Leben in Bayern

Da knallen die Sektkorken: In immer mehr Almhütten feiern Wohlhabende, zum Verdruss von Umweltschützer*innen. (Foto: Bilderbox.com)

10.11.2023

Streit um Luxussausen auf der Alm

Berghütten werden immer beliebter als Party-Locations für Besserverdienende. Das passt nicht allen

Die gute Laune ist den Wartenden auf dem Söllbachparkplatz anzumerken. Manche trinken Bier, der Großteil trägt Tracht. Sie genießen den Blick auf den Söllbach und den dahinterliegenden Bergwald. Das Tegernseer Land zeigt sich an diesem Vormittag im Herbst von seiner besten Seite. „Heute geht es noch auf die Saurüsselalm“, sagt ein 40-jähriger Münchner, während er auf eine Wanderkarte blickt. Ein Freund hat dort Plätze für seine Geburtstagsfeier reserviert.

Neben Durchschnittswagen parkt an diesem Tag nahe dem Söllbach auch so manche Nobelkarosse. Die früher nur landwirtschaftlich genutzte Saurüsselalm ist längst auch beim Geldadel bekannt für gutes Essen und ausgelassene Stimmung – über das ganze Jahr hinweg. Ende 2021 hat Martin Frühauf (kleines Bild, mit seiner Frau Tanja, Foto: Lill), der einstige Leibkoch von Helmut Kohl, die gleichnamige Berghütte übernommen. Im Sommer stieß FC-Bayern-Star Manuel Neuer hier auf den Geburtstag seiner Freundin an.

Die Vielzahl an Sonderveranstaltungen, bei denen die Hütte für normale Wandernde geschlossen ist, stoßen manchem im Tal übel auf. „Es kann nicht sein, dass eine durstige Familie nach einer langen Wanderung vor verschlossenen Türen steht, nur weil dann Privatfeiern für Gutbetuchte stattfinden“, sagt Angela Brogsitter-Finck, Vorsitzende der Schutzgemeinschaft Tegernseer Tal der BSZ. „Andauernd war in den vergangenen Monaten ausgerechnet Samstag oder Sonntag zu“, beschwert sie sich.

So etwa am 30. Juli, als Frühauf zum „Hochgenuss auf der Saurüsselalm“ lud. Für 249 Euro kredenzten Frühauf und weitere Spitzenköche deliziöse Gerichte. Renommierte Winzer servierten erlesene Weine. Dazu: Champagner und Tegernseer Bier. Für die richtige bajuwarische Atmosphäre sorgte Livemusik. Starkoch Frühauf freut sich bis heute: „Alle Gäste waren in Tracht – einfach wunderschön.“ Die Kritik der Bergschützer*innen hält er für unberechtigt: Im gesamten Jahr werde man die erlaubten 15 Sonderveranstaltungen nicht überschreiten. Auch fänden diese zum Teil auch abends oder unter der Woche statt.

Brogsitter-Finck schimpft, Frühauf habe sich den „falschen Ort für seine Luxusgastronomie ausgesucht“. Das alles habe nichts mehr mit einer „klassischen Almbewirtung zu tun“. Sie verweist auf Auflagen der Behörden. Die Gaststättenkonzession ist laut Landratsamt „auf eine Bewirtung mit almtypischen Speisen beschränkt“. Dem Vertrag zwischen der Gemeinde Bad Wiessee und dem Besitzer des Areals zufolge muss die Hütte sieben Tage pro Woche almtypische Verpflegung für Wandernde anbieten, und das zu moderaten Preisen.

Mit den moderaten Preisen ist das im Tegernseer Land, wo sich – rund eine Autostunde von München entfernt – immer mehr Gutbetuchte niederlassen, zwar so eine Sache. Käsespätzle mit Beilagensalat für knapp 19 Euro oder die Saftschorle für 5,50 Euro an offenen Tagen sind aber auch für diese Region nicht gerade billig. Ob Schampus oder das Mini-Glas „Qualitätsbrand Marille“ für 16 Euro almtypische Verpflegung sind, darüber lässt sich ebenfalls streiten. Für Lorenz Sanktjohanser (kleines Bild, Foto: Lill), Zweiter Vorsitzender des Vereins zum Schutz der Bergwelt, ist klar: „Die Almhütten müssen für jedermann bezahlbar sein.“

An einem Tag steht Sanktjohanser am Söllbachparkplatz. Sein Blick fällt auf einen parkenden Bus: „Das gab es früher nicht.“ Von überall kämen nun die Leute. Sanktjohanser, dessen Familie seit Generationen in der Region wohnt, deutet in Richtung Bergwald: „Bäume und Tierwelt sind hier in einem guten Zustand“ sagt er. Über die Saurüsselalm sagt er: „Das war ein wunderschöner naturbelassener Ort.“ In ihrer jetzigen Form habe die Hütte dagegen „mit almtypischer Nutzung in einem Landschaftsschutzgebiet überhaupt nichts mehr zu tun“.

