Seit dem Himmelfahrtstag 2006 gibt es an dem von den Nationalsozialisten errichteten Nürnberger Reichsparteitagsgelände ein Informationssystem. 23 über das gesamte Areal verteilte Stelen helfen Besuchern, sich ohne fremde Hilfe dort zurechtzufinden. Jetzt hat die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg eine neue Studie vorgelegt. Demnach wird das Gelände weit intensiver genutzt, als bisher vermutet.Die Hinterlassenschaft des „Tausendjährigen Reichs“ in Nürnberg ist riesig. Je nachdem, wie man die Flächen zählt, ist von vier bis elf Quadratkilometern die Rede. Seit Jahrzehnten haben Stadt und Verwaltung darüber diskutiert, wie mit diesem unfreiwilligen Erbe umzugehen ist. Verfallen lassen? Wieder im Originalstil errichten? Im vergangenen Jahr einigte man sich im Wesentlichen auf Verkehrssicherung.
Eine Viertelmillion Besucher kommen pro Jahr
Schon allein die Instandhaltung der Zeppelintribüne kostet 73 Millionen Euro – über zwölf Jahre verteilt. „Dafür werden Mittelzuflüsse von Bund und Land erhofft, die Anträge kommen demnächst“, erläutert Professorin Julia Lehner (CSU), die Kulturreferentin der Frankenmetropole.
Doch für wen und mit welcher Absicht sollen die noch stehenden Gebäude, Aufmarschplätze und Tribünen der Nationalsozialisten erhalten werden? Bekannt war bislang: Etwa eine Viertelmillion

Menschen kommen jährlich mit Bussen oder sonstigen „geführten 7200 Programmen“ zu den Flächen zwischen Zeppelintribüne und Märzfeld. Nun hat eine Studie des Lehrstuhls für Didaktik der Geschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) „überraschende Ergebnisse“ zutage gefördert. Was Lehner besonders überrascht, ist die Menge jener Besucher, die aus eigenem Antrieb über das Gelände laufen.
16 797 Passanten registrierten die Uni-Leute an drei Tagen im Sommer 2016 an fünf Beobachtungsstationen. Was den Schluss zulasse: Weit mehr Menschen als bisher angenommen nutzen den Ort der Reichsparteitage. Auch, um selbst einen Eindruck von den Dimensionen und Hintergründen der zum Baudenkmal gewordenen Nazidiktatur zu bekommen.
Klar: Viele Menschen queren aus ganz profanen Gründen das Gelände – zum Beispiel, um zur oder von der Arbeit zu kommen. Wer „Erholung“ als Motiv für den Besuch nannte (39 Prozent), stammte zu drei Viertel aus Nürnberg und Umgebung. Dennoch hat die qualitative, nicht repräsentative Befragung von 663 Personen ergeben: Über 40 Prozent kamen nicht aus dem 90000er Postleitzahlbereich des zentralen Mittelfranken. Und: Jeder fünfte Befragte gab an, aus einer von 28 anderen Nationen angereist zu sein.
Das Interesse bestärkt gerade Julia Lehner wie ihren Oberbür-germeister Ulrich Maly (SPD). Beide wollen das Reichsparteitagsgelände der Nachwelt erhalten. Auch wenn gut 40 Prozent der Befragten angaben, „keine Erwartungen gehabt“ zu haben. 52 Prozent sahen ihre Erwartungen erfüllt. Für nur gut fünf Prozent galt das Gegenteil. Auf 83 Prozent der Besucher wirkten „die baulichen Überreste eindrucksvoll“, 63 Prozent empfanden sie „wie Bau-werke aus Diktaturen“.
Persönlicher Erkenntnisgewinn
Wer erwartet hatte, das Gelände wäre ein Anziehungspunkt für Ewiggestrige, die einmal auf dem Redeplatz ihres Idols Adolf Hitler stehen wollten, wurde enttäuscht. Ein Studienautor sieht das Gegenteil der Fall: „Bei der Durchsicht aller Antworten sind mir nur drei Fragebögen untergekommen, die offensichtlich aus der rechten Ecke kommen.“ Auch wenn Lehrstuhlinhaberin Professorin Char-lotte Bühl-Gramer zugibt: „Die direkte Frage nach der politischen Ausrichtung wollten wir nicht explizit stellen.“
Ebenfalls eine wichtige Erkenntnis ist für Studienmanagerin Bühl-Gramer: Mehr als jeder zweite Befragte „findet die Begehung des Geländes ohne einen Besuch des Dokumentationszentrums

Reichsparteitage sinnvoll“. Dagegen findet den „Besuch des Dokumentationszentrums ohne Begehung des Geländes“ nur ein Drittel der Antwortenden gut. Sprich: „Die Besucher messen der Begehung des Geländes außergewöhnlich großen Wert in Bezug auf ihren persönlichen Erkenntnisgewinn bei.“ Auf die entsprechende Frage antworteten immerhin 71 Prozent mit „Ja“, aber nur acht Prozent mit „Nein“.
Was noch auffällt: Je mehr die Architektur ins Auge sticht, umso stärker der Wunsch, den Ort zu besichtigen. Denn während Kongresshalle (zirka 80 Prozent), Zeppelintribüne (75 Prozent) und Dokuzentrum (zwei Drittel aller Befragten) von vielen aufgesucht werden, fallen gerade bei den Ortsfremden die Zahlen für Luitpoldhain (unter 20 Prozent) und Fundamentreste Märzfeld (unter zehn Prozent) stark ab. Das wiederum passt zum Ergebnis, dass von über der Hälfte zum Nachvollziehen der Geschichte des Geländes Verbesserungen gewünscht werden.
Mehr Informationen, auch in Form neuer Medien oder eines Gelände-Audioguides, wünsche sich insbesondere die Gruppe der jüngsten Befragten. Alle Altersgruppen wünschen sich eine Verbesserung der touristischen Infrastruktur. Toiletten zum Beispiel sind Mangelware.
Dass die Stadt diese Probleme und Missstände nicht alleine beheben kann, das scheint inzwischen auch bei den politischen Entscheidungsträgern in Bund und Land angekommen zu sein. Nur konkrete Geldzusagen gibt es bislang keine. Aber die Kommune sei mit transparenter Erschließung auf dem richtigen Weg.
Laut Kulturreferentin Lehner ist klar, „dass wir bei der Vermittlungsarbeit mehr auf digitales Erleben setzen“. Gerade weil 53 Prozent der Befragten ihre Geschichtskenntnisse vertiefen wollen. „Der authentische Ort spricht seine eigene Sprache“, so Lehner. Darum fänden es nur 2,5 Prozent der Befragten richtig, die Bauwerke verfallen zu lassen. Aus diesem Grund hofft die Kulturreferentin, dass auch die Fördergeber die Notwendigkeit begreifen.
Denn seit jeher tobt in Nürnbergs Öffentlichkeit ein Streit, ob man die 73 Millionen Euro nicht für Wichtigeres einsetzen sollte. Zum Beispiel in Qualifizierungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose. Denn nach wie vor ist die Frankenmetropole bayernweit ein Brennpunkt, was hohe Arbeitslosigkeit angeht.
(
Heinz Wraneschitz)
Fotos (Wraneschitz): Bisher gibt es nur Informationstafeln, die den Besuchern des Reichsparteitagsgeländes erklären, was sich dort zur Nazi-Zeit abspielte. Die Bauten sind alle stark baufällig, weshalb das Betreten auf eigene Gefahr geschieht.
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!