Leben in Bayern

Peter Lange mit der Urkunde, die bescheinigte, dass er aus der Staatsbürgerschaft der DDR, die er nie wollte,„entlassen“ wurde. (Foto: André Paul)

04.12.2020

Plötzlich schnappte die Falle zu

Die Stasi zwang den Niederbayern Peter Lange bei einem Besuch, DDR-Bürger zu werden – er wurde sechs Jahre an der Ausreise gehindert

30 Jahre nach der Wiedervereinigung erzählt Peter Lange aus dem Landkreis Landshut seine Geschichte, die wie ein Agentenroman klingt. Die Stasi zwang ihn bei einem Besuch 1969, die Staatsbürgerschaft der DDR anzunehmen. Sonst würde er wegen Spionage und eines geplanten Anschlags verhaftet. Darauf stand die Todesstrafe. Sechs Jahre lebte Lange deshalb unfreiwillig in der DDR – bis er auch dank eines CSU-Politikers freikam.

Ob er ein Ossi oder ein Wessi ist, das kann Peter Lange wohl selbst nicht so genau sagen. Ist doch die Geschichte des 73-Jährigen aus Geisenhausen im Landkreis Landshut nicht nur ein emotionales, sondern auch ein physisches Hin und Her zwischen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik. Die kuriose Geschichte des Rentners begann bereits in der Kindheit. Seine Mutter, die aus Niederbayern stammte, zog nach dem Krieg in die sowjetische Besatzungszone. Die junge Frau war schwanger und sie heiratete den Vater des Kindes, der im Erzgebirge lebte. Doch der Ehe war kein Glück beschieden. Sein Vater sei ein notorischer Schürzenjäger gewesen, meint Peter Lange mit traurigem Lächeln. Die Eltern ließen sich scheiden und zunächst blieb seine fortan alleinerziehende Mutter mit ihm in der DDR. Doch im Jahr 1958 zog sie mit ihrem Buben wieder zu ihrer Familie nach Bayern zurück. Noch ging das, die Mauer wurde erst vier Jahre später gebaut.

Sein Vater lebte in der DDR – ihn besuchte Lange oft

Lange reiste regelmäßig ins Erzgebirge, um seinen Vater und die Großeltern zu besuchen. Während eines Ost-Urlaubs lernte er ein Mädchen kennen, die jungen Leute verliebten sich und das Mädchen wurde schwanger. Das war 1969. Lange war inzwischen Soldat bei der Bundeswehr. Und für Angehörige des westlichen Militärs war eine Reise in die DDR ausgeschlossen – eigentlich. Doch dann kam eines Tages ein Schreiben der DDR-Behörden bei ihm in Niederbayern an, das eine „einmalige Einreise“ anlässlich der Geburt des gemeinsamen Kindes und einen Besuch bei der Freundin im Erzgebirge für zulässig erklärte. „Da hätte ich eigentlich schon misstrauisch werden müssen, dass man mich schon länger beobachtet“, erinnert sich Lange heute. Und tatsächlich: Als er am ersten Abend bei den Eltern der Freundin im Wohnzimmer saß, klingelte es an der Tür: Zwei Männer vom Ministerium für Staatssicherheit standen draußen. Wie er sich das vorstelle mit seinem weiteren Leben, wollten die Agenten wissen. Er wolle mit seiner Freundin und dem gemeinsamen Baby nach Bayern ausreisen, antwortete der junge Mann. Das könne er vergessen, antworteten die Stasi-Männer bestimmt. Er dürfe aber seine kleine Familie in der DDR besuchen, wann immer er wolle, „wir sind ja keine Unmenschen“, sagten sie.

Der Kompromiss schien annehmbar, „zumal ich die Hoffnung hatte, dass ich meine Familie irgendwann mal in der Tschechoslowakei treffen und wir von dort aus über Österreich gemeinsam abhauen können“, berichtet Lange. Eine Weile ging der kleine Grenzverkehr gut – doch eines Tages schnappte die Falle zu. „Die Stasi ließ mich nicht mehr ausreisen. Ich wurde festgehalten und man erklärte mir, dass ich der Spionage für die Bundesrepublik und des Versuchs, das Trinkwassernetz in der DDR mit Gift zu versetzen, angeklagt werden könnte.“ Im schlimmsten Fall hätte darauf die Todesstrafe gestanden. Einziger Ausweg: Er müsse sich bereit erklären, Bürger der DDR zu werden, so die Stasi.

