Leben in Bayern

Carla und Martin Moretti geben die Hoffnung nicht auf. (Foto: Sandra Mira)

05.04.2012

Wenn der Traum vom Baby zum Trauma wird

Künstliche Befruchtung, indischer Guru und Mönchspfeffer: Ein Münchner Paar berichtet von den vergeblichen Versuchen, ein Kind zu bekommen

Erst kamen Spaß und Karriere, ans Kinderkriegen dachte die Münchnerin Carla Moretti – wie viele Frauen heute – erst mit Ende 30. Doch jetzt will es einfach nicht klappen. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie sich den Frust von der Seele geschrieben. Die Staatszeitung hat das Paar besucht.

„Ich bin eine Last-Minute-Frau.“ Mit diesem Satz beginnt Carla Moretti das Buch Baby-Bingo. Sie erzählt, wie sie exakt an ihrem 38. Geburtstag plötzlich den sehnlichen Wunsch verspürt, Mutter zu werden. Ihr Mann Martin verspricht, sie dabei nach Kräften zu unterstützen. Doch aus dem Traum wird bald ein Trauma.Denn es will einfach nicht klappen mit der Schwangerschaft. Hilfsmittel wie Mönchspfeffer, Schüßler-Salze, Akupunktur, Schwangerschaftsmassagen, ein Liebesurlaub, Viagra und der Besuch bei einem indischen Guru – nichts bleibt unversucht. Auch eine Hormontherapie, Insemination und künstlicher Befruchtung kommen zum Einsatz. Doch während ringsum der Babyalarm schrillt, passiert bei den Morettis nichts. Außer, dass sich die Spirale aus Hoffnung und Enttäuschung immer schneller dreht.


Promis machen es vor: Schwanger mit 46 Jahren


Carla, heute 40 Jahre alt und Martin, 44, brechen eines der letzten Tabus, indem sie völlig offen über ihre vergebliche Kinderwunschaktivitäten, die letztlich sogar ihre glückliche Beziehung in Gefahr bringen, sprechen. Ein Thema, über das selbst im engen Freundeskreis kaum gesprochen wird. Dabei geht es immer mehr Paaren wie den beiden Münchnern. Auch weil der Kinderwunsch immer öfter nach hinten geschoben wird.
Insgesamt ist das Durchschnittsalter von Erstgebärenden seit den 1960er Jahren von 25 auf heute fast 30 Jahre angestiegen. Besonders bei den Erstgebärenden ab dem 40. Lebensjahr beobachten die Statistiker einen wachsenden Anstieg: 1991 hatten laut dem Statistischen Bundesamt nur 0,8 Prozent der erstgeborenen Kinder eine Mutter von 40 Jahren und älter, im Jahr 2000 waren es 1,8 Prozent und 2003 bereits 3,9 Prozent. Und bereits jedes vierte Kind hat heute eine Mutter über 35. Tendenz weiter steigend.
„Frauen sind heute höher qualifiziert, haben längere Ausbildungs- und Studienzeiten und stehen mit Männern im Arbeitsleben in Konkurrenz“, erklärt Carla das Phänomen. „Wenn sie sich dann im Beruf durchgesetzt haben, wollen sie das erst mal auskosten und den Status nicht gleich durch eine Schwangerschaft gefährden. Sie wollen den Erfolg genießen, reisen, sich selbst verwirklichen.“ Die groß gewachsene blonde Frau ist selbst der beste Beweis für diese Theorie. Nach dem Abitur studierte sie Internationales Marketing in London und Los Angeles, dann arbeitete sie als Kundenberaterin bei einer Werbeagentur in New York. Seit 2000 lebt Carla in München, wo sie im Alter von 33 Jahren auch ihren Mann kennenlernte. „Das ist das zweite Problem“, sagt Carla. „Es vergeht heute sehr viel Zeit, bis wir uns auf einen Partner festlegen. Oft zu viel Zeit. Und wenn wir dann Mr. Right gefunden haben, wollen wir das Glück mit ihm auch erst mal auskosten, unabhängig sein. Zudem sind auch immer weniger Männer bereit, schon mit Anfang 30 Vater zu werden.“
Den Trend zum späten Kind bekommen wir auch von Prominenten vorgelebt. Julia Jäckel, die Frau von Ulrich Wickert, bekam kürzlich mit 40 Jahren Zwillinge. Carla Bruni mit 43. Uma Thurman erwartet mit 41 ein Kind, und auch Liz Hurley soll wieder schwanger sein: Sie ist sogar schon 46.

"Das Kinderkriegen gleicht einem Glücksspiel"


Ein spätes Glück scheint möglich, wo liegt also das Problem? Martin Moretti, der Südtiroler Wurzeln hat, muss lachen. „Ein Problem? Es gibt, wie wir erfahren mussten, leider unzählige Barrieren“ sagt er. „Deshalb heißt unser Buch ja auch Baby-Bingo. Letztlich gleicht das Kinderkriegen einem Glücksspiel. Man kann zwar den Einsatz zum Beispiel durch künstliche Nachhilfe etwas erhöhen. Aber, dass man den Jackpot dadurch knackt, ist nicht garantiert. Denn es gibt in dieser Lotterie nur einen Hauptpreis und keinen zweiten und dritten Preis, keine Trostpreise.“ Er selbst beschreibt in dem Buch, wie er seinen Beitrag zu einer Insemination ruinierte, weil er den Becher unter der Jacke mit einer Wärmflasche körperwarm halten wollte. Zu warm, wie sich herausstellte.
Eine der vielen humorvollen Szenen in Baby-Bingo. Die Achterbahnfahrt eines glücklichen Paares in der Kinderwunschzeit, gerade im Diana Verlag erschienen. Denn die Autoren schaffen es, dem eigentlich ernsten Thema auch skurrile und oft urkomische Seiten abzugewinnen. Zum Beispiel, als Martin einem Freund, der zum Kaffeetrinken bei ihm ist, aus Versehen Carlas schwangerschaftsfördernde Folsäure gibt. Denn die Dinger sehen genauso aus wie Süßstoff. Das Buch hält die Balance aus Ernsthaftigkeit, Unterhaltung und Optimismus.
„Genau das war auch unsere Absicht“, sagt Carla Moretti. „Es gibt zwar viele wissenschaftliche und auch esoterische Bücher über die Kinderwunschzeit. Aber keines, das ganz ehrlich und authentisch über diese Extremphase berichtet. Ein solches Buch wäre für mich in vielen Phasen ein willkommener Trost gewesen.“ Nun hat sie mit ihrem Mann genau dieses Buch also selbst geschrieben.
Während Carla Moretti auch viele medizinische Hintergründe und persönliche Tipps beisteuert, merkt man den Kapiteln von Martin Moretti an, dass er als Autor von Gala, Cosmopolitan und InStyle einen geschulten Blick auf Partnerschaftsthemen hat. Er versteht es, die Gefühle der Männer in dieser schwierigen Zeit auf den Punkt zu bringen. „Carla hat sich ja auch körperlich verändert und unterlag Stimmungsschwankungen“, sagt er. „Man versucht natürlich, die körperliche Veränderung seiner Frau durch die Hormone zu ignorieren. Es wäre ja extrem unfair, die Partnerin noch dafür verantwortlich zu machen, dass sie ihrem Körper für den Kinderwunsch so einiges zumutet. Wie ich im Buch beschreibe, ist es mir allerdings leider nicht immer gelungen, die Veränderungen nicht zu kommentieren. Und ein einziger blöder Spruch des Mannes kann in dieser angespannten Phase schwere Folgen haben.“ Für die Beziehung eines Paare eine Zerreißprobe: „Unsere Beziehung war damals an einem Tiefpunkt und hätte auch zerbrechen können. Sie hat überlebt, weil wir beide die Geduld hatten, einige Monate den Zustand eines Parallellebens zu ertragen.“


Zwei Schwangerschaften endeten mit Enttäuschung


Wer die beiden in ihrer Dachwohnung in Bogenhausen besucht, der spürt sofort, dass sie inzwischen ein harmonisches Paar sind. „Ja, wir sind wie ein Schwanenpaar, das Schreiben hat uns einander noch näher gebracht“, sagt Carla Moretti mit ihrer sanften Stimme. Sie würde wirklich eine ideale Mutter abgeben. „Wir haben viel voneinander erfahren, was wir nicht ausgesprochen hatten“, ergänzt Martin. „Es war ein bisschen, als würde man das geheime Tagebuch des anderen lesen.“
Aber eine Frage bleibt noch: Am Ende des Buches ist Carla ein zweites Mal schwanger. Doch, wie sie traurig erzählt: Auch diese Hoffnung endete leider mit einer Enttäuschung. Die Lehre, die das Paar daraus zog? „Wir sind anfangs sehr optimistisch, fast schon blauäugig, an das Kinderwunschthema rangegangen“, berichtet Carla. „Doch mit der Zeit merkt man, dass es kein Recht auf Kinderwunscherfüllung gibt, wie das Recht auf eine Schulbildung.“ Und Martin ergänzt: „Man wird demütiger vor der Natur. Und wir wissen heute, dass wir auch ohne Kind kein unglückliches Leben führen würden.“
Also lassen sie den Kinderwunsch ruhen? Martin: „Wir werden die Hoffnung bis zuletzt nicht aufgeben. Das ist auch die Botschaft unseres Buches!“ Carla: „Wir raten, dass sich beide rechtzeitig medizinisch beraten lassen, um sicher zu gehen, dass sie überhaupt auf natürlichem Weg ein Kind bekommen können. Denn es kann viele Gründe dafür geben, dass es nicht klappt. Und man darf sich auch von mehreren Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen. Es gibt so viele Paare, bei denen es erst nach Jahren klappt.“ Wie lange werden sie es noch versuchen? Carla sagt: „Die Grenze wird uns die biologische Uhr setzen.“ (Claudia Schuh)

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