Staycation – eine Mischung aus den englischen Worten Stay (bleiben) und Vacation (Urlaub) – ist in: Menschen bleiben in den Ferien zu Hause, erkunden ihre Umgebung. Gerade Bayern ist schließlich von Nord bis Süd mit Urlaubsregionen gesegnet – die Alpen mit ihren Ausläufern, der Bayerische Wald, fränkische Weinregionen, historische Städte, der Donauradweg. Menschen aus anderen Gegenden bezahlen viel Geld, um hier sein zu dürfen.
Aber wenn man in dieser „Vorstufe zum Paradies“, wie Ex-Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) Bayern einst nannte, dauerhaft ansässig ist, wird man ihrer vielleicht irgendwann überdrüssig und sehnt sich beispielsweise nach Strand und Meer. Doch für viele Menschen in Deutschland ist Staycation keine Option unter vielen, sondern Pflichtprogramm: Sie bleiben im Urlaub zu Hause, weil sie sich schlicht keine Reise leisten können.
Erst Mitte Juli ging die Nachricht durchs Land, dass für mehr als ein Fünftel aller Deutschen eine Reise dieses Jahr finanziell nicht darstellbar ist. Das ergab sich aus den Daten von Eurostat, die die Linkspartei im Bundestag abgefragt hatte. 2019 lag der Anteil noch darunter; damals war es jeder Siebte, der aus monetären Erwägungen auf einen mehrtägigen Trip verzichten musste.
Eine der unfreiwilligen Heim-Urlauberinnen ist Michaela L., alleinerziehende Mutter. Sie lebt mit ihrer vierjährigen Tochter Elisabeth in einem Vorort von Regensburg und versucht, dem Wetter zwischen Hitzewelle und Regenfront zu trotzen. Eigentlich lebt die Kleinstfamilie nicht schlecht. Eine Dreizimmerwohnung in einer ruhigen Gegend, ein stabiler Job, ein gebrauchter Kombi vor der Tür, ein Kindergartenplatz. Michaela und Elisabeth sind aber dieses Jahr umgezogen, die räumliche Trennung vom Vater war nicht mehr aufschiebbar.
Der Erholungsfaktor leidet stark darunter
Ihre Möbel hat sich Michaela zu einem großen Teil über Bekannte und ihr Online-Netzwerk umsonst besorgt, den Umzug mit Hilfe von Freunden selbst gestemmt. Die finanziellen Reserven gingen für die Kaution und ein paar kleinere Anschaffungen für die neue Wohnung drauf. Das Einkommen reicht für den Alltag, „aber ich musste auch erst ein paar Monate lang lernen, wie ich mit der fast doppelt so hohen Miete nun klarkomme“, sagt sie. „Sicher würde ich meiner Tochter gerne mal das Meer zeigen, aber das ist dieses Jahr einfach nicht machbar“, erklärt Michaela. Urlaubsgeld gibt es in ihrer Arbeit nicht, was sie sich nicht übers Jahr zur Seite legt, ist einfach nicht da. „Gerade nach dem Umzugsstress und unserer Neuaufstellung zu zweit würde mir ein Urlaub richtig gut tun“, zeigt sie sich enttäuscht.
Neben der Zusatzbelastung durch den Umzug und ohne Zuwendungen wie Urlaubsgeld schlägt natürlich auch hier die Inflation zu. Preissteigerungen für Lebensmittel, auch bei unvermeidlichen Posten wie dem Catering im Kindergarten, akkumulieren sich, Kinderklamotten kosten heute gebraucht fast so viel wie früher neu; Alltagsluxus wie mal ein Lieferdienst schlagen zu Buche.
„Ich muss mich quasi entscheiden, ob ich es mir zwischendrin mal einfach mache und uns ein Abendessen bestelle, oder ob ich mir eine Woche pro Jahr Auszeit gönne“, sagt Michaela. Bei der Mehrfachbelastung mit fast alleiniger Kinderbetreuung, Job und Haushalt gewinne für sie oft die kleine Entzerrung des Alltags. Dass es dann keinen Urlaub gibt, findet sie schade, aber auch aktuell unvermeidlich.
Trotzdem versucht sie, ihrer Tochter einen schönen Sommer zu machen: Es sind diverse Schwimmbäder und Badeseen vor Ort, es gibt immer wieder Feste in der Stadt oder den umliegenden Dörfern, das Kind lernt gerade das Radfahren und die heimischen Wälder seien ja auch ganz schön, sinniert Michaela – etwas enttäuscht, aber optimistisch.
