Leben in Bayern

Pierre Habermann (links) und Steffen Götz genießen es, mit Bruno spielen und kuscheln zu können. (Foto: Pat Christ)

28.05.2021

Schmusen in Pandemiezeiten

Einsamkeit in der Corona-Krise: Der schwarze Labrador Bruno hilft in der Offenen Behindertenarbeit der Würzburger Diakonie enorm

Wir werden alle noch eine ganze Weile durchhalten müssen. Bis körperliche Nähe wieder normal ist – zum Beispiel eine spontane Umarmung. Darauf verzichten zu müssen, fällt vielen schwer. In der Offenen Behindertenarbeit der Würzburger Diakonie muss man nicht so lange warten. Dort dürfen die Gäste Therapiehund Bruno knuddeln.

Natürlich findet auch bei der Offenen Behindertenarbeit (OBA) der Würzburger Diakonie gerade viel vor dem Computerbildschirm statt. Die Musikgruppe trifft sich virtuell über Zoom. Der Cafébesuch am Mittwochabend wird im Moment ebenfalls noch online organisiert. Bruno, den Therapiehund, zu treffen aber ist nach wie vor live und nahezu zwangslos möglich. Drei Teilnehmer*innen am Angebot der Offenen Behindertenarbeit haben derzeit feste „Bruno-Stunden“. Dazu gehört Claudia Versl. Andere OBA-Fans wie die beiden Rolli-Fahrer Pierre Habermann und Steffen Götz treffen Bruno von Zeit zu Zeit immerhin im Freien für ein paar Streicheleinheiten.

Die OBA-Gäste verstehen, warum man derzeit in seinen Rechten eingeschränkt ist. Sie achten auf die Regeln. Und jammern nicht. Allerdings vermissen sie schrecklich viel. Körperkontakt. Direkten Austausch. Und nicht zuletzt die Impulse durch die vielfältige OBA-Arbeit. Für sie seien die Bruno-Stunden eine Art Gedächtnistraining, erklärt Claudia Versl, die in den Mainfränkischen Werkstätten für Menschen mit Behinderung arbeitet. Ein Teil der Trainingsstunde besteht darin, dass die 52-Jährige Bruno Kommandos gibt: „Sitz!“ oder „Bring!“ zum Beispiel. Sich diese Kommandos zu merken, ist für Versl aufgrund ihres Handicaps gar nicht so leicht.

Aber mit Bruno zu lernen, macht Spaß. Und wenn man mal was vergessen hat, ist’s auch nicht weiter tragisch. Dann hilft Brunos Frauchen Silke Trost weiter. Die Stunden mit dem Hund verfliegen stets im Nu. Das Allerschönste kommt ganz zum Schluss: Dann erhält Bruno Leckerli. Und er darf ausgiebig gekrault, gestreichelt, geknuddelt und geherzt werden. Die Zeit mit dem Therapiehund tut Claudia Versl nicht zuletzt deshalb so gut, weil das Tier sie „runterbringt“. Manchmal kommt die Würzburgerin ganz aufgewühlt von der Arbeit in die OBA. Nach zehn Minuten mit Bruno ist sie völlig ruhig und entspannt.

Bruno nimmt nichts krumm

Mit anderen Menschen muss man oft mit sehr viel Fingerspitzengefühl umgehen. Leicht nehmen sie etwas krumm –  wobei man oft keine Ahnung hat, was schieflief. Bis Bruno mal was zu dumm ist, dauert. Eben dies macht ihn zum Therapiehund. Wobei der schwarze Labrador schon immer geduldig und sehr menschenfreundlich war, sagt Frauchen Trost, Leiterin der OBA. Ein Labrador biete sich für einen Einsatz als Therapiehund geradezu an. Die Rasse gilt als ausgeglichen, anpassungsfähig, intelligent und sensibel. Mit der Ausbildung zum Therapiehund legte sich Bruno ein noch dickeres Fell zu. Das braucht er auch aufgrund mancher Handicaps der Teilnehmer*innen am Angebot der Offenen Behindertenarbeit.

