In diesem Film ist nichts, aber auch gar nichts erfunden: Imran Mohammadi lässt in seinem zehnminütigem Video drei Jugendliche erzählen, was sie auf ihrer Flucht nach Deutschland erlebten. Seine Interviewpartner erklären, warum sie fliehen mussten. Und wie es ihnen hier geht. Geflüchtete heißt der Kurzfilm, an dem der 17-Jährige aus Würzburg ein halbes Jahr gearbeitet hat. Das Video, sagt Imran, soll vor allem eine Botschaft transportieren: „Wir alle sind nicht aus Spaß hier.“
Imran Mohammadi lebt seit knapp zwei Jahren in Deutschland. Hier hat er viele gute Menschen kennen gelernt, allerdings auch erlebt, in welchem Maße Flüchtlinge abgelehnt werden. „Die Leute denken, wir kommen, weil wir Geld vom Staat wollen, um es zu verschwenden“, sagt er. Von den wahren Fluchtgründen hätten die meisten Deutschen keine Ahnung. Als er dies mitbekam, keimte in Imran die Idee auf, einen Film zu drehen. Einen Jugendlichen aus Afghanistan sowie zwei junge Frauen aus Syrien und Eritrea lässt er darin zu Wort kommen. Alle drei schafften es unter abenteuerlichen Umständen, nach Deutschland zu fliehen. Die Würzburger Mönchbergschule, wo Imran soeben seinen Quali gemacht hat, war sofort bereit, das Filmprojekt zu unterstützen. Vor allem Schulsozialarbeiter Naoufel Hafsa stand dem Schüler in der Realisierungsphase zur Seite. Mit Steffen Boseckert, einem Würzburger Regisseur, der schon häufiger Filmprojekte mit Mönchbergschülern realisierte, erhielt Imran Hilfe von einem echten Filmprofi.
„Ich wollte nicht auf Menschen schießen“
Die Idee, einen Film zu drehen, der dazu beitragen soll, Vorurteile gegen junge Flüchtlinge zu entkräften, stieß bei Abbas Shinwari auf großes Interesse. Der junge Afghane willigte sofort ein, sich interviewen zu lassen. Imran und Abbas kennen sich schon länger. Beide lebten in derselben Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Inzwischen wohnen sie in einer WG.
Abbas verließ sein Heimatland, weil die Taliban ihn zwangen, Soldat zu werden: „Doch ich wollte nicht mit der Kalaschnikow auf Menschen schießen.“ Der damals 16-Jährige träumte davon, Medizin zu studieren. Doch die Taliban akzeptieren kein Nein. Abbas: „Wer sich Befehlen verweigert, wird auf einem öffentlichen Platz erschossen.“ Vier Monate war Abbas auf der Flucht. Durch etliche Länder führte ihn sein Weg. „Durch den Iran, die Türkei, Mazedonien, Griechenland, Serbien, Ungarn, Österreich und Deutschland“, listet er auf. Mit einem kleinen Rucksack hatte er sich auf den Weg gemacht. Darin befanden sich eine Flasche Wasser und Kekse. Manchmal konnte er unterwegs die Flasche auffüllen und den Proviant erneuern. Manchmal aber auch nicht: „Es gab Tage, an denen ich nichts zu essen hatte.“
Während der Flucht schlief Abbas im Wald oder am Straßenrand. Ganz wie es sich ergab. Als besonders schlimm erlebte der Jugendliche die Grenzregion zwischen dem Iran und der Türkei: „Da gibt es viele Soldaten. Wenn sie einen Flüchtling sehen, schießen sie.“ Abbas schaffte es, durchzukommen. In Griechenland allerdings war die Flucht zunächst zu Ende: „Ich wurde erwischt.“ 45 Tage lang steckte man den jungen Mann ins Gefängnis.
Wenn das Leben in der Hand der Schleuser liegt
Immer wieder musste sich Abbas auf neue Schleuser einlassen. Immer wieder gab er sein Schicksal anderen Menschen in die Hand. Er konnte stets nur hoffen, dass die nächste Etappe der Flucht gut ausgehen würde. Bis er endlich nach Deutschland gelangte: „Wohin ich von Anfang an fliehen wollte.“
Abbas besuchte im vergangenen Schuljahr die Würzburger Franz-Oberthür-Berufsschule, die mehrere Flüchtlingsklassen eingerichtet hat. Trotzdem er die Sprache neu lernen musste, gelang es ihm, den Mittelschulabschluss zu erreichen. Im September beginnt er in der Würzburger Gaststätte Schützenhof eine Lehre als Restaurantfachmann. Schon während der Schulzeit jobbte er als Küchenhilfe. 450 Euro verdiente er im Monat. Ein Viertel musste er ans Jugendamt abführen. Was für Abbas völlig in Ordnung war: „Wir wollen nicht einfach Geld nehmen. Wir wollen arbeiten, Steuern abführen und in die Rentenkasse einzahlen.“
Bei einer Demokratie-Konferenz Ende Juni wurde Imran Mohammadis Film erstmals öffentlich vorgeführt. Auch sein Interviewpartner Abbas Shinwari nahm an der Premiere teil. Das Publikum reagierte überaus positiv, erzählt Imran: „Die Leute motivierten mich auch, weitere Filme zu drehen.“ Dass er so viel Zuspruch erhielt, machte Imran stolz und glücklich. Wobei negative Reaktionen von den Tagungsteilnehmern kaum zu erwarten waren, handelte es sich bei ihnen doch ausschließlich um Menschen, die sich für Demokratie und Vielfalt engagieren.
