Leben in Bayern

Beeindruckend: Blick auf das zentrale Deckengemälde „Apollo und die neun Musen“ nach abgeschlossener Konservierung und Restaurierung. (Foto: dpa)

29.07.2016

Neuer Glanz mit alten Macken

Das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth wird renoviert – das Ziel dabei: Die Geschichte des Hauses soll ablesbar bleiben

Aus einem Radio dröhnt Toto: Hold the line, love isn’t always on time, hallt es durch den 266 Jahre alten Bühnenraum des Markgräflichen Opernhauses in Bayreuth. Wo einst Barockopern aufgeführt wurden, wuseln Gerüstbauer herum. Klassische Musik wird dort erst in zwei Jahren wieder zu hören sein, dann soll dieses laut UNESCO „einzigartige Monument der europäischen Fest- und Musikkultur des Barock“ eröffnet werden –  nach einer Sanierung für insgesamt fast 33 Millionen Euro.

Die Decke und der vierte Rang sind bereits fertiggestellt. Was sichtbar wird, ist ein überwältigender Augenschmaus. „Das ist schon etwas anderes, als ein Bürogebäude zu bauen“, sagt Michael Erhard bei einer Baustellenführung. Erhard ist Abteilungsleiter im Staatlichen Bauamt und verantwortlich für die Sanierung des barocken Kleinods. In epischer Breite kann er über Bühnenarchitektur im 18. Jahrhundert, das Verhalten von frischem Holz, das hier zwischen 1745 und 1750 verbaut wurde („Es arbeitet dauernd“), und das Verhalten von Opernbesuchern im 18. Jahrhundert („Die haben hier richtig gefeiert“) erzählen.

2012 hat die UNESCO das Opernhaus der Markgräfin Wilhelmine zum Kultur-Welterbe erklärt, weil es „eines der wichtigsten architektonischen Zeugnisse der absolutistischen Gesellschaft im 18. Jahrhundert und in seiner ursprünglichen Form und Gestalt unverändert erhalten“ ist. Dass es gleich nach der Ernennung geschlossen wurde, war ein Schwabenstreich: Gerüste, Kran und Baucontainer mitten in der Stadt, das Weltkulturerbe zu, wenn Menschen aus aller Welt zum 200. Geburtstag von Richard Wagner durch Bayreuth pilgern? Kopfschütteln überall. Die Schlösserverwaltung sah das Problem nicht: Was hat Wagner mit Wilhelmine zu tun?

Ohne sie aber wäre der Komponist nie auf das oberfränkische Städtchen gekommen: Bei der Suche nach einem Ort für seine Weihefestspiele wurde Richard Wagner das einstige Markgräfliche Theater empfohlen. Das Haus gefiel ihm nicht, wohl aber das Städtchen. Nur ein Jahr nach Wagners Bayreuth-Besuch wurde der Grundstein für das Festspielhaus auf dem grünen Hügel und damit für die heutige Bekanntheit der Stadt gelegt.

Damit knüpfte die Stadt an den Ruhm vergangener, barocker Zeiten an: Wilhelmine von Brandenburg-Bayreuth, stets als Lieblingsschwester von Friedrich dem Großen tituliert, versuchte nach ihrer Verheiratung in die Provinz, sich selbige schön zu machen: Sie war Opernintendantin, Komponistin und Baumeisterin. Sie stand in Kontakt mit Voltaire und wohl auch mit ihm auf der Bühne in Bayreuth. Sie schuf eine kleine Eremitage samt barockem Park und Felsengrottentheater, ein neues Schloss und holte den damals führenden Theaterarchitekten Giuseppe Galli Bibiena nach Bayreuth, der ihr ein Opernhaus baute, das mit Wien, Dresden und Paris mithalten konnte.

