Leben in Bayern

Auf dem Ergometer sitzen und gleichzeitig einen Aufsatzschreiben - das geht. Ziemlich gut sogar. (Foto: dpa)

13.10.2016

Still sitzen im Unterricht? "Quatsch!"

Eine 5. Klasse an einem Aschaffenburger Gymnasium ist "bewegt" in die Schule gestartet: Die Kinder zwischen 10 und 11 Jahren radeln auf Ergometern im Klassenraum

Vormittags um 9.30 Uhr: Die 5a des Friedrich-Dessauer-Gymnasiums in Aschaffenburg bereitet sich auf ihren ersten Aufsatz vor. "Was brauche ich für einen spannenden Höhepunkt?", fragt Klassenlehrer Stefan Megerle. Jonas lehnt sich im Sattel zurück und hebt die Hand. "Zum Beispiel wenn ich eine Einbrechergeschichte habe, dass ich dann von Geräuschen schreibe, die man hört", sagt der Zehnjährige im grünen Pullover. "Geräusche - sehr gut", entgegnet Megerle und schreibt das Wort an die Tafel. Zufrieden verschränkt Jonas die Arme und tritt weiter in die Pedale. Jonas sitzt wie fünf seiner Klassenkameraden auf einem Fahrrad-Ergometer im hinteren Teil des Klassenraums. Sie treten nebenbei, während sie dem Unterricht folgen. Wo bei einem Fahrrad der Lenker ist, sind an ihren Ergometern kleine Pulte mit Bücherstützen angebracht. So können sie im Lehrbuch lesen und mitschreiben. Sie treten langsam, gerade genug, um den Puls ein wenig zu erhöhen. Rund 100 Herzschläge pro Minute sind das Ziel, Strampeln und Schwitzen sollen die Kinder nicht. Aufsatzvorbereitung, praktischer Teil: Die Schüler sollen aus einem Satz eine Geschichte machen. Jonas holt ein rot eingeschlagenes Schreibheft aus der Schultasche. "Da schrillte plötzlich unsere Klingel", hat Megerle den ersten Satz vorgegeben. "Ein riesiges Paket stand vor unserer Tür", schreibt Jonas weiter. Während sein Füllfederhalter übers Papier kratzt, stehen seine Füße still. "Denkt daran, vor lauter Konzentration das Treten nicht zu vergessen", ruft Megerle. Jonas blickt kurz auf, dann tritt er weiter.

Fittere Kinder haben bessere Noten

"In der Regel sind die kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt, wenn ich eine weitere motorische Aufgabe machen soll", erklärt Leif Johannsen, Psychologe am Lehrstuhl für Bewegungswissenschaft der Technischen Universität München (TUM). Er hat selbst Versuche durchgeführt, bei denen Probanden auf einem Ergometer kognitive Aufgaben lösen sollten. Dennoch glaubt er, dass in der Aschaffenburger Ergometer-Klasse die positiven Effekte überwiegen. "Durch die körperliche Aktivität wird das allgemeine Erregungsniveau hochgefahren." Daher liege es nahe, dass sich Schüler auf einem Ergometer häufiger meldeten und aufmerksamer seien. "Die Aufforderung, in der Schule still zu sitzen, ist eigentlich Quatsch", resümiert der Neurowissenschaftler. Die Idee der Ergometer-Klasse stammt aus Österreich: Der Wiener Sportwissenschaftler und Gymnasiallehrer Martin Jorde initiierte die erste Klasse 2007 an einem Wiener Gymnasium. Er stellte bei seinen Schülern positive Veränderungen in der Fitness, aber auch in Noten und Sozialverhalten fest. Auch Johannsen bestätigt: "In Studien sieht man, dass fittere Kinder langfristig auch bessere Schulnoten haben."

Mehr Blut im Gehirn, mehr Konzentration

"Wenn man sich bewegt, wird das Herz-Kreislauf-System angeregt", erklärt Tobias Bauer, der am Friedrich-Dessauer-Gymnasium den Fachbereich Sport leitet. Dadurch werde mehr Blut ins Gehirn gepumpt und die Konzentration gesteigert. Bauer hat die Ergometer-Klasse nach Aschaffenburg geholt. Zusammen mit 15 Oberstufenschülern organisierte er die Umsetzung des Projekts in der 5a. "Man ist schon ein bisschen stolz", sagt Brian Henrich (18), einer der Schüler. Die Schüler der 5a haben ihre Hefte abgegeben und bekommen jetzt das Heft eines anderen zum korrigieren. Die zehnjährige Wiebke, dunkelblonde Haare und Brille, winkt den Lehrer Megerle an ihr Ergometer. "Ich kann das ganz schlecht lesen", sagt sie leise. Megerle wirft einen Blick auf das Heft des Mitschülers. "Ja, des is scho a rechts G'schmiere", stimmt er zu. Schließlich liest er ihr die Sätze vor. Der Autor des Heftes saß nicht auf einem Ergometer, daher kommt die Handschrift also nicht. Wiebke liest mit skeptischer Miene mit und tritt langsam weiter. (Bastian Benrath, dpa)

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