Bruno ist zum Beispiel ganz und gar nicht sauer, wenn er mal ein wenig gröber angefasst wird. Was nie aus bösem Willen geschieht. Sondern deshalb, weil eine Behinderung die Feinmotorik einschränkt. „Gerade Menschen, die mit Spastik Probleme haben, fassen den Hund schon mal ungewohnt an“, so Trost. Dann guckt Bruno höchstens kurz auf. Aber eigentlich stört ihn das nicht weiter. Fast nichts bringt den Labrador aus der Ruhe. Und wenn doch, wird er nie aggressiv.

Gerade weil sich der psychische Zustand vieler OBA-Leute in der Corona-Krise zunehmend verschlechtert, ist es für Trost so wichtig, dass es Bruno gibt. Neulich erst wies sich eine OBA-Teilnehmerin selbst in die Psychiatrie ein. Sie war in einer sehr schwierigen Lebenssituation, die sich aber aufgrund der Corona-Krise nicht klären ließ. Niemand war erreichbar. „Die Frau hielt die Unsicherheit psychisch einfach nicht mehr aus“, erzählt Trost, die im Notfall schon mal zu einem Hausbesuch aufbricht. Und auch dann ist Bruno mit von der Partie. Oft schafft er es trotz aller Misere, zumindest ein kurzes Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Einen Hund zu kraulen, kann in diesen kontaktlosen Zeiten ein Hochgenuss sein. Es lenkt ab. Und bereitet wohlige Gefühle. Und zwar gerade dann, wenn man alleine lebt und tagelang nicht mal für Sekunden berührt wurde. Dass Hunde wie eine Art Medikament wirken können, ist inzwischen in etlichen Studien belegt. Auch Steffen Götz hat davon gehört. „Wenn man Hunde streichelt, dann soll der Blutdruck runtergehen“, sagt er. Hunde, heißt es, stärken außerdem das Immunsystem. Sie bauen Stress ab. Sie beruhigen. Und sie sollen sogar fähig sein, Ängste zu nehmen.

Aber ganz egal, ob das nun wissenschaftlich erwiesen ist oder nicht: Pierre Habermann, Steffen Götz und Claudia Versl fühlen sich einfach gut, wenn sie mit Bruno zusammen sind. Oder wenn sie Bruno zumindest auf dem Bildschirm mal kurz sehen. Der Hund nimmt selbstverständlich auch an jenen Angeboten der OBA teil, die in den letzten Monaten digital aufbereitet wurden. So findet der Kurs „English afternoon“, zu dem man sich normalerweise einmal im Monat live trifft, aktuell im Online-Format statt. Auch Bruno gehört zu den Kursteilnehmern. Regelmäßig schwenkt die Kamera über ihn, damit alle sehen: Bruno ist wieder mit von der Partie!

Nur reden kann Bruno nicht

Natürlich darf man sich keinen Illusionen hingeben, was den Einsatz von Therapiehunden anbelangt: sie unterstützen, und das immens. Aber sie ersetzen nicht den Menschen. Tiere können nun mal nicht sprechen. Sie trösten zwar nonverbal. Aber es braucht oft jemanden, der ein gutes Wort sagt. Hat sich einer der festen OBA-Gäste länger nicht mehr gemeldet, wird er vom Team angerufen. Auch Claudia Versl, der es eine zeitlang ziemlich schlecht ging, telefonierte damals oft mit OBA-Leiterin Trost. Dabei musste sie nicht groß erklären, was ihr fehlt. Musste nicht nach Worten ringen. Sie durfte am Telefon einfach weinen. Und Mut machenden Worten lauschen.

Silke Trost versprach sich viel davon, als sie Bruno vor sechs Jahren in die OBA-Arbeit einband. Was sie sich erhofft hatte, ging in Erfüllung. Vor allem für OBA-Teilnehmer, die an einem psychischen Handicap leiden, ist es sehr wichtig geworden, dass es Bruno gibt. Ein langjähriger Teilnehmer, der sehr zurückhaltend war, worunter er selbst litt, schaffte es durch die Trainingsstunden mit Bruno, mehr aus sich herauszugehen. Dass der Hund auf ihn hört und ihn sichtlich mag, stärkt sein Selbstbewusstsein. Und so traut sich der Mann auch im Umgang mit Menschen immer mehr zu.
(Pat Christ)

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