Leben in Bayern

18.04.2019

Tinder für die Nachbarschaftshilfe

Eine App gegen den Pflegenotstand: Ein Münchner Verein setzt ganz auf die Digitalisierung

Eigentlich ist Helene Mayer mit ihren 93 Jahren noch ziemlich fit. Sie häkelt gerne und sagt optimistisch: „Mit den Händen geht’s no a bisserl.“ Auch „mit dem Kopf“ ist noch alles gut. Die Münchner Seniorin erzählt viel und gerne aus ihrem langen Leben. Von der Kindheit im ostpreußischen Tilsit zum Beispiel. Oder über die Gefangenschaft in Russland und das Leben danach in Deutschland.

Seit 1965 wohnt Mayer in ihrer Wohnung in Pasing. Im Wohnzimmer hängt an der Wand eine Urkunde des Roten Kreuzes. 15 Jahre lang hatte sich Mayer ehrenamtlich um einen Professor gekümmert. Jetzt aber braucht sie selbst Hilfe. „Ich kann ja nicht mehr gehen“, sagt Mayer. In der Wohnung hilft ihr ein Rolllator, draußen ist sie auf einen Rollstuhl angewiesen. Und auf Claudia Schüller. Bei Ausflügen in die nähere Umgebung oder beim Einkaufen im Supermarkt hilft die 54-Jährige der alten Dame.

Schüller ist berufstätig und arbeitet in Teilzeit als Sekretärin, sie nimmt sich die Zeit, um ehrenamtlich als sogenannte Alltagsbegleiterin für Senioren da zu sein. Einmal in der Woche besucht Schüller drei Senioren, darunter auch Helene Mayer. Sie hilft im Alltag: Beim Ausfüllen von Formularen, beim Arztbesuch, beim Abhängen von Vorhängen, beim Einkaufen. Das macht sie schon seit zweieinhalb Jahren. Fragt man sie nach ihren Gründen, sagt sie: „Ich finde es gut, etwas Sinnvolles zu tun.“

Welcher Hilfesuchende passt zu welchem Betreuer?

Dass Helene Mayer und Claudia Schüller überhaupt zusammengefunden haben, hat etwas mit dem Münchner Verein Dein Nachbar e.V. zu tun. Ihn gibt es seit fast vier Jahren. Thomas Oeben hat ihn mit aus der Taufe gehoben. Das Ziel des 51-jährigen Logistikfachmanns: Die Betreuung von Hilfebedürftigen mittels Digitalisierung möglichst effizient zu gestalten. Für diesen Ansatz hat der Verein bereits mehrere Auszeichnungen erhalten, jüngst den „Deutschen Exzellenzpreis 2019“.

Der Lösungsansatz von Oeben ist interdisziplinär: Er verbindet Pflege, modernes Ehrenamt, exakt funktionierende Logistik und die Digitalisierung der Prozesse. Die Ausgangssituation: Rund 3,5 Millionen Pflegebedürftige gibt es in Deutschland. 76 Prozent von ihnen werden ambulant betreut, erklärt Oeben. Den größten Anteil der Arbeit übernehmen dabei die pflegenden Angehörigen – und zwar oft mehr als zwölf Stunden täglich. Kein Wunder also, dass sich viele mehr Unterstützung bei der Pflege wünschen. Hier kommt der Verein Dein Nachbar e.V. ins Spiel – mit seinem Netzwerk an ehrenamtlichen Helfern. Der Clou dabei: Die Fähigkeiten und Wünsche der Helfer werden digital mit den Anforderungen und Wünschen der Hilfsbedürftigen abgeglichen und mit Hilfe einer App ständig aktualisiert.

Wenn Schüller also nur mittwochs tätig sein und vor allem im Haushalt helfen will, dann spuckt das Computerprogramm von Oeben den entsprechenden Hilfebedürftigen aus, der genau das sucht. Kann Schüller an einem Mittwoch nicht, weil sie erkältet ist, meldet sie das über die App.

Vereinschef Oeben ist sich sicher, „dass Logistik und Digitalisierung in Hinblick auf den Pflegenotstand einen großartigen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten können“. Sein Anliegen: In ganz Deutschland sollte es digitalbasierte Unterstützungsnetzwerke für hilfebedürftige Senioren geben.
In München bietet der Verein mit seinen drei festen Mitarbeitern, darunter zwei Pflegefachkräfte, den rund 300 ehrenamtlichen Helfern Schulungen und Weiterbildungen an. Diese erhalten zudem eine Aufwandsentschädigung von acht Euro pro Stunde. Betreut werden können so 200 Hilfebedürftige im ganzen Stadtgebiet. Abgerechnet werden die Dienstleistungen mit der Pflegekasse oder auch privat – dann mit 15,40 Euro pro Stunde.Voraussetzung für potenzielle neue Ehrenamtliche Helfer: Engagement. Empathie – und ein polizeiliches Führungszeugnis.
(Rudolf Stumberger)

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