Sanktjohanser stört sich vor allem an den Abendveranstaltungen. Einmal in der Woche – so sieht es die Genehmigung des Landratsamts vor – darf dort bis Mitternacht gefeiert werden. „Für die Natur hat es sehr negative Folgen, wenn so viele Menschen bis in die Nacht hinein feiern und anschließend mit dem Auto ins Tal gebracht werden. Das bedeutet Stress für die Wildtiere“, sagt Sanktjohanser.

An diesem Nachmittag nimmt der Naturschützer nicht die Abzweigung hinauf in Richtung Saurüsselalm, sondern läuft weiter entlang des Söllbachs. Bei einer Furt an dem Bergbach hält er an. Fotos, die der BSZ vorliegen, zeigen, dass mindestens einmal ein Traktor mit Kutschenwagen sowie ein schwarzes Fahrzeug am Tag einer Saurüsselalm-Feier über die Furt fuhren. Naturschützer wie Sanktjohanser verweisen auf mögliche Verschmutzungsrisiken, auch mit Blick darauf, dass das Quellwasser in den Tegernsee fließt.

Aperol-Spritz mit Traumkulisse

Frühauf räumt ein, man habe die Furt „in Einzelfällen durchquert“, sich inzwischen jedoch per Unterlassungserklärung verpflichtet, den Bach nicht mehr an dieser Stelle zu durchfahren. Der Verpächter der Saurüsselalm, ein Unternehmer aus dem Münchner Umland, hatte laut Landratsamt Teile der Furt mit Flussbausteinen befestigen lassen – offensichtlich, damit sie besser von Autos überquert werden kann. Pikant: Die Furt befindet sich auf Staatsgebiet. Einen nachträglichen Genehmigungsantrag lehnte das Landratsamt ab.

Der Verpächter, der eine Anfrage unbeantwortet ließ, hat in der Folge weite Teile der Befestigung entfernen lassen. Der Verein zum Schutz der Bergwelt hatte bereits 2022 gegen die Genehmigung zum Umbau und zur Umnutzung der Alm geklagt. Das Münchner Verwaltungsgericht gab in erster Instanz in puncto Nutzungsänderung dem Almbesitzer weitgehend recht – die 15 Sonderveranstaltungen allerdings wurden gestrichen. Doch der Streit ging in die nächste Instanz, weshalb das Urteil nicht in Kraft getreten ist.

Der Beliebtheit der Alm tut der Dauerstreit mit Natur- und Heimatvereinen keinen Abbruch. An diesem sonnigen Samstagnachmittag müssen Gäste ohne Reservierung einige Zeit warten, bis ein Plätzchen frei wird. Ein paar Frauen mittleren Alters machen ein Selfie vor der Traumkulisse und stoßen dabei mit Aperol-Spritz und Weißwein an. „Es muss nicht immer die urige Alm sein“, sagt eine 29-jährige Touristin aus Hamburg. Vor der Hütte streicheln Kinder die dort wartenden Kutschenpferde. Dank des Gespanns kann sich der Gast den Fußweg sparen – das nötige Kleingeld vorausgesetzt.

Starkoch Frühauf kann die Aufregung bei manchen im Tal nicht verstehen. „Bevor wir kamen, gab es hier gar kein gastronomisches Angebot für die Wanderer“, sagt er. Die 15 erlaubten geschlossenen Gesellschaften im Jahr müsse man voll ausnutzen, um auf ausreichend Umsatz zu kommen, sagt Frühauf. Doch bei den Hüttenabenden bleibe man ohnehin mit einmal im Monat deutlich unter dem Erlaubten zurück. Auch habe man zuletzt die Feiern bereits um 22 Uhr beendet. „Aber die Behörden machen es uns nicht immer leicht“, sagt Frühauf. So würden Gäste bei Abendveranstaltungen mit Vans aus München ins Tal gebracht, weil Taxis nicht hochfahren dürften.

