Leben in Bayern

Mit frisch onduliertem Haar: Die Königin von Saba reitet zur Krippe in der Mindelheimer Jesuitenkirche. (Fotos : Traub (2), Allgäu GMBH)

20.12.2019

Wo das älteste Jesuskind zu Hause ist

Mindelheim ist die Krippenhauptstadt des Allgäus – auch dank des ehrenamtlichen Engagements vieler Bürgerinnen und Bürger

Die visuelle Kommunikation ist eigentlich eine Erfindung der Jesuiten“, meint Christian Schedler. Der Kunsthistoriker aus Mindelheim im Unterallgäu muss es wissen, leitet er doch das schwäbische Krippenmuseum, das seinen Sitz im ehemaligen Kolleg der Jesuiten hat. Und die hatten vor 400 Jahren die Idee, die Geschichte von der Geburt Christi den Menschen nördlich der Alpen durch eine Krippe, wie wir sie bis heute kennen, zu vermitteln.

Gleich neben dem Museum liegt die Jesuitenkirche, die in der Weihnachtszeit ihren Schatz ausbreitet: die Krippe, die auf das Jahr 1618 zurückgeht. Sie ist ein Fest fürs Auge. 80 Figuren, bis zu einem Meter groß, erzählen mehrere Geschichten. „Die Krippe vermittelt einen hervorragenden Eindruck barocker Frömmigkeit, die das Weihnachtsgeschehen in die heimische Landschaft versetzt hat“, so Schedler. Die Heiligen drei Könige erscheinen mit großem Gefolge, auf Pferden und mit einem Elefanten. Mindelheimer Bürger und Bauern streben in Tracht zur Krippe.

Im Vordergrund reitet die Königin von Saba. Das reich dekorierte Kleid fällt genauso ins Auge wie ihr gelocktes Haar. Das bringt jedes Jahr eine Mindelheimer Friseurin in Form. Die Jesuitenkrippe verdankt sich nämlich einem hohen Maß an ehrenamtlicher Arbeit. Bürger und Bürgerinnen sorgen nicht nur für den Aufbau, sie reparieren auch und kümmern sich darum, dass das gerupfte Fell der Schafe ausgebessert wird. „Mindelheim ist eben eine Krippenstadt“, bringt es der Museumsleiter auf den Punkt.

Der Weg durch das historische Zentrum mit seinen schmucken Bürgerhäusern und den stattlichen Türmen der alten Befestigung führt zur Pfarrkirche St. Stephan und ihrer Krippe. Hier sind es nicht weniger als 160 Figuren, die eine Vielzahl von Szenen aus Altem wie Neuem Testament präsentieren. Man entdeckt Moses im Binsenkorb und den von David hingestreckten Goliath, die Flucht aus Ägypten sowie die Hochzeit von Kana. Ganzjährig ist die kleine Krippe im früheren Heilig-Geist-Spital zu sehen. Ein hundert Jahre altes, mechanisches Spielwerk macht es möglich, dass das Jesuskind seinen Segen spenden kann.

Eine Mindelheimer Friseurin kümmert sich um die Locken der Figuren

Höhepunkt des Weges durch die Krippenstadt aber ist das 2018 komplett neu gestaltete Museum, das mit einem echten Superlativ aufwarten kann: dem ältesten Jesuskind. Die Holzfigur ist zwar nur 8,5 Zentimeter groß, stammt aber aus dem frühen 14. Jahrhundert. Das macht sie zu einer kunsthistorischen Sensation. „Es war seiner Zeit weit voraus“, berichtet Schedler. „Zu jener Zeit wurden Kinder nicht wie Kinder dargestellt, das kam erst rund 200 Jahre später.“ Das Mindelheimer Jesuskind ist nackt, ruht im Schneidersitz und lutscht ganz in sich gekehrt an einem Finger, während die andere Hand einen Fuß umfasst. Es stamme aus einem Dominikanerinnenkloster in Leutkirch. Sein Schöpfer sei unbekannt, so Schedler. „Die Figur ist der Beweis, dass die Wiege der Christuskindverehrung in Schwaben stand.“

Seit der Wiedereröffnung stellt das Museum, das eine der ältesten Krippensammlungen in Deutschland besitzt, die Exponate nicht beziehungslos nebeneinander. Stattdessen werden sie theatralisch inszeniert und mit vielen Informationen als kulturgeschichtliches Phänomen vermittelt. Es gibt Hörstationen und auch einen Zeichentrickfilm. „Das Krippengeschehen hat immer noch aktuelle Bezüge – leider“, bemerkt Schedler und verweist auf das Thema Vertreibung.

Die Krippenkultur ist in Mindelheim aber nicht nur im Museum und den Kirchen zu Hause. Bei Werner Fuchs im Vorort Oberbach steht gleich ein ganzes Haus inklusive Anbau im Zeichen der Weihnachtsgeschichte. „Vor 45 Jahren habe ich angefangen zu sammeln“, blickt der Senior zurück, der auch im Verein der Krippenfreunde aