget des Orchesters schlicht überstiegen. Das Besondere am Abaco-Orchester ist, dass dort nicht nur Studierende, sondern auch junge Berufstätige willkommen sind. Außerdem wird Wert auf demokratische Entscheidungen gelegt: „Das Hauptwerk wird vom Orchester gewählt, der Dirigent beim Vordirigieren ausgewählt und dieser auch jährlich bestätigt oder abgelehnt“, erklärt Katharina Bömers. Neben Konzertreisen nach Mallorca oder zum französischen Festival International de Musique Universitaire wird auch immer wieder experimentiert. So wurden die Songs der Band Donnerbalkan von jungen Komponisten umarrangiert. „Wir haben teilweise während des Geigespielens gesungen, getrommelt oder getanzt“, erinnert sich Bömers. Das ist für ein Symphonieorchester recht ungewöhnlich.

Einzigartig ist auch der Akademische Gesangverein München (AGV). Dabei handelt es sich um eine musische Studentenverbindung, gegründet bereits 1861 als Chor. Heute unterhält der AGV zehn Musik- und Theatergruppen, von Bigband bis zum Blasorchester. Auch beim AGV geht es aber nicht nur um Musik, sondern ebenso um die Gemeinschaft. Er besitzt neben dem Haus am Marienplatz auch eine Berghütte auf dem Garmischer Hausberg und ein Segelgrundstück am Ammersee.
(David Lohmann)

Weitere Anlaufstellen für Musikinteressierte in München sind das Studentenorchester StOrch, das Palestrina Ensemble München, das Ensemble MünchenKlang, die Jungen Münchener Symphoniker, der Akademische Orchesterverband, das Symphonische Ensemble München, das Sinfonieorchester der Münchener Universitäten Sinfonietta oder das Münchener internationale Orchester, das sich besonders an Austauschstudierende und Gastwissenschaftler richtet.

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