Leben in Bayern

Auch die bayerische Polizei hat massive Nachwuchssorgen. Da die Generation Z unsportlicher als ältere Jahrgänge ist, wurden sogar die Einstellungskriterien verändert. (Foto: dpa/Peter Kneffel)

08.11.2024

Überbehütet, unsportlich – aber gut genug für die Polizei

Die sogenannte Generation Z wird von Bayerns Ordnungshütern massiv umworben – ein Ausbilder beschäftigt sich mit ihr auch wissenschaftlich

Besser investieren als jemanden zu verlieren, sagt Bernd Bürger. Der Leiter des Fachbereichs Einsatz und Verkehr am Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei in Ainring beschäftigt sich wissenschaftlich mit der Generation Z, den Geburtsjahrgängen zwischen 1995 und 2010. Die Generation, auf die öffentlich gerne eingeprügelt wird, gilt als zu faul, zu unfähig. Zu Unrecht, sagt Bürger. „Es ist die Generation der Überbehüteten.“ 

Die Deutschen, die Österreicher, die Generation Z: Schubladendenken ist gefährlich, sagt Bernd Bürger. Es trifft auch auf die Generation Z zu: „Es ist ein Unterschied, ob man in der Münchner Innenstadt oder auf dem Land in Berchtesgaden aufgewachsen ist, ob man in einer reichen Familie oder einer mit weniger Geld groß geworden ist, bildungsnah oder bildungsfern.“ Menschen neigen zum Schubladendenken.

Bürger ist nicht der typische Polizist, den man sich unter jemandem vorstellt, der dort eine Führungstätigkeit innehat. „Ich habe Erwachsenen-ADHS“, sagt er mit einem Schmunzeln – und meint damit wohl die Umtriebigkeit, die den gebürtigen Rosenheimer auszeichnet. Polizist zu werden, war sein Traumberuf. Mittlerer Dienst, höherer Dienst: Er leitete die Polizeiinspektion Freilassing, später machte er seinen Doktor.

Rasenmähereltern lösen die Helikoptereltern ab

Das wissenschaftliche Arbeiten hebt ihn ab von seinen Kollegen. Es ist Bürgers Alleinstellungsmerkmal, das er sich im Laufe seiner Polizeikarriere angeeignet hat. Er bespielt soziale Medien wie Instagram, LinkedIn. Damit überfordert er so manchen Kollegen und manche Kollegin. Ständig unterwegs, hält Bürger seine Vorträge zur Gen Z auch international – mit der nötigen Prise Humor – vor allem vor Polizeikolleg*innen. Er möchte die Sichtbarkeit der Generation Z erhöhen, die derzeit so sehr im Fokus steht wie kaum eine andere.

Die Einflussfaktoren, die die Generation Z prägen, teilt Bernd Bürger in drei Kategorien: Da wären zum einen die Eltern, das Smartphone und der gesellschaftliche Einfluss. Für Bürger ist klar: Von den Eltern geht eine Überbehütung aus: Waren es früher die Helikoptereltern, sind es heutzutage die „Rasenmäher“. „Die fliegen so tief mit dem Hubschrauber vor den Kindern her, dass sie sämtliche Hindernisse aus dem Weg räumen.“ Das führe dazu, dass diese Generation grundsätzlich weniger selbstständig ist, weil die Eltern mehr Dinge in die Hand nehmen.

Die Konfliktfähigkeit leide darunter, sagt Bürger. „Selbst die Eltern gehen ungern Konflikte mit ihren Kindern ein“, so der Polizeidirektor. Weil sich die Erziehungsberechtigten bei ihren Kindern vollumfänglich engagieren, seien diese gar nicht mehr dazu aufgerufen, selbstständig handeln zu müssen. „Früher waren Kinder schuld, wenn sie schlechte Noten hatten, heute sind es automatisch die Eltern.“

Eltern bleiben heutzutage Lebensratgeber, selbst bei der Wahl des Berufs, erklärt Bürger, der diese Erfahrungen bei der Polizei bereits zuhauf gemacht hat. Papa und Mama spielen in der Generation eine wichtige Rolle. Auch bei Einstellungsgesprächen bei der Polizei. „Wir müssen diese mit ins Boot nehmen“, sagt Bürger. Anrufe von Eltern bei Dienststellen haben Bürger zufolge in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Es sei der neue Trend der sich stark engagierenden Eltern, in allen Lebenslagen für ihre Kinder einzuspringen. „Damit werden wir auch in Zukunft zu tun haben“, sagt Bürger. Denn ähnlich sei es auch bei der nachfolgenden Generation Alpha zu beobachten.