Zum Einsatz kommt die Schwimmblase des Störs

Wer heute Wilhelmines Zuschauerraum, das „Logenhaus“ betritt, kann sich trotz Dämmerlicht, Gerüst und Planen dem Zauber nicht entziehen: sanft schimmernde Farben, üppige Verzierungen, illusionistische Malerei, Stuck und Schnitzerei. Das ist der Eindruck aus der Ferne, aus der Nähe werden die Spuren der Jahrhunderte sichtbar: Farbe blättert in großen Schollen von Holzträgern und Leinwänden. Weil es 1745 offenbar schnell gehen musste und frisch geschlagenes, also noch feuchtes Holz verbaut wurde, bekam es schnell Risse, die heute noch überall sichtbar sind. „Das ganze Haus bewegt sich seit 270 Jahren und wir müssen schauen, dass es sich weitere 280 bewegen kann“, sagt Martin Hess, Fachbauleiter Restaurierung. Der Schwerpunkt der Arbeiten liegt auf der Konservierung, also auf der Erhaltung des originalen Bestands aus dem 18. Jahrhundert. Die Risse bleiben – wenn sie nicht statisch gefährlich sind – einfach offen. Die gelockerte barocke Malerei retten die Restauratoren mit der Schwimmblase des Störs: Sie wird erwärmt und festigt und verbindet die originalen Farbschichten wieder mit dem Bildträger. Doch zuvor müssen Übermalungen und ölhaltiges Holzschutzmittel, das erst in den 1960-er Jahren großflächig im ganzen Haus aufgetragen wurde und einen dunkelbraunen Schleier über alles gelegt hat, entfernt werden.

12 Restauratoren sind damit beschäftigt. „Es ist wunderbar, in so einem Kunstwerk zu arbeiten“, sagt Martin Hess, „aber es ist auch knallharte Arbeit“: Über Jahre bei künstlicher Beleuchtung und rauschender Absaugeinrichtung, in Schutzanzug und Atemmaske, in anstrengender Haltung – wie Anja Eichler, eine Restauratorin aus Dresden, die zwei Jahre über Kopf am Deckengemälde gearbeitet hat.

„Unsere Materialien sollen später leicht entfernbar sein“, erklärt Melissa Speckhardt, ebenfalls Fachbauleitung der Restaurierung, den Unterschied zu früheren Maßnahmen. Es war lange üblich, die Schäden zu übertünchen, damit alles wie neu glänzte. „Das hat unsere Sehgewohnheiten geprägt“, sagt Restaurator Martin Hess. „Wir wollen die hervorragend erhaltenen barocken Oberflächen des Logenhauses mit ihren Gebrauchsspuren zeigen“, sagt Speckhardt. Die Philosophie dahinter: „Die Alterungsspuren haben ihren eigenen Wert. Die Geschichte des Hauses soll ablesbar sein.“

Überreste von den Partys des 18. Jahrhunderts: Hühnerknochen in den Logen

Die Geschichte des Hauses ist bis heute eine wechselhafte: Theater- und Festraum der Wilhelmine – eher Party als steife Oper, so war das im Barock üblich und Überreste von Hühnchenknochen in den Logen sprechen dafür. Dann Lagerstätte und Pferdestall für Napoleons Truppen, Konzertbühne und Filmset für den oscarnominierten Kostümfilm Farinelli. Zuletzt im November 2014 eine Art Schwimmbecken, als nach einem Wasserrohrbruch an einem Samstagabend vier Stunden lang rund eine Million Liter Wasser in den Orchestergraben und den Keller liefen, bis es einer merkte. Speckhardt zeigt mit Daumen und Zeigefinger, wie knapp das war: „Buchstäblich einen Zentimeter unter der Malerei hat das Wasser aufgehört.“

Im April 2018 soll der Theaterbetrieb wieder aufgenommen werden – für ein Publikum von etwa 550 Personen. So viele waren im 18. Jahrhundert allein in den oberen Rängen unterwegs. Aber eine Versammlungsstättenverordnung und den TÜV gab es 1750 noch nicht. Nur noch zwischen Mai und Oktober soll das Opernhaus künftig bespielt werden. Das ständige Aufheizen und Abkühlen macht dem Holz immer noch zu schaffen. Trotzdem muss eine neue Heizung sein: „In der Kirche erwarten die Leute, dass es kalt ist, aber in die Oper mag sich keiner im Mantel setzen“, sagt Erhard, während nun Midnight Oil aus dem Radio quäkt. (Anja-Maria Meister) Foto (dpa): Melissa Speckhardt erklärt: Schäden werden nicht übertüncht.

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