Leben in Bayern

Sven Heublein muss sich auf die Zehenspitzen stellen, um in den Garten der Villa an der Wielandstraße zu spähen. (Foto: Nikolas Pelke)

18.06.2021

Operation Geheimdienst-Villa

In Nürnberg verfällt ein ehemaliges Domizil des BND – Sven Heublein setzt sich mit seinem Bürgerverein seit Jahren für den Erhalt des mondänen Denkmals ein

Um das Bauwerk ranken sich einige Mythen. So soll zum Beispiel in der Nürnberger Villa der Informant „Curveball“ den Amerikanern die Rechtfertigung für den Einmarsch in den Irak geliefert haben. Aber nicht allein deshalb ist der CSU-Kommunalpolitiker Sven Heublein so fasziniert von dem Gebäude. Ihm geht vor allem gegen den Strich, dass es seit Jahren ungenutzt vor sich hin gammelt. 

In Nürnberg steht eine geheimnisvolle Villa seit Jahren leer. Noch heute steht „Hauptstelle für Befragungswesen“ auf dem verwaisten Briefkasten der Geheimdienst-Villa im Stadtteil St. Johannis. Das Amt, eine dem Bundesnachrichtendienst (BND) zugeordnete Dienststelle, soll sich bis zu seiner Auflösung am 30. Juni 2014 um Informationen von Asylbewerber*innen aus für den Geheimdienst interessanten Ländern wie Afghanistan, Syrien oder Somalia bemüht haben.

In Nürnberg geht das – ziemlich gesicherte – Gerücht um, dass in der geheimnisvollen Villa ein Informant namens „Curveball“ von rollenden Labors auf irakischen Lastwägen zur Herstellung von biologischen Massenvernichtungswaffen berichtet hat. Und der amerikanischen Bush-Regierung damit den Casus Belli für den Einmarsch im Irak zum Sturz von Saddam Hussein – quasi von Nürnberg aus – vor die Füße gelegt hat. Das Amt selbst aber soll immer abgestritten haben, zum BND zu gehören.

In der Villa gingen früher wie von Geisterhand die Lichter an und aus

Im Jahr 2014 – also genau dem Jahr, als die Hauptstelle für Befragungswesen aufgelöst wurde –, zog Sven Heublein nach St. Johannis, als frischgebackener Büroleiter eines CSU-Bundestagsabgeordneten. Damals hatten ihm die Spezl aus der CSU die kuriose Story mit der geheimnisvollen Spionage-Villa in der Wielandstraße gesteckt. Erst habe er die Geschichte mit dem Geheimdienst nicht glauben wollen, erzählt er. Dann aber habe er gehört, dass die Lichter in der Villa wie von Geisterhand immer an- und ausgingen. Sie wurden per Zeitschaltuhr gesteuert. Damals habe er auch zum ersten Mal davon gehört, dass sich unter der Terrasse der Villa eine Tiefgarage befinden soll.

Und dann wurde es erst einmal still um die Geister-Villa. Heublein hat das Gras im Garten immer höher wachsen und die Mauer langsam verfallen sehen. Bis es ihm irgendwann zu bunt geworden ist. „Es kann ja wohl nicht sein, dass eine solche tolle Villa hier einfach völlig ungenutzt verfällt und leer steht“, habe er sich gesagt. Und der Stadt als Vorsitzender des Bürgervereins in St. Johannis den Vorschlag unterbreitet, das Anwesen vom Bund zu erwerben, um etwas daraus zu machen.

Doch die Stadt habe schnell abgewunken und auf die hohen Kosten verwiesen. „Drei Millionen Euro für die Villa, drei Millionen für die Renovierung“, taxiert Heublein den Preis der denkmalgeschützten Immobilie, die 1912 der jüdische Fabrikant Angelo Hirsch von einem renommierten Nürnberger Architekten inklusive Wappentier aus Stein über dem Hauptportal errichten ließ. Nach dem Ersten Weltkrieg sollen die Hirschs ihr Glück in New York gesucht und die mondäne Villa in St. Johannis nur noch als Sommerresidenz genutzt haben. Später ist eine Pension in den Prachtbau eingezogen, in der NS-Granden während der Reichsparteitage logiert haben. Der Name von Angelo Hirsch ist in der braunen Ära aus dem Relief gemeißelt worden. Gegen den Hirschen über der Eingangstür haben die Nazis offensichtlich aber nichts gehabt.

