Diese Woche sind es wieder mehr als 30 Menschen, die sich im Meditationsraum versammeln. Ihre Aufgabe: sitzen und schweigen. Da ist dann nichts außer dem eigenen Atem, der langsam den Brustkorb hebt und senkt und wie die Gezeiten des Meeres durch den Körper fließt – Ebbe und Flut, Einatmen und Ausatmen. Das Licht ist gedämpft hier in der weiten Meditationshalle. „Ich bin ihm zweimal bei Zen-Sitzungen begegnet“, erzählt etwas später Bruder Rolf Fleiter, er leitet das Zen-Meditationszentrum im Franziskanerkloster in Dietfurt im Altmühltal. Er spricht von Hugo Lassalle, der in den 1970er-Jahren das Meditationszentrum mitgegründet hat. Der Pater hatte die Atombombe, die über Hiroshima abgeworfen wurde, vor Ort überlebt und wirkte später als Vermittler zwischen fernöstlicher Zen-Meditation und dem Christentum.
In der Mitte gibt es einen Zen-Garten
Sein Porträt hängt im Eingangsbereich zum Meditationszentrum, das ganz im japanischen Baustil gehalten ist, mit einem Zen-Garten in der Mitte. Hugo Lassalle (geboren 1898) war damals Mitglied der Jesuiten-Mission in Hiroshima, die 1936 eingerichtet worden war. Es ist heuer 80 Jahre her, dass am 6. August 1945 um 8.15 Uhr eine Boeing B-29 „Superfortress“ der amerikanischen Luftwaffe über der Großstadt Hiroshima im Westen der Hauptinsel Honshu eine Bombe in 9500 Metern Höhe ausklinkt. Während das Flugzeug mit seiner zwölfköpfigen Besatzung abdreht, explodiert Sekunden später die erste Atombombe der Geschichte, die als Massenvernichtungswaffe eingesetzt wurde.
Die Detonation ereignet sich in rund 600 Metern Höhe über der Stadt und tötet durch ihre Druckwelle und die Hitzestrahlung sofort an die 70 000 bis 80 000 Menschen: Kinder und Greise, Männer und Frauen, Japaner und koreanische Kriegsgefangene, Verletzte in den Krankenhäusern. Pater Lassalle beschrieb den Moment so: „Allmählich setzte sich der Staub und es wurde wieder hell im Zimmer. Die Fenster und die Wände waren kaputt. Ich war nicht umgefallen, aber ich dachte, dass ich bald tot sein werde.“ Die Patres überleben die Bombe, wahrscheinlich weil sie in einem Steinhaus wohnten, mit kleineren Verletzungen und retten einige Menschen unter den Trümmern der umliegenden Häuser, darunter die Kindergärtnerinnen des Katechistenhauses. Pater Lassalle überlebt auch die schrecklichen Tage nach Abwurf der Bombe. In der Nachkriegszeit ist er auf der Suche nach einem neuen Weg der Spiritualität und findet ihn schließlich in der Zen-Meditation, er wird in Deutschland ein Mittler zwischen asiatischen Meditationsformen und christlicher Religion. Eine Folge seines Wirkens kann man im Kloster Dietfurt im Altmühltal sehen: Dort wurde im Dezember 1977 die Meditationshalle im japanischen Stil eingeweiht und das ehemalige Noviziatsgebäude zu einem Gästehaus erweitert. Es war das erste Meditationszentrum seiner Art in Europa.
Man wollte damals der esoterischen Welle, die Anfang der 1970er-Jahre die jungen Menschen erfasst hatte und die sich auf den Weg nach Indien machten, etwas entgegensetzen, erinnert sich Othmar Franthal. Der Zen-Meister war von 1981 an fast zehn Jahre lang der Schüler von Pater Lassalle, der hier im Kloster Dietfurt auch eine Zeit lang lebte. Das Kloster selbst hat eine lange Geschichte: Es geht zurück auf den Dietfurter Gastwirt und Bürgermeister Johann Hübmer, der 1658 den Franziskanern einen drei Tagwerk großen Garten zur Erbauung eines Klosters schenkte. 1660 wurde der Grundstein gelegt, 1665 war der Klosterbau so weit fertig, dass die ersten Franziskaner einziehen konnten. Zwei Jahre später war auch die Kirche vollendet. Mit der Säkularisation hob 1802 die bayerische Regierung mit allen bayerischen Klöstern auch das Kloster Dietfurt auf, doch es blieb ein sogenanntes Zentralkloster, in dem die alten Franziskaner bis zu ihrem Tode bleiben konnten. Als der bayerische König Ludwig I. den Thron bestieg, erreichte eine Abordnung Dietfurter Bürger die Zusicherung, dass das Kloster weiterbestehen könne. Der jüngste Teil des Klosters besteht aus dem von 1976 bis 1978 erbauten Meditationshaus im fernöstlichen Stil.
