Das Pflegeheim im Süden von München macht einen guten Eindruck: ein moderner Bau mit schönen Zimmern, freundlich eingerichteten Aufenthaltsbereichen und Balkonen ins Grüne. Hier verbrachte die Mutter von Susanna Vogel (Name von der Redaktion geändert) ihre letzten Tage, bevor sie im Herbst vergangenen Jahres starb, doch es war nicht alles gut. „Ich hätte mir gewünscht, dass das Pflegepersonal mehr Zeit und Aufmerksamkeit für meine Mutter gehabt hätte“, sagt die 59-jährige Fachverkäuferin.
Zwischendurch konnten sie und ihre Geschwister auch nicht ins Heim, um selbst zu pflegen – auf der Station war jemand positiv auf Corona getestet worden. „Die Pflegesituation war alles andere als gut“, so ihr Fazit, das Pflegepersonal sei sichtbar überlastet gewesen.
Das finden auch viele Pflegekräfte selbst und ziehen Konsequenzen: Sie lassen sich lieber über eine Leihfirma anstellen als von den Kliniken und Altenheimen direkt. So haben sie mehr Kontrolle über ihre Arbeitszeiten, können Schichtdienst vermeiden, und auch die Bezahlung ist besser. Während Leiharbeit zum Beispiel in der Automobilbranche eher als Nachteil gegenüber der Stammbelegschaft angesehen wird, ist es im Pflegebereich gerade andersherum.
Das Telefon klingelt ständig wegen der Engpässe
Das sieht auch Eva Ohlerth so. Die examinierte Altenpflegerin ist gerade dabei, sich Angebote von Leiharbeitsfirmen einzuholen. Ihre Erfahrung: „Viele Beschäftigte gehen raus aus der Pflege“, wegen der Arbeitsbedingungen. Denn diese würden sich negativ auf die Gesundheit auswirken, ein soziales Leben sei kaum mehr möglich. Weil es überall an Personal fehle, müsse man als Pflegekraft immer wieder bei Engpässen einspringen: „Dann klingelt ständig das Telefon in der Freizeit.“
Eva Ohlerth hat langjährige Erfahrung in der Pflegearbeit, unterrichtete auch in einer Altenpflegeschule. Für sie liegen die Vorteile einer Beschäftigung über eine Leihfirma klar auf der Hand: „Ich kann selbst bestimmen, welche Schichten ich arbeiten will.“ Man habe so die Möglichkeit, sich verschiedene Arbeitsstätten anzusehen, und wenn es passt, könne man dort auch bis zu 18 Monate lang bleiben. Auch der Verdienst sei als Leiharbeiterin besser als in einem festen Angestelltenverhältnis: „Man bekommt 500 bis 1000 Euro mehr.“
Und wie sieht das Verhältnis zu den Arbeitskolleg*innen aus? „Manchmal klappt das sehr gut, manchmal gibt es aber auch Probleme“, erzählt sie. Dann gebe es Vorwürfe, die Pflegenden in Leiharbeit würden sich nur die „Rosinen“ im Dienstplan herauspicken.
Probleme mit den Dienstplänen, das kennt auch Joachim Schauer. Er ist Betriebsrat bei einem gemeinnützigen Verein, der 21 Altenheime in Bayern betreibt. 70 Prozent der beruflich Pflegenden seien Frauen, weiß er, und etliche davon alleinerziehend. Da sei es schwer, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.
Das größte Problem sei die „Unverbindlichkeit der Dienstpläne“. Will heißen, dass diese öfter umgeworfen werden, falls jemand erkrankt. Angesichts des Pflegenotstands sei der Einsatz von Leiharbeitskräften mittlerweile fast schon zur Normalität geworden. Corona habe das Ganze beschleunigt, damals sei wegen der Belastung „ein ganzer Schwung“ aus der Pflege weggegangen. Klar sei, dass eine Pflegefachkraft in Leiharbeit 40 bis 50 Prozent teurer käme als die Festangestellten. Eine Fachkraft zu finden, sagt Schauer, sei mittlerweile allerdings „wie ein Sechser im Lotto“.
„Verrückte Verhältnisse“ angesichts des Personalmangels sieht auch Robert Hinke, Fachbereichsleiter Gesundheit bei der Gewerkschaft Verdi. Wer für eine Leiharbeitsfirma tätig sei, könne sich Schichtzeiten und Pflegeinstitution aussuchen, so könne man sich auch dem „sozialen Gruppendruck“ auf der Station entziehen, wenn es Engpässe gebe. Was aber auch für „böses Blut“ sorge, wenn die „faire Verteilung“ der Belastungen entfalle.
Corona war eine Wendemarke
Auch der Gewerkschafter sieht in Corona eine Wendemarke: Vor der Krise hätte es 3 Prozent Leiharbeitskräfte in der Pflege gegeben, inzwischen seien es deutlich mehr geworden.
Der Personalmangel führt auch dazu, dass Pflegeheime immer mehr Betten leer stehen lassen, anstatt Zeitarbeitskräfte einzustellen. Um dem Pflegenotstand entgegenzuwirken, nimmt das bayerische Gesundheitsministerium nun 7,5 Millionen Euro in die Hand, um damit sogenannte Springerkonzepte in einer Erprobungsphase zu finanzieren.
Die Devise heißt dabei: „Einspringen statt abspringen.“ Überlastung und Burn-out seien die Hauptgründe, warum Pflegekräfte ihren Beruf aufgeben. Das soll durch Springerpools verhindert werden, in denen zum Beispiel Pflegekräfte arbeiten, die nur begrenzt Zeit haben – Alleinerziehende oder Pflegekräfte in Elternzeit. Sie können ihre möglichen Dienstzeiten angeben und springen dann in Notfällen ein.
„Pflegekräfte müssen sich auf ihren Dienstplan verlassen können, um Arbeit, Familie und Freizeit miteinander in Einklang zu bringen“, so Gesundheitsminister Klaus Holetschek zu den Springerpools, die in einer zweijährigen Erprobungsphase zunächst in 20 stationären und zehn ambulanten Einrichtungen erprobt werden sollen.
Einen eigenen Springerweg geht die München Klinik, ein Krankenhausverbund mit über 7000 Beschäftigten. Dort können sich Pflegekräfte, die zusätzlich zu ihrem regulären Lohn etwas dazuverdienen möchten, für sogenannte freiwillige Zusatzdienste melden: Sie helfen aus, wenn auf einer Station Not am Mann oder an der Frau ist – und bekommen das finanziell vergütet. Zusätzlich zu ihrem regulären Gehalt erhalten sie dafür eine individuelle Zulage. 2022 wurden in der München Klinik rund 9500 derartige freiwillige Zusatzdienste in Anspruch genommen. (Rudolf Stumberger)
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