Imran will mit Schülern ins Gespräch kommen
Spannend dagegen dürfte es werden, wenn Imran seinen Film an Schulen zeigt. Mit Schülern ins Gespräch zu kommen, ist Ziel des jungen Mannes, sind doch gerade auch Jugendliche mitunter negativ gegen Flüchtlinge eingestellt. Schulen ihrerseits haben großes Interesse an dem Streifen. Sowie Imrans Filmprojekt bekannt wurde, nahmen mehrere Bildungseinrichtungen Kontakt zur Mönchbergschule auf. Im neuen Schuljahr soll der Film erstmals in Klassen gezeigt werden. Wann immer es ihm zeitlich möglich ist, möchte Imran dabei sein. Um noch einmal seine Motivation zu erklären. Und auch, um von sich zu erzählen. Denn seine eigene Geschichte sparte er im Film bewusst aus.
Dass Imran fliehen musste, lag ebenfalls an den Taliban. Die wurden auf den damals 15-Jährigen aufmerksam, als der bei amerikanischen Soldaten jobbte: „Ich half in der Küche mit.“ Der Jugendliche brauchte einen Job, denn die Taliban hatten seinen Vater um Lohn und Brot gebracht. Imran musste die Familie finanziell unterstützen. Dass der Teenager ausgerechnet beim „Feind“ arbeiten ging, brachte die Taliban auf. Sie wollten an ihm ein Exempel statuieren und drohten, ihn öffentlich zu lynchen. Da floh der Jugendliche.
Fünf Monate war Imran auf der Flucht. „Ich hatte viele schlechte Tage ohne Essen und Trinken“, erzählte er in seiner kleinen Ansprache bei der Filmpremiere. Auch musste er mit ansehen, wie ein Freund von ihm während der Flucht vor seinen Augen von Räubern erschossen wurde. „Sie verlangten von uns, dass wir alles hergeben, was wir besitzen“, erklärt Imran. Alles Geld wollten sie haben, alle Handys und alle Uhren. Imrans Freund konnte sich nicht vorstellen, wie er ohne irgendwelche Wertgegenstände auf seiner Flucht weiterkommen sollte. Er versuchte, davonzurennen. Da schossen ihn die Räuber mit einer Pistole nieder.
Leute schrieen Imran an: Verpiss dich in dein Land
Zu Imrans schlimmsten Erlebnissen während der Flucht gehört eine dreistündige Autofahrt. „Wir waren mit dem Fahrer zu neunt“, berichtet er. Zusammen mit zwei anderen Jugendlichen wurde er in den Kofferraum gepackt: „Ich dachte, das werde ich höchstens eine Stunde überleben.“ Imran überstand die Tortur. Doch bei der Ankunft war er so schwach, dass er nicht mehr laufen konnte. In Deutschland verfolgten ihn die schlimmen Bilder von der Flucht noch eine ganze Weile. Doch in seiner Wohngruppe kam er zur Ruhe: „Ein paar Tage lang war ich dort nur auf meinem Zimmer.“
Nachdem er sich erholt hatte, wollte Imran die Stadt kennenlernen, in die es ihn verschlagen hatte. Er begann, erste Streifzüge zu unternehmen: „Dabei bin ich manchmal beleidigt worden.“ Einmal schlenderte er über das Bahnhofsareal. „Da sagten Leute: ‚Du Kanacke, warum bist du in unser Land gekommen. Verpiss dich in dein Land.’“ Er habe nichts erwidert. Traurig sei er heimgegangen: „Ich habe mir aber gesagt, wenn die Leute so etwas zu mir sagen, dann sagen die das bestimmt auch zu den anderen Flüchtlingen.“ Deswegen habe er auf eigene Faust den Film gemacht. Sollte es zu einem zweiten Filmprojekt kommen, würde Imran gerne in einem deutsch-afghanischen Team arbeiten: „Denn ich finde, wir sollten unsere Talente zusammentun.“ (Pat Christ)
Imrans Film "Geflüchtete" kann über die Mönchbergschule von Schulen ausgeliehen werden – unter 0931-73784 oder moenchbergschule-wuerzburg@t-online.de
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!