In seiner Not willigte Peter Lange ein. Zum dritten Mal also zog er von einem Deutschland ins andere. Für den DDR-Geheimdienst war der Coup mit mehreren Vorteilen verbunden. Zum einen gewann der unter notorischem Fachkräftemangel leidende Staat eine gut ausgebildete Arbeitskraft, Lange musste seinen Dienst in den Sachsenring-Werken in Zwickau antreten, wo die ostdeutsche Automarke Trabant gefertigt wurde. Außerdem konnte die Stasi Langes beschlagnahmten Führerschein, Personalausweis und Reisepass nutzen, um ihre Spione in der Bundesrepublik damit auszustatten.
Und natürlich versuchten die Agenten, ihn auszuhorchen. „Die wollten von mir unter anderem wissen, wie meine Offiziere in der Kaserne heißen, wo ich meinen Wehrdienst ableistete, ob ich was über sie wisse. Und einen Lageplan der Kaserne sollte ich auch zeichnen.“ Peter Lange weigert sich. Formal konnte auch die Stasi dagegen erst mal nichts tun: Ein anderes Land nicht zu verraten war auch nach den Gesetzen der DDR keine Straftat.

Die nächsten Jahre versuchte Peter Lange, das Beste aus seinem unfreiwilligen Aufenthalt in der DDR zu machen. Er heiratete seine Freundin und lebte ein privat zurückgezogenes Leben, ein zweites Kind wurde geboren. Zunächst stellte er immer wieder Ausreiseanträge – was grundsätzlich legal war. Doch signalisierte ihm die Stasi, dass man ihm und seiner Frau das Sorgerecht für die Kinder entziehen würde, sollte er nicht damit aufhören.

Die Stasi drohte, ihm seine beiden Kinder zu nehmen

Und dann kam die Nacht des 8. Juli 1973, die schlimmste seines Lebens, wie er sich noch heute unter kaum zurückgehaltenen Tränen erinnert. Peter Lange wachte auf, als er seine neben ihm schlafende Frau verzweifelt nach Luft röcheln hörte. Es war ein schwerer Infarkt, die junge Mutter litt seit ihrer Kindheit an einer Herzerkrankung. Der herbeigerufene Arzt konnte nicht mehr helfen. Langes Frau starb mit nur 24 Jahren. Nun war er ein Witwer mit zwei kleinen Kindern in einem Land, in dem er nie leben wollte.

Lange nahm seinen Kampf um die Ausreise in die Bundesrepublik wieder auf – ungeachtet der erneuten Drohung der Stasi, ihm die Kinder wegzunehmen. Seine Mutter daheim in Niederbayern stand ihm zur Seite und organisierte prominente politische Unterstützung: Der damalige Landshuter Oberbürgermeister Josef Deimer (CSU), der als Präsident des Städtetags über gute Kontakte zur Bundesregierung verfügte, setzte sich in Bonn für den jungen Vater ein. Zwei Jahre dauerte das politische Tauziehen, dann war Deimer mit seinen Bemühungen erfolgreich. Wohl auch, weil die DDR inzwischen die KSZE-Schlussakte von Helsinki unterzeichnet und sich – wenigstens auf dem Papier – zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet hatte. Dem Ausreiseantrag von Peter Lange wurde endlich stattgegeben. Auch seine beiden Kinder durfte er mitnehmen.

Eine weitere Merkwürdigkeit gab es freilich: Peter Lange besaß noch immer seinen Opel, den er fuhr, als man ihn 1969 gegen seinen Willen in der DDR festgehalten hatte. Es war zwar inzwischen nicht mehr das neueste Modell, aber im Land der Trabant-Fahrer war er begehrt. Weil die Ausfuhr von Westprodukten aus der DDR verboten war, musste Lange das Auto vor seiner Ausreise verkaufen. Und der Staat bestand dabei auf sein behördlich garantiertes Vorkaufsrecht – und zwar nur gegen wertloses DDR-Geld, mit dem Lange in Bayern nichts hätte anfangen können. „Wenige Tage vor unserer Abreise stand plötzlich Alexander Schalck-Golodkowski bei uns vor der Tür“, berichtet Lange. Der korpulente, immer mit Sonnenbrille auftretende mysteriöse Mann unterstand direkt Geheimdienstminister Erich Mielke und galt als skrupelloser, mit Erpressung und Drohung arbeitender Händler. Nach der Wende lebte er in einer luxuriösen Villa am Tegernsee. Schalck-Golodkowski beschlagnahmte den Opel.

Am 15. August 1975 durfte Peter Lange die DDR verlassen. Bis heute hat er die Ausreisegenehmigung der ostdeutschen Behörden aufbewahrt. Am Grenzübergang in Hof nahm seine Mutter ihn und die Enkel weinend und glücklich in Empfang. Es war Langes vierter und letzter deutsch-deutscher Wechsel.

Neben Langes Mutter standen zwei Männer vom Bundesnachrichtendienst, die ihn diskret zur Seite nahmen. Lange erzählte ihnen in einer Kurzfassung seine Geschichte – auch, dass er sich geweigert hatte, Informationen über seine Zeit bei der Bundeswehr preiszugeben. Die Antwort des älteren BND-Agenten habe er bis heute nicht vergessen, sagt der Niederbayer schmunzelnd: „Das glauben wir Ihnen, junger Mann. Wäre es nämlich anders, hätten wir bereits davon erfahren.“
(André Paul)

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