„Uns wird das dann vorgehalten“, beschwert er sich. Seine Frau Tanja ärgert sich auch über den Vorwurf, die Hütte werde nicht almtypisch genutzt. Sie verweist darauf, dass die Speisekarte auch traditionelle Gerichte wie bayerischen Wurstsalat oder Obazdn enthält. „Wir hatten sogar am Anfang frische Buttermilch aus der Region. Aber keiner hat sie gekauft.“ Ohnehin bediene man nur die Wünsche der Gäste. Von Beginn an warb die Saurüsselalm mit dem Slogan „Die etwas andere Alm“. Zuletzt habe ihm ein Landrat aus einer anderen Region gesagt, bei ihnen könne er gern eine Hütte bewirtschaften, sagt Frühauf. „Doch hier werden wir angefeindet.“ Wirte aus anderen Regionen wie Ischgl und Südtirol hätten regelrecht Mitleid, dass er nur 15 Sonderveranstaltungen machen dürfe, sagt Frühauf. Kürzlich sei das Auto eines Mitarbeiters bespuckt und mit Dreck beworfen worden.

Klar ist: Nicht nur auf der Saurüsselalm wird kräftig gefeiert. Für Thomas Frey (kleines Bild, Foto: Bund Naturschutz), Alpenexperte beim Bund Naturschutz Bayern, ist klar: „Immer mehr Almhütten setzen auf Event- und Partybetrieb.“ Auch in seiner Allgäuer Heimat gebe es diverse Hütten, in denen vor allem besser Betuchte das ganze Jahr feiern könnten – teils bis spät in die Nacht. Frey findet: Eigentlich sollten die Almhütten nur ein paar kalte schlichte Speisen für Wandernde verkaufen. Und diese sollten möglichst von der Alm selbst stammen. „Das Käsebrot und das Glas frische Milch gehören ins Angebot.“ Sekt oder gar Champagner hätten auf der Berghütte nichts zu suchen. „Die Menschen feiern im noblen, auf alpenländisch gemachten Hüttenambiente auf der Alm oder dem Gipfel, während immer mehr traditionelle Wirtshäuser im Tal aufgeben müssen“, kritisiert Frey.

Immer öfter würden ganze Belegschaften zur Firmenfeier aus der Stadt in die Berge gekarrt. Damit die Gäste ohne zähen Auf- und Abstieg auf die Almen gelangen, würden Seilbahnen zum Teil erweitert oder neu gebaut, so Frey. Der Ausbau der Hütten sei auch aus verkehrspolitischer Sicht problematisch, sagt er. Denn die Gäste kämen in der Regel mit dem Auto.

Ein Dorn im Auge ist Frey das Nachtrodeln in der Alpsee Bergwelt im Allgäu. Dort werden zwischen Mai und September an zahlreichen Tagen die Gäste auch abends mit der Sesselbahn hinaufgebracht, um dann auf der nach Betreiber-Angaben längsten Ganzjahres-Rodelbahn Deutschlands bei Flutlicht „mit Vollgas durch die Dunkelheit“ zu rasen. Zuvor kann man in der Berghütte Bärenfalle einkehren. Der Betreiber verweist auf Anfrage auf „die zeitliche und örtliche Begrenzung des Angebots“.

Ein Paradebeispiel für die sich häufende Umstellung auf Event-Gastronomie ist dem Bund Naturschutz und dem Verein zum Schutz der Bergwelt zufolge die bequem per Seilbahn erreichbare Kampenwand in den Chiemgauer Alpen. Auf rund 1500 Meter Höhe bietet die ganzjährig geöffnete Sonnenalm einen traumhaften Blick in Richtung Berchtesgadener Alpen und Chiemsee. Auf der Speisekarte finden die Gäste unter anderem ein „frisches, saftiges Tomatenbrot“ für knapp 19 Euro – im Preis enthalten sind auch „zwei Bio-Eier von frei laufenden, glücklichen Hühnern“.

An zahlreichen Wochenenden steigt auf dem Berg ein „Secco Brunch“, zum Beispiel mit Shrimps in Aioli oder Lachstörtchen mit grünem Spargel und Kaviar-Schmand. Die Silvestersause mit „Partymusik und DJ“ auf der Sonnenalm kostet 175 Euro pro Person. Inklusive sind neben mehreren Gängen unter anderem ein „Schneegestöber-Schokobrunnen“ sowie Punsch zum Feuerwerk auf der Terrasse. Wer nicht übernachtet, kann um 1.30 Uhr mit der Seilbahn ins Tal fahren.

