Seit genau einem Jahrzehnt gibt es das Arbeitslosengeld II. Ebenso lange existiert in München die kirchliche Arbeitslosengruppe KOMMunikationstreff. Denn allzu leicht gleiten gerade Langzeitarbeitslose in die Isolation ab. Die Staatszeitung hat eines der Treffen besucht und mit den Teilnehmern über ihr Leben mit Hartz IV gesprochen.
Das Buch Hiob erzählt die Geschichte eines vormals reichen Mannes, der alles verliert. Und es geht um das Thema, wie ein gerechter Gott Leid zulassen kann. Neulich war Hiob das Thema in der Theatergruppe. „Das Theaterspielen ist für mich sehr wichtig“, sagt Magdalena T. Es lässt sie ihre Sorgen eine Zeitlang vergessen. Etwa, wovon sie Winterstiefel bezahlen soll. Die sie doch dringend braucht.
Das Westend in München, ein altes Arbeiterviertel. Hier arbeitet in der katholischen Pfarrgemeinde Sankt Rupert seit 18 Jahren der Arbeiterseelsorger Mike Gallen. Der gebürtige Neuseeländer kennt die Nöte der Menschen. Sein „KOMMunikationstreff“ an der Gollierstraße 61 soll helfen, die Isolation zu überwinden, in die Langzeitarbeitslose leicht hineingleiten. Zweimal pro Monat trifft sich hier die Arbeitslosengruppe und zweimal auch die Theatergruppe. Für viele ein Strohhalm in einem Meer von Bedeutungslosigkeit, in das sie geworfen wurden. Und das hat auch mit Hartz IV zu tun, das vor genau zehn Jahren in Kraft getreten ist.
Es ist Mittwoch, 10 Uhr: Im Pfarrsaal gibt es Frühstück, Kaffee, kleine Wurst- und Käseplatten. An die 30 Leute sitzen an den Tischen, unter ihnen Mike

Gallen. Jeder hier hat ein Schicksal zu erzählen. So wie Godi M. Der 61-Jährige war beruflich als Einkaufsleiter tätig, wurde arbeitslos. Seit zehn Jahren versucht er, irgendwo in einer unbefristeten Tätigkeit Fuß zu fassen. In dieser Zeit gab es drei Episoden mit Anstellungen, die aber wieder endeten. In diesen zehn Jahren, sagt Godi M., habe er „zweitausend bis dreitausend Bewerbungen“ geschrieben. Vergeblich. Seine Bilanz nach zehn Jahren Hartz IV: „Ich bin aufgrund meines Alters und meiner Überqualifikation chancenlos.“ Andere in der Gruppe pflichten ihm bei. „Wenn man erst einmal auf der Spirale nach unten ist, kommt man aus dieser Schleife nicht mehr heraus“, meint Gerda F. „Nicht so deprimiert rumlaufen“, setzt Seelsorger Gallen manchmal dagegen.
„Ich habe mich noch nicht verloren gegeben“
Auch bei Magdalena T. begann es mit der Entlassung aus dem festen Job, die medizinische Übersetzerin verlor ihren festen Arbeitsplatz. Was folgte, war das Hineingleiten in die Selbstständigkeit, was sich aber schließlich als Folge von zeitlich befristeten Jobs und dazwischen immer wieder Phasen der Arbeitslosigkeit herausstellte. Aus der Selbstständigkeit wurde eine andauernde prekäre Situation. Und seit mehr als einem Jahr lebt Magdalena T. nun schon von Hartz IV.
