Leben in Bayern

Auch der Spaß darf bei der Arbeit in der Klinik nicht zu kurz kommen, so sei alles leichter zu ertragen, sagt die ehemalige Notaufnahmeschwester Ingeborg Wollschläger. (Foto: Privat)

17.07.2020

Notizen einer Gefrusteten

20 Jahre hat die Würzburger Krankenschwester Ingeborg Wollschläger in der Notaufnahme gearbeitet – bis es ihr vor zwei Jahren reichte

Ingeborg Wollschläger hat über ihren Arbeitsalltag als Notaufnahmeschwester ein Buch geschrieben – auch damit ihr Beruf endlich mehr Aufmerksamkeit findet. Was ihr in ihrem Job immer besonders wichtig war: Vertrauen schaffen und Patienten die Angst nehmen. Die Ökonomisierung der Kliniken aber habe ihren Beruf kaputtgemacht, kritisiert die Würzburgerin.

Die Notaufnahmeschwester – das wäre kein schlechter Titel für eine Vorabendserie. Eine Menge Blut und Sexappeal. Pflaster, Verbände und aufopferungsvolle Zuwendung. Geguckt werden aber lieber Arztserien: In aller Freundschaft zum Beispiel, oder legendär: Die Schwarzwaldklinik. Ärzte – und Ärztinnen – haben einfach mehr Glamour.

Dass man sich seit Januar dieses Jahres nicht mehr zum Gesundheits- und Krankenpfleger, sondern zum Pflegefachmann beziehungsweise zur Pflegefachfrau ausbilden lässt, ändert am Status wenig. Auch Corona hat den Beruf wohl nur vorübergehend ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Der Job ist hart, aufreibend und voller Herausforderungen. Er erfordert Mut, Zähigkeit und – bei allem Idealismus – auch sehr viel Realitätssinn. Das zeigt der Blick hinter die Kulissen, den die Würzburger Notaufnahmeschwester Ingeborg Wollschläger jetzt gewährt. „Seien Sie unerschrocken!“, schreibt Ingeborg Wollschläger am Anfang ihres gerade im Penguin Verlag erschienenen Buches Die Notaufnahmeschwester.

Die Würzburgerin hat 30 Jahre als Krankenschwester gearbeitet. Über 20 Jahre war Wollschläger, Mutter dreier Söhne, in der Notaufnahme einer Würzburger Klinik tätig. Ihr Handwerk, erzählt sie, hat sie noch in einem christlichen Haus gelernt, mit Häubchen auf dem Kopf. „Krankheitslehre und Sockenordnung standen fast gleichberechtigt auf dem Stundenplan.“ Als junge Frau hat ihr das nicht immer gefallen. Aber wie es so ist: Jahre später brachte sie ihren Schüler*innen ganz ähnliche Dinge bei. Denn Ordnung und Struktur, auch das lernte sie schnell, bieten gerade dann, wenn die Welt ein bisschen Kopf steht, den richtigen Halt. Und in der Notaufnahme passiert das häufig genug.

Vieles ist auch einfach fies in der Pflege, berichtet Wollschläger. „Körperausscheidungen jeglicher Art. Gerüche. Fremdes Leid. Geschrei und Gezeter. Man gewöhnt sich an fast alles“, sagt sie. Der Ekel und der Grusel vor manchem aber blieben. „Aber das ist eben auch Teil des professionellen Arbeitens“, so die Würzburgerin, „nicht laut schreiend aus dem Raum zu rennen.“

Es ist nicht das erste Mal, dass Wollschläger aus dem Inneren der Notaufnahme berichtet. Als Bloggerin hat sie schon eine ganze Weile Erfolg. War für notaufnahmeschwester.com 2017 sogar für den Grimme Online Award nominiert. Dort erzählte sie zum Beispiel, wie dort immer wieder Menschen aufschlagen, die dort eigentlich gar nicht hingehören. 116117 – diese bundeseinheitliche Telefonnummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes habe sich wohl schlicht noch nicht durchgesetzt, vermutet Wollschläger.

„Der Wert der Pflege ist noch immer nicht angekommen“

Dazu kommt: Die Leute, die dort aufschlagen, seien oft wahnsinnig ungeduldig, so Wollschläger. Man werde aber nun mal in der Notaufnahme nach Dringlichkeit behandelt, nicht nach Reihenfolge des Erscheinens. Dafür sei das Verständnis häufig nicht vorhanden.

