Leben in Bayern

Josef Settele wird mit dem EuroNatur-Preis für Verdienste um den Naturschutz ausgezeichnet. (Foto: dpa/Hendrik Schmidt)

13.10.2021

Vom Spinnerten zum Gesicht des Artenschutzes

Frankreichs Präsident, Deutschlands Umweltministerin, Jäger aus Niederösterreich: Geht es um Artenschutz, zählen sie auf die Arbeit von Josef Settele. Dass er dafür nun ausgezeichnet wird, ist auch langweiligen Sommerferien in seiner Allgäuer Heimat zu verdanken.

 Die Begeisterung für Insekten, die er als Sechsjähriger im Allgäu entwickelt hat, ist Josef Settele auch mehr als 50 Jahre später noch anzumerken. "In meiner Freizeit sammle ich immer noch Schmetterlinge", sagt der 60-jährige Agrarbiologe, jetzt Professor für Ökologie und am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle (Saale) tätig. Statt des Kindheitskumpels interessieren sich nun Politiker für seine Arbeit: Settele ist einer der drei Hauptautoren des Berichts des Weltbiodiversitätsrats IPBES zum Zustand der Erde beim Artenschutz.

Und der ist nach Erkenntnissen der beteiligten Wissenschaftler dramatisch: Bis zu eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Das Ausmaß des Artensterbens sei in der Geschichte der Menschheit noch nie so groß gewesen, warnte Settele bei der Vorstellung des jüngsten Weltberichts 2019. Die Menschheit lasse die Natur in rasendem Tempo verschwinden. Gravierende Folgen weltweit seien wahrscheinlich. Wachstum dürfe daher nicht länger im Mittelpunkt stehen, nachhaltige Wirtschaftssysteme seien nötig.

Im Gespräch mit Josef Settele ist von Alarmismus aber wenig zu hören. Artenschutz, das sei "wie beim Klima ein zäher Prozess", sagt er. "Aber fast alle Prozesse im politischen Kontext sind langsam." Seine Aufgabe sei es nicht, Politikern vorzuschreiben, was sie tun sollen, sondern sie für Entscheidungen zu informieren, betont Settele. "Das ist oft eine Gratwanderung." Schließlich unterstützt er auch klare Empfehlungen: zum Beispiel 30 Prozent der Flächen in Deutschland unter Naturschutz zu stellen und nachhaltig zu bewirtschaften oder Umweltkosten bei Lebensmitteln einzupreisen.

Gerade seine Rolle als Vermittler hat dem Agrarbiologen viele Türen geöffnet. Für den Weltbiodiversitätsrat IPBES habe ihn die Bundesregierung nominiert, "weil er es versteht, sein breites und fundiertes Wissen in weithin wahrnehmbare, verständliche Handlungsvorschläge zu übersetzen", sagt eine Sprecherin des Bundesumweltministeriums. "International ist er damit als Fachwissenschaftler zum Gesicht des Naturschutzes geworden."

Das Gremium selbst wird von vielen Regierungen hoch geachtet: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron empfing IPBES-Vertreter im Elysee-Palast, mehrere Umweltminister nominierten den Rat mehrfach für den Friedensnobelpreis - bislang erfolglos. Stattdessen nimmt der 60-Jährige am Donnerstag stellvertretend für das Gremium in Konstanz den EuroNatur-Umweltpreis von der gleichnamigen Stiftung für herausragende Leistungen für den Naturschutz entgegen. "Eine Anerkennung unserer Arbeit", findet er.

Als Erfolg verbucht Josef Settele es auch, wenn er gefragt und seine Anregungen aufgegriffen werden - egal, ob es sich beim Gegenüber um Bundestagsabgeordnete, internationale Forscher oder den Landesverband der Jäger in Niederösterreich handelt. "Es geht in den Gesprächen immer um den Einstieg", sagt Settele. "Jäger brauchen zum Beispiel, wenn sie Niederwild jagen wollen, Insekten für die Rebhühner. Wenn man dann mal drin ist, kann man auch andere Themen gut anbringen."

Gerade Diskussionen mit Politikern seien in der Wissenschaft aber nicht jedermanns Sache, sagt Settele. "Das ist etwas, was nur wenige meiner Kollegen machen wollen. Da haben nicht alle Bock, sich neben der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit noch in das Haifischbecken Politik zu wagen." Dort werde er mit seinen Anliegen in Sachen Artenschutz aber inzwischen viel ernster genommen als früher, sagt Settele. "Die Offenheit ist über Parteigrenzen hinweg groß, die Interpretation natürlich verschieden."

Auch in seiner Heimat Marktoberdorf werde inzwischen anders über seine aus Faszination und Langeweile während der Sommerferien geborene Leidenschaft gedacht, sagt Settele. "Ich galt eher als spinnert, ein Insektenfreak. Als ich dann noch etwas im Bereich Ökologie studieren wollte, galt ich als für die Menschheit verloren", erinnert er sich und lacht. "Als ich dann promoviert war, war das aber völlig anders - da war ich der Herr Doktor. Da durfte ich auf einmal über alles sprechen."
(dpa)

Versiegelte Böden, wenig Grün
Insekten sind wichtig für das Überleben der Menschheit. Schließlich sorgen sie unter anderem dafür, dass Bäume und andere Pflanzen bestäubt werden. Dass es einen dramatischen Insektenschwund gibt, ist deshalb beunruhigend. Doch was sind die Ursachen dafür? Forscher der Universität Würzburg fanden in einer Studie in Bayern heraus, dass vor allem Eingriffe der Menschen in die Natur dafür verantwortlich sind. Die Erwärmung infolge des Klimawandels spiele dagegen zumindest hierzulande eine geringere Rolle, als bislang angenommen.