Dass die Kosten für Wohnen und Energie ins Gewicht fallen, ist kein Geheimnis. Diese Preistreiber sieht auch Stefan Christoph, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Oberpfälzer Bezirkstag, als wesentlichen Faktor für die Urlaubsarmut. Zudem findet er, dass die Anreize falsch gesetzt sind: „Das Bahnfahren ist im Vergleich zum Fliegen immer noch zu teuer. Dennoch verstehe ich, dass man mal raus muss. Die Politik sollte dafür sorgen, dass andere Arten des Reisens attraktiver werden“, fordert er. „Wir haben einen gesetzlichen Urlaubsanspruch und innerhalb dessen sollten die Leute auch die Möglichkeit haben, etwas anderes zu sehen.“
In der Tat sind die Preise für Flüge und Pauschalreisen in den vergangenen Jahren signifikant gestiegen. Der Preisvergleich zeigt: Zwölf Tage in einem Hostel auf Mallorca waren 2018 noch für 342 Euro pro Person inklusive Flug zu haben, im selben Hostel zahlt man dieses Jahr schon mindestens 411 Euro pro Person, eher mehr. Flüge nach Palma waren im Juni 2018 bei einem Billigfluganbieter teilweise für 42 Euro zu ergattern, im August 2023 kosten sie auch dort 250 Euro und aufwärts.
Ebensfalls von der unfreiwilligen Urlaubssperre betroffen ist das Rentnerehepaar Katharina und Johann H. aus Dingolfing. Beide haben über 40 Jahre lang gearbeitet, die Rente ist auskömmlich, aber ob eine Urlaubsreise sein muss, das überlegen sie sich zweimal. Eine Flugreise haben sie sich wegen Gesundheitsproblemen länger nicht zugetraut. Nun, da sie soweit stabil und bereit dazu wären, sind sie von den Preisen geschockt. Käufe wie E-Bikes stehen an, „ein bisschen Komfort im Alltag wollen wir uns jetzt schon leisten“, sagen sie.
Wie bei Michaela L. wägen sie Erleichterungen des täglichen Lebens gegen das außergewöhnliche Erlebnis Urlaub ab. Beides sei zumindest vom monatlichen Einkommen nicht zu stemmen. „Wir müssen uns entscheiden, und das ist nach über 40 Jahren Arbeit schon bitter“, fassen sie ihre Lage zusammen.
Manche Fachleute definieren das als Armut
Die Unmöglichkeit, sich einmal jährlich eine einwöchige Urlaubsreise leisten zu können, gilt in manchen Definitionen sogar als ein mögliches Merkmal von Armut. Davon sind eben auch oder gerade Menschen betroffen, die augenscheinlich mitten im Leben stehen und keine offensichtlichen finanziellen Sorgen haben. Menschen mit regelmäßigem Einkommen aus Arbeit oder Rente müssen sich bei einer Preissteigerung von über zwölf Prozent für Reisen oftmals dagegen entscheiden.
Dabei leidet oft der Erholungsfaktor. Immer im selben Umfeld zu bleiben, bedeutet auch, nie Abstand zu denselben Sorgen und Nöten zu haben. „Doch wer arbeitet, muss sich auch erholen können“, sagt Marina Mühlbauer, stellvertretende Bezirksgeschäftsführerin von ver.di Oberpfalz. Und entgegen vieler Annahmen werde das Arbeitsleben nicht unbedingt leichter: „Die wachsende Produktivität führt oft zur Arbeitsverdichtung statt zur Arbeitserleichterung“, so Mühlbauer. „Urlaub ist wichtiger denn je“, sagt die Gewerkschafterin. Die Möglichkeit auf Urlaub abseits des gewohnten Umfelds trage dazu bei, trotz Stress gesund und arbeitsfähig zu bleiben.
Natürlich ist der Verzicht auf Urlaub nicht so existenziell wie ein Mangel an Nahrung oder Wohnraum. Doch Reisen ermöglicht nicht nur Nichtstun und Erholung, sondern auch kulturelle Bildung oder einen Perspektivwechsel auf das eigene Leben. Insofern wäre es tragisch und fast schon undemokratisch, wenn diese Option zum Privileg der Reichen würde. (Bianca Haslbeck)
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