Und noch etwas ist Wollschläger aufgefallen: Dass viele junge Erwachsene Krankheiten heute nicht einfach ausheilen lassen, sondern beim geringsten Unwohlsein zu Notfalltropfen greifen. Als sei nicht nur das Vertrauen in die klassische Medizin, sondern auch eine Grundkenntnis vom Körper verloren gegangen, der ja Erkältungen bekanntlich mit und ohne Behandlung gleich schnell in den Griff bekommt, so die Expertin.

Aber in der Notaufnahme gibt es selbstredend auch viele schwere Fälle. Unfallopfer, die dem Tod sehr nah sind. Aber auch Menschen, die wieder und wieder kommen, weil sie ihr Leben einfach nicht auf die Reihe kriegen. Dazu viele Betagte und Hochbetagte, Menschen mit Alzheimer oder anderen demenziellen Syndromen, die besonders viel Aufmerksamkeit bräuchten, so Wollschläger. Ruhe und Gelassenheit.

Und da sind auch manchmal die ganz großen Fragen. Ist das, was man da tut, noch echte Hilfe? Oder nimmt man einem sehr alten, gebrechlichen Menschen die Würde, wenn man ihn reanimiert? „Ach, es ist kompliziert!“, stöhnt Wollschläger. Zu oft habe sie erlebt, dass todkranke Menschen übertherapiert wurden und schließlich auf der Intensivstation starben, statt in Ruhe daheim. Und ebenfalls sehr belastend: die große Verantwortung. Auch das Personal in einer Notaufnahme kann sich mal irren. „Das ist schlimm. Es lässt einen nicht mehr los“, betont die Würzburgerin. Oft sei es aber zum Glück so, dass es jemand anderem auffalle, was man selbst etwas übersieht.

Ohnehin sei alles leichter zu ertragen, wenn die richtigen Kollegen zusammenarbeiten, erzählt Wollschläger. Fiese Scherze, rabenschwarzer Humor – das gehöre dazu. Auch eine manchmal rauere Sprache, mit der man aber der Drastik des Geschehens durchaus gerecht werde. Dazu komme allerdings eine ganz konkret gelebte Barmherzigkeit – das alles zusammen genommen mache diesen Beruf so besonders, schwärmt Wollschläger. Mache dessen „Schönheit“ aus.

Und doch: Vor zwei Jahren, mit Ende vierzig, hat sich Wollschläger beruflich umorientiert. Vertrauen schaffen und die Angst nehmen – das sei ihr immer besonders wichtig gewesen, sagt die Würzburgerin. „Den Rest übernimmt die moderne Medizin.“ Aber der Beruf, kritisiert sie, sei der Ökonomisierung zum Opfer gefallen. Der Wert der Pflege in der Gesellschaft sei immer noch nicht angekommen. Auch deshalb habe sie sich einen neuen Arbeitgeber gesucht – jetzt ist Wollschläger als Seniorenreferentin bei der Würzburger Evangelischen Kirchengemeinde St. Johannis beschäftigt. Sie fühle sich, als habe sie damit das große Los gezogen, erzählt Wollschläger. Denn nun habe sie in ihrem Job Zeit für echte „Beziehungsarbeit“.

Weil am Anfang der Corona-Pandemie die alten Menschen, die sie betreute, nicht mehr besucht werden durften, rief Wollschläger in den sozialen Netzwerken dazu auf, den alten Menschen Briefe zu schreiben. 300, 400 Briefe stapelten sich bald in ihrem Büro. Unter den Einsendungen waren Kräutersäckchen und Gedichte. Eine Gruppe Jugendlicher hatte auch Ausmalbilder geschickt, damit die alten Leute Beschäftigung hatten. Wollschläger erzählt mit großer Begeisterung von ihrer neuen Arbeit. Nicht ausgeschlossen, dass diese neuen Erfahrungen das Fundament für ein nächstes Buch bilden. Einen Instagram-Account namens Die alten Tage gibt es bereits.

Die ehemaligen Kolleg*innen, die während der Corona-Krise in der Notaufnahme arbeiten, beneidet Wollschläger indes nicht. Denn mit der Isolierung von kranken Menschen und der Schutzausrüstung sei der Beruf noch stressiger geworden. „In kompletter Schutzkleidung wird einem warm. Sehr warm“, so Wollschläger. Man fühle sich, als hätte man einen Wollpullover an – über einem anderen Wollpullover. Dazu kämen die aufgrund der Krise verlängerten Arbeitszeiten und die gesenkten Personaluntergrenzen. „Es liegt so vieles im Argen!“, ärgert sie sich. (Monika Goetsch)

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