Negative Folgen haben demnach etwa die zunehmende Verstädterung und die damit verbundene Versiegelung von Böden oder intensive Landwirtschaft. Höhere Temperaturen dagegen könnten sich sogar positiv auf die Menge der Insekten und die Anzahl der Arten auswirken, heißt es in der Untersuchung, die am Dienstag im Journal "Nature Communications" veröffentlicht wurde. Das gelte jedoch nur bis zu einer gewissen Temperaturgrenze, die aber hierzulande noch nicht erreicht sei, sagte der Biologe Johannes Uhler, der Erstautor der Studie.

In bisherigen Untersuchungen zu diesem Thema hatten die Würzburger Schwächen ausgemacht. Bislang habe man für das Insektensterben vor allem die Veränderungen der Landnutzung verantwortlich gemacht, etwa durch den Anbau von Monokulturen wie Raps oder Mais. Auch der Klimawandel mit vermehrter Hitze und Trockenheit sei als Ursache genannt worden. Doch bisherige Befunde bildeten die Vielfalt der Insektenarten nicht gut genug ab oder berücksichtigten nur kurze Zeiträume oder kleine Gebiete, so ihre Kritik.

Im Frühjahr 2019 stellten die Forscher vom Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie an der Universität Würzburg deshalb an 179 Orten in ganz Bayern Netzfallen auf, vom Tiefland bis in die Berge, in Wäldern, auf Wiesen und Feldern, in naturnahen Gebieten und in Siedlungen. Eine ganze Vegetationsperiode lang seien die Fallen alle 14 Tage geleert worden. Anschließend bestimmten Forscher die Biomasse, also das Gewicht der gefangenen Insekten, das als Maßstab für die Menge gilt, die in einem Gebiet vorkommt. Zudem habe man mit Hilfe von DNA-Analysen die Arten identifiziert.

Am besten schnitten naturnahe Gebiete ab wie zum Beispiel Wälder. Hier fanden die Forscher die meisten Arten und die meisten Insekten. In der Stadt dagegen war die Biomasse der Insekten nach Auskunft der Forscher um 42 Prozent niedriger. Rund um bewirtschaftete Flächen war dagegen die Artenvielfalt um 29 Prozent niedriger. "Es wurden sogar 56 Prozent weniger gefährdete Arten in landwirtschaftlichen Gebieten gefunden", erläuterte Uhler.

Urbanisierung führe zu einem Rückgang der Biomasse und die Ausweitung landwirtschaftlich genutzter Flächen zu einem Rückgang des Artenreichtums, resümierten die Wissenschaftler. Allerdings: Aus einem Rückgang der Biomasse dürfe man nicht schließen, dass es gleichzeitig auch weniger Arten gebe - und umgekehrt, sagte Uhler.

Auch Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle ist sicher, dass wärmeres Klima nicht unbedingt schadet. "Grundsätzlich sind Insekten im Großen und Ganzen wärmeliebende Tiere, weshalb ihnen höhere Temperaturen erst mal entgegenkommen", erklärt der Biologe. Wichtig seien aber auch indirekte Wirkungen, wenn etwa wegen höherer Temperaturen die Nahrungspflanzen nicht mehr vorkommen könnten oder sich die klimatischen Vorlieben von Insekt und Nahrungspflanze auseinander entwickelten.

Was Settele Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass Lebensräume für Insekten immer weiter verloren gehen, für häufige Arten ebenso wie für seltene und gefährdete. Er spricht von einem deutlichen Verlust der Vielfalt an Insekten, "praktisch quer über alle Gruppen hinweg". Bei der Menge gebe es unterschiedliche Ergebnisse, sie sei aber auch meist rückläufig.

Doch was tun? Die Würzburger Forscher empfehlen unter anderem mehr Grünflächen in Städten, etwa am Straßenrand oder auf Dächern. Zudem solle man bestehende Agrarumweltprogramme weiter ausbauen und den Wald als Lebensraum fördern. Auch Hecken und Ackerrandstreifen seien wichtig, erklärt Uhler. Davon könnten viele Insekten auch von der Roten Liste profitieren, etwa Wildbienenarten, Heuschrecken oder Schmetterlinge.

Doch lassen sich die bayernweiten Erkenntnisse auf ganz Deutschland übertragen? Uhler verweist auf sehr spezielle Klimabedingungen in einzelnen Regionen, etwa im norddeutschen Küstengebiet. Im Großen und Ganzen seien die Ergebnisse aber wohl übertragbar. Und auch der Biologe Settele ist sicher: Bezüglich des Rückgangs in landwirtschaftlich geprägten Gebieten erschienen die Ergebnisse auf alle Fälle repräsentativ.
(dpa)

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