Rainer Auer, Vorsitzender des Bund Naturschutz Rosenheim, kritisiert solche Sonderveranstaltungen, von denen es schon heute viele gebe, scharf. „Die Bergwelt darf keine Partyzone sein. Zumindest in der Nacht muss Ruhe sein. Warum muss man eine Firmenfeier, Hochzeit oder Silvester auf der Alm feiern?“ Der Lärm und die vielen Lichter bedeuteten für die an der Kampenwand lebende Birkhuhn-Population „puren Stress, zum Teil bis in die Nacht – und das zu jeder Jahreszeit“. In vielen Regionen des Freistaats ist das Birkhuhn bereits ausgestorben – dabei gehört das Tier wie kaum ein anderes zur Tradition des Freistaats.

"Purer Stress für die Wildtiere"

Das Spektakel auf dem Berg sei zudem aus „sozialer Hinsicht hochproblematisch“, sagt Auer. Die Almen sollten nicht nur für Besserverdienende zugänglich sein. „Das ist unsere bayerische Heimat und kein Schickimicki-Rummelplatz.“ Auer spricht von „einer Gentrifizierung der Bergwelt“. Der Naturschützer fürchtet „künftig beinahe rund um die Uhr Remmidemmi“. Er kritisiert die bereits vom Landratsamt Rosenheim genehmigten Ausbaupläne für die Seilbahn. Deren Kapazität soll von 450 Fahrgästen pro Stunde auf künftig über 1500 gut verdreifacht werden.

Ein Sprecher des Seilbahnbetreibers sagt auf Anfrage: „Nach 65 Jahren muss die Seilbahn grundlegend baulich und technisch ertüchtigt werden.“ Die neue Anlage werde in der Praxis nicht mehr als 15 Prozent Menschen zusätzlich auf die Kampenwand bringen. Auer will das nicht glauben. Schließlich investiere kein Unternehmen Millionen Euro, um in der Folge nicht mehr Umsatz zu machen. Die Kampenwand solle mit wohlhabenden Gästen „regelrecht überspült werden“.

Auer stört auch, dass, wie das Landratsamt der BSZ bestätigt, künftig 81 Sonderfahrten möglich sein sollen. Die Seilbahnen dürfen Gäste bei solchen Fahrten auch spät in der Nacht ins Tal bringen. Die Sonderfahrten haben laut einer Behördensprecherin ausschließlich den Zweck, Gäste zu „geschlossenen Veranstaltungen in die Sonnenalm zu befördern“. Derzeit ist deren Zahl jedoch überhaupt nicht gedeckelt. Theoretisch könnte also bereits jetzt weit mehr auf der Alm gefeiert werden als ohnehin schon. Dem Landratsamt zufolge sieht die Konzession der Sonnenalm „keine zahlenmäßigen Vorgaben oder Beschränkungen“ für Veranstaltungen vor. Private geschlossene Veranstaltungen wie Hochzeiten oder Geburtstagsfeiern können der Behörde zufolge „uneingeschränkt durchgeführt werden“.

Den Vorwurf, Event-Gastronomie auf der Alm zu betreiben, weisen die Betreiber von Seilbahn und Sonnenalm aber vehement zurück. „Die geschlossenen Veranstaltungen anlässlich von Feiern von Familien oder Betrieben meist aus der Region haben seit Jahrzehnten Tradition und prägen das Bild der Kampenwand und ihrer regionalen Verwurzelung“, sagt ein Seilbahn-Sprecher. Es handle sich gerade nicht um „naturbelastende Event-Veranstaltungen“. Auch Auers Gentrifizierungs-Kritik kann man nicht nachvollziehen. Eine dann barrierefrei ausgebaute Seilbahn beschere auch älteren oder beeinträchtigten Menschen ein „Erholungserlebnis auf dem Berg“.

Ob die neue Bahn kommt, ist ungewiss. Der Bund Naturschutz hat Klage gegen die Ausbaupläne eingereicht – gerade erst haben Richter sich die Situation vor Ort angesehen. Ein Urteil wird frühestens in einigen Wochen erwartet. (Tobias Lill)

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