Später nach dem Krieg sind erst die Amerikaner und danach die deutschen Schlapphüte in die prächtige Villa eingezogen, die auf den ersten Blick noch immer einen tadellosen Eindruck macht. Lediglich die Mauer rund um die Villa scheint einsturzgefährdet zu sein. Sie ist deshalb vor einiger Zeit mit einem grünen Netz zum Schutz der Passanten vor herabfallenden Steinen abgesichert worden.

„Man müsste halt mal einen Gärtner engagieren“, sagt Sven Heublein und stellt sich auf die Zehenspitzen, um über die Mauer in den verwilderten Garten blicken zu können. Damit der Prachtbau nicht weiter verfällt, hat er mit seinem Bürgerverein kürzlich einen neuen Anlauf zur Rettung der Villa unternommen und seine Parteifreunde auf das Thema aufmerksam gemacht. Nicht nur als CSU-Chef im Ortsverband der Nürnberger Altstadt hat Heublein einen kurzen Draht in die Spitzen der Politik. Heublein hat auch schon als Geschäftsführer den CSU-Bezirksverband geleitet. 2020 kandidierte er überdies auf der CSU-Liste für den Nürnberger Stadtrat. Er hat damals Bilder von bepflanzten Baumscheiben oder aufgesammelten Zigarettenkippen in seinem Facebook-Profil gepostet. Mit der Wahl hat es trotzdem nicht geklappt. „Vielleicht wohne ich im falschen Stadtteil“, sagt Heublein und lacht. Im urbanen St. Johannis ist zuletzt viel Grün, Rot und Links gewählt worden.

Vielleicht ist die Niederlage aber auch ein Stück weit der Tatsache geschuldet, dass er vor der Wahl seinen Mann geheiratet hat. Aber daran glaubt Heublein eigentlich nicht. Seit seinem Coming-out mit 16 Jahren sei er wegen seiner Homosexualität außer beim Blutspenden noch nie diskriminiert worden, betont er.

Der Bund zeigt kein Interesse daran, dass die Villa wieder genutzt wird

Dass es mit der Wahl in den Stadtrat nicht geklappt hat, hat ihn trotzdem gewurmt. „Ich könnte es mir einfach machen und mich mit einem Plakat vor die Villa stellen und eine Kita oder Künstlerateliers fordern“, sagt Heublein. Stattdessen wäre er auch zufrieden, wenn nicht die „gute“ öffentliche Hand, sondern ein vermeintlich böser, weil vermögender Bürger die Villa kaufen und damit vor dem Verfall retten könnte. Er finde es einfach realistischer, dass ein privater Liebhaber die Villa kauft, als davon zu träumen, dass dort ein Begegnungszentrum für häkelnde Flüchtlinge entstehe.

Heublein hat den Nürnberger CSU-Bundestagsabgeordneten Sebastian Brehm mit ins Rettungsboot geholt, um den Bund nach über fünf Jahren langsam doch noch mal wachzurütteln. Eine Zeit lang habe die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) wohl die Idee verfolgt, die Villa als repräsentative Dienstwohnung zum Beispiel für den Chef der Nürnberger Bundesarbeitsagentur oder den Präsidenten des ebenfalls in Nürnberg beheimateten Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu nutzen. Diese Idee sei wohl nicht weiter verfolgt worden, um dem Bund der Steuerzahler keine Steilvorlage für das nächste Schwarzbuch zu liefern, schätzt Heublein.

Große Hoffnung auf eine schnelle Entscheidung des Bundes hat Heublein daher eher nicht. „Ich habe den Eindruck, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ein wahnsinnig reservierter und intransparenter Laden ist“, sagt er.

Bis sich rund um die alte Villa endlich etwas Neues tut, will sich Heublein für andere schöne Bauwerke und exklusive Denkmäler einsetzen. Und die bepflanzte Baumscheibe vor seiner Altbauwohnung pflegen. Auch achtlos auf den Boden geworfene Kippen sammelt er weiterhin von den Bürgersteigen auf. Nicht weil er hofft, so mehr Stimmen bei der nächsten Stadtratswahl zu bekommen. Sondern weil er die Fahne des bürgerlichen Engagements hochhalten will, wie er sagt.

Und er kämpft weiter für eine Nutzung der Geheimdienst-Villa mit ihrer mysteriösen Vergangenheit. Auch wenn es für einen Politiker populärere Themen geben könnte, als ein Gebäude vor dem Desinteresse des Bundes zu bewahren.
(Nikolas Pelke)

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