Menschen aus ganz Europa kommen
Heute zieht das Meditationszentrum Menschen aus ganz Europa nach Dietfurt. Zurück im Meditationssaal. Es ist ein leises „Kling“, das die Meditation beendet. Ein heller Ton, der plötzlich den Raum des Schweigens erfüllt und die Meditierenden zurück in diese Welt holt. Nur ein leises Rascheln der Kleidung ist zu hören, als sich die Kursteilnehmer vom Boden erheben und sich mit gefalteten Händen, dem Gassho-Gruß, aus dem großen Raum verabschieden.
„Die Kurse waren seit 40 Jahren immer ausgebucht“, erinnert sich Zen-Meister Othmar Franthal; er ist heute im Ruhestand, lebt in der Nähe des Klosters und gibt noch immer Kurse. „Die Zen-Meditation“, sagt er, „ist ein Erfahrungsweg.“ Es gehe um die „tiefe Erfahrung des Menschseins“. Seit Corona aber sei die Nachfrage nach den Zen-Sitzungen etwas gesunken, heute sei es kein Problem mehr, einen Platz in einem der 23 Kurse zu finden, die Othmar Franthal dieses Jahr anbietet. Sich selbst spüren, sich auf den Ursprung beziehen, zu eigener Kraft kommen – das suchen die Teilnehmer an den ganzjährig angebotenen Zen-Meditationskursen des Klosters. Und sie suchen eine Heimat und den Schutz der alten Ordensmauern, obwohl viele eher vom „Rand der Kirchen“ her kommen. Sie suchen eine Begegnung mit der Mystik sozusagen auf „neutralem Boden“, ohne sich den beiden großen christlichen Konfessionen zu sehr zu verbinden. Viele der Kursteilnehmer sind in intellektuellen Berufen tätig, als Ärzte etwa oder Lehrer. Viele sind älter als 40 Jahre und in diesem Lebensabschnitt nun auf der Suche nach Antworten auf tiefergehende Sinnfragen – nachdem die Kinder vielleicht erwachsen und die materiellen Verhältnisse geordnet sind.
Und wie ist das zu vereinbaren, auf der einen Seite das Angebot der Zen-Meditation im Kloster und auf der anderen Seite die Austrittswelle aus der Kirche und der ausbleibende Nachwuchs, zum Beispiel bei den Ordensleuten? „Es gibt einen Hunger nach Spiritualität“, weiß Zen-Meister Franthal, der aber nicht unbedingt von den christlichen Kirchen gestillt werde. Aber immerhin, ergänzt Bruder Rolf, würde ein Drittel der Meditationsteilnehmer auch zu seinen Gottesdiensten kommen.
Ein Förderverein wurde gegründet
Und wie sieht es mit der Zukunft des Klosters aus? Noch leben hier fünf Brüder, die freilich alle älter sind. „Klar ist, das Kloster würde es heute ohne das Meditationszentrum nicht mehr geben“, sagt Othmar Franthal. Wenn sich der Franziskanerorden aus dem Kloster zurückziehe, falle es wieder dem bayerischen Staat zu. „Wir wollen nicht, dass es verkauft wird“, sagt der Zen-Lehrer. Deshalb hat sich ein Förderverein gegründet, der mittlerweile an die 3000 Mitglieder zählt.
Dietfurt im Altmühltal, die kleine Gemeinde mit 6000 Einwohnern, hat übrigens neben dem japanischen Meditationshaus noch einen Bezug zu Asien. In der Faschingszeit wird hier der „Chinesenfasching“ zelebriert, und dann kommt auch schon mal das Fernsehen. Denn die Dietfurter verkleiden sich als Chinesen und ziehen so die Hauptstraße entlang das ist schon mehr als 100 Jahre so und niemand weiß mehr genau, warum. An die 15 000 Besucher werden dann am Unsinnigen Donnerstag gezählt, und einige von ihnen werden wohl oben am Franziskanerkloster vorbeispazieren. (Rudolf Stumberger)
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