"Wir sind mit FFP2-Masken reingegangen und mussten den Würgereiz unterdrücken", schildert der Amtstierarzt seine Eindrücke von einer Kontrolle in Oberbayern vor Gericht. "Das waren Zustände, die habe ich so noch nie gesehen." Abgemagerte Katzen und Hunde, Kotschichten überall, tote Tiere im Keller und auf dem Balkon - was die Kontrolleure bei der dreiköpfigen Familie auf dem Hof im Landkreis Miesbach finden, lässt sie zu drastischen Maßnahmen greifen.
139 Hunde und Katzen werden zwischen Anfang Juli und Anfang Oktober 2021 in insgesamt 16 Tierheime gebracht, der Familie wird verboten, solche Tiere wieder zu halten oder zu betreuen. Die Rechnung für die Versorgung der Tiere bekommt die mutmaßliche Hauptverantwortliche - fast 250 000 Euro minus Erlöse aus dem Verkauf der Hunde und Katzen, für die sich noch Abnehmer fanden. Nun soll das Verwaltungsgericht München entscheiden, ob das Handeln der Behörden in Ordnung war.
Der Versuch einer Einigung zwischen Vertretern der Familie und der Regierung von Oberbayern scheiterte am Mittwoch. Den Vorschlag, die in Rechnung gestellte Summe wegen eines möglichen Formfehlers noch einmal zu prüfen und gegebenenfalls zu reduzieren, lehnten die Behördenvertreter ab. Eine Entscheidung in dem Fall soll nun am Donnerstag fallen.
Hohe Hürden selbst bei schweren Verstößen
In der Verhandlung wurde deutlich, mit welchen Hürden die Kontrolleure selbst bei schweren Tierschutzverstößen zu kämpfen haben. Unter anderem ging es um die Frage, ob Vertreter des Veterinäramts und der Polizei ohne Durchsuchungsbefehl in Gebäuden auf dem Hof nach weiteren Tieren suchen durften.
Ein Amtstierarzt berief sich darauf, wegen des schlechten Zustands anderer Tiere im Freien sei "Gefahr im Verzug" gewesen - die Behörden hätten sofort eingreifen müssen. Der Vorsitzende Richter merkte dagegen an, dass das Grundgesetz eigentlich eine Anordnung eines Richters für diesen Schritt verlange.
Ob alle drei Familienmitglieder weiter keine Hunde und Katzen halten dürfen, blieb nach der Verhandlung ebenfalls unklar. Man müsse darüber nachdenken, ob ein Haltungs- und Betreuungsverbot nur für die mutmaßliche Hauptverantwortliche nicht verhältnismäßiger sei, sagte der Vorsitzende Richter. Ein Vertreter der Staatsregierung wandte ein, dass dann wieder ähnliche Zustände drohen könnten. Die Frau, ihr Mann und der gemeinsame Sohn wohnten immer noch gemeinsam auf dem Hof.
Verteidiger: Frau war überfordert
Laut dem anwaltlichen Vertreter der Familie war die Frau mit der Haltung der Katzen und Hunde überfordert. "Sie war auch dabei, den Bestand zu reduzieren, weil sie überlastet war."
Wie sich später herausstellte, waren darunter aber auch Tiere, die an einer für Menschen ansteckenden Pilzkrankheit litten - weshalb die Käuferin sie zurückgaben. Heute sei die Frau froh, dass sie keine so große Tierhaltung mehr habe. Auf dem Hof werden aber weiter Rinder und Geflügel gehalten.
Dass Menschen die Versorgung der eigenen Haustiere über den Kopf wachse, komme immer wieder vor, sagt Nina Brakebusch vom Deutschen Tierschutzbund. Das krankhafte Sammeln und Horten, aber gleichzeitige Vernachlässigen von Tieren wird als "Animal Hoarding" bezeichnet. "Die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere und sich selbst werden dabei nicht wahrgenommen", sagt Brakebusch. "In der Folge werden immer mehr Tiere gehalten, trotz sich zunehmend verschlechternder Bedingungen."
73 Fälle von Animal Hoarding
Offizielle Statistiken zu solchen Fällen gibt es laut Deutschem Tierschutzbund nicht. Für das Jahr 2022 erfasste der Verein bundesweit 73 Fälle mit rund 4500 betroffenen Tieren. 10 Jahre zuvor seien es nur 22 Fälle gewesen. Ein Grund für den Anstieg könne aber auch eine größere Sensibilität für das Thema sein.
Da in Fällen von "Animal Hoarding" oft viele Tiere auf einmal gerettet werden müssen, stehen Tierheime in solchen Situationen schnell vor Problemen. Sie müssen die Tiere ärztlich versorgen, aufpäppeln und sich oft auch um deren Nachwuchs kümmern. Der ist aber teils zu schwach, um zu überleben. So erging es auch einigen Welpen der Tiere auf dem Hof in Oberbayern.
"Für die Tierheime und ihre Mitarbeitenden stellt dies eine enorme finanzielle, physische und psychische Belastung dar", sagt Brakebusch. Häufig würden Kommunen die Kosten zudem nicht oder nicht vollständig übernehmen, "so dass Tierheime auf einem Großteil sitzenbleiben, den sie durch Spendenaufrufe wieder reinholen müssen".
Frau hat kein Einkommen
Im Fall der 139 Hunde und Katzen in Oberbayern will sich die Staatsregierung das Geld von der mutmaßlich Verantwortlichen zurückholen. Ob das funktioniert, scheint aber fraglich. Der anwaltliche Vertreter der Familie kündigte am Mittwoch an, im Zweifel auf anderem Wege juristisch gegen den aus seiner Sicht rechtswidrigen Kostenbescheid vorgehen zu wollen.
Dazu komme noch ein weiteres Problem: Die Frau habe derzeit kein Einkommen. "Sie wird diese Summe in ihrem Leben nicht zurückzahlen können." (Frederick Mersi, dpa)
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