Verwandte und Freunde finden es schwer zu glauben, dass sie nichts Festes mehr findet. Als Akademikerin, die doch studiert hat und später noch eine Journalistenausbildung draufsetzte. Warum klappte es trotzdem nicht mit einer neuen Arbeitsstelle? „Da ist das Alter“, meint Magdalena T., mit 45 Jahren sei das schon zu einem „Vermittlungshemmnis“ geworden. Ab und zu sei sie auch zu Bewerbungsgesprächen eingeladen worden, doch „es gibt immer jemanden, der jünger und vielleicht noch besser qualifiziert ist“. Von den Jobcentern erwartet sie sich keine große Hilfe, dort säßen Leute hinter den Schreibtischen, die selber Existenzangst hätten. Oft seien die Stellenangebote veraltet, und die Zeitarbeitsfirmen würden nur ihre Bewerber-Pools auffüllen.
Magdalena T. wohnt in einem Ein-Zimmer-Apartment außerhalb Münchens. Ihre persönliche Hartz IV-Bilanz? „Ich bin ziemlich weit unten, aber ich habe mich noch nicht verloren gegeben.“ Sie sagt das ganz ohne Pathos oder Weinerlichkeit. Aber der Satz kommt mit einer Art realistischen Nüchternheit daher, die freilich wiederum betroffen macht. Diese Nüchternheit scheint auch auf, wenn es um Wünsche für das neue Jahr geht. „Früher“, sagt die 45-Jährige, „habe ich geglaubt, nächstes Jahr wird’s besser.“ Es kam jedoch anders, heute lebt sie deshalb Tag für Tag.
„Vor jedem amtlichen Schreiben habe ich Angst“
Das Frühstück im Pfarrsaal ist nun vorbei, ein Korb geht rum für kleine Zugaben zum Frühstücksbuffet. Sie fallen sehr klein aus, kein ganzer Euro findet sich zwischen den Centmünzen. Jetzt kommt die traditionelle Stunde für „Tipps und Tricks“, praktische Hinweise zum Leben mit Hartz IV und in der Arbeitslosigkeit. Da gebe es zum Beispiel den Münchner Gesundheitsladen, wo man sich die Zähne ohne Zuzahlung richten lassen könne. Die Menschen, die in die Gruppe kommen, haben quasi alle mit Arbeitslosengeld II zu tun, sind also Langzeitarbeitslose und beziehen Hartz IV. Es sind mehr Frauen als Männer, und fast alle sind älter als 50 Jahre.
Manche sitzen in Gruppen zusammen, kennen sich schon länger. Andere sitzen eher für sich alleine. Gegen 12 Uhr dann steht noch das Schwerpunktthema an. Heute heißt es „10 Jahre Hartz IV– Gefühle, Erfahrungen, Erkenntnisse“. Gefühle gibt es viele. „Es gibt mir das Gefühl, ein Mensch dritter Klasse zu sein“, sagt eine Teilnehmerin über die Notwendigkeit, Nahrungsmittel bei der Tafel zu holen. Wie viele der Anwesenden ist sie aber schlicht darauf angewiesen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Und dann ist da noch die Angst vor der Behörde. „Früher hatte ich das nie“, sagt Klaus G., „aber heute habe ich Angst vor dem amtlichen Schreiben.“ Ein anderer Teilnehmer: „Es ist bitter, wenn ein Brief vom Jobcenter kommt. Manchmal lasse ich ihn zwei Tage liegen, bis ich mich stark genug fühle.“ Mike Gallens Bilanz geht in diese Richtung: „Bei jeder Änderung am Hartz-IV-Gesetz seit 2005 war eine Verschärfung mit dabei.“
Die Arbeitslosengruppe hilft den Menschen, über die Runden zu kommen, der seelische Beistand und die Kontakte sind wichtig. Magdalena T. sagt: „Was mir guttut, ist der Besuch der Theatergruppe zweimal im Monat.“ Sie achtet darauf, in Kontakt mit anderen zu bleiben, um „die Nase über Wasser zu halten und nicht unterzugehen“. Und sie gibt nicht auf und bewirbt sich weiter. Deshalb will sie ihre Geschichte – so wie die anderen auch – nur anonym erzählen.
(
Rudolf Stumberger)
(Bild: Arbeitslosenseelsorger Mike Gallen; Foto: Stumberger)
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