Das Smartphone spielt bei der Generation Z in jedem Fall eine wesentliche Rolle. „Likes machen süchtig. Man hat dann positive Hormonausschüttungen“, sagt Bürger. Jede Nachricht auf dem Handy zwingt zum Griff danach. Viele Kinder erhalten in jungen Jahren bereits ein Smartphone, „das die Eltern nicht dementsprechend konfigurieren“. Damit haben sie einen Zugriff auf alles – und werden süchtig nach Likes und kostenlosen Apps. Die negative Beeinflussung durch soziale Medien sei in dieser Generation sehr stark vorhanden. „Eine so große Zahl von Behandlungen, resultierend aus der Nutzung sozialer Medien, gab es noch nie.“ Das Problem Suchtgefährdungen sei immens gestiegen. Hinzu kommt: Die Generation Z macht insgesamt weniger Sport als die Älteren. Bei der Polizei hat man deshalb gar die Anforderungen für die Einstellung heruntergeschraubt.

Immerhin: Mehr Feedbackkompetenz

Ein Kennzeichen der neuen Jugend ist aber auch: Sie ist durch die Mediennutzung Feedback gewohnt. Das könnte wiederum der Arbeitgeber positiv nutzen, findet Bürger. Der Polizeidirektor fordert daher Generationenkompetenz. Diese werde noch viel zu sehr vernachlässigt – und zwar auf allen Ebenen. Sein Wunsch: Dass Mitarbeiter und Führungskräfte wieder Verständnis zeigen. „Das Bashing auf diese Generation hat seine Hintergründe. Oft sind die Schimpfenden aber diejenigen, die ihre Kinder selbst so erzogen haben.“

Die neue Art des Nachwuchses erfordere daher ein besseres Coaching: Die enge Beziehung zu den Eltern dürfe nicht aufgebrochen werden. „Das Flügge-Machen ist Teil der Aufgabe des Arbeitgebers. Aber das Lernen, konfliktfähig und selbstständig zu werden – dahingehend müsse künftig noch viel mehr investiert werden. Gute Führung und Wertschätzung – in vielen Firmen spielt dies kaum mehr eine Rolle, sei aber heutzutage wichtiger denn je. „Der Unterschied ist: die Älteren haben schon viele schlechte Chefs miterlebt.“ Die Gen Z ist auf diese Erfahrungswerte nicht mehr angewiesen.

Einen Burnout zu riskieren, darauf können junge Vertreter*innen der neuen Generation verzichten. Selbst Führungsaufgaben stehen nicht mehr hoch im Kurs, erklärt Bernd Bürger. „Lokal ist die Gen Z nicht mehr so flexibel, auch, weil ihnen echte Freundschaften und eine gute Beziehung zu ihren Eltern wichtig sind.“ Die Generation Z gilt als die kleinste Nachkriegsgeneration. „Die Problematik am Arbeitsmarkt wird daher noch viel gravierender.“ Bis zum Jahr 2030 werden mehr als 10 Prozent weniger Erwerbstätige auf dem Arbeitsmarkt sein.“

Die Generation Z reicht bei Weitem nicht aus, um den Mangel zu kompensieren. „Jeden, den man befähigen kann, ihn als Arbeitskraft an Bord zu holen, müssen wir nutzen – und umwerben.“ Jeder, der halbwegs lesen und schreiben könne, sagt Bernd Bürger, zudem ein paar „Social Skills“ mibringt, „um den reißt sich jeder Arbeitgeber“.

Sorgenfrei ist die neue Generation allerdings nicht: Zukunftsängste prägen die jungen Z-Jahrgänge. Bis vor zwei Jahren war für die Generation Wertschätzung das Wichtigste im Job, heutzutage ist es – neben zustimmender Worte – der Verdienst und ein sicherer Arbeitsplatz. „Sie haben Covid mitgemacht, sehen all die Krisen weltweit, einen Krieg in Europa und die Wohnungspreise.“

Sich Zeit nehmen, Qualitätsbeziehungen mit Mitarbeiter*innen führen: „Diese Generation braucht das wirklich“, sagt Bernd Bürger. Obwohl das Dasein als Polizist einen sicheren Arbeitsplatz garantiert, „sind die Kündigungsraten bei uns so hoch wie noch nie“, unterstreicht der Polizeidirektor. Woran das liegt? „Wenn wir die Jungen nicht gut führen, suchen sie sich einfach einen anderen Arbeitgeber.“ Für Arbeitgeber gilt daher zu überprüfen, die Prozesse und Strukturen des eigenen Unternehmens zu hinterfragen.

Familie und Freundschaft sind wichtiger als der Job

Bernd Bürger, selbst zweifacher Vater, sagt, dass die Generation Z nicht als faul abgestempelt werden sollte. Sie sei sensibel, das auf jeden Fall. „Die wollen sich aber nicht aufarbeiten. Qualitätszeit möchten sie haben: Die haben keinen Bock, 40 oder 50 Stunden zu arbeiten.“

Schichtdienst? Das können sich viele aus der Gen Z nicht vorstellen. Zumindest dann nicht, wenn andere Prioritäten im Leben Gewicht haben. Die Zeit für Familie, Freunde und sich selbst sei ihnen am Ende einfach wichtiger. (Kilian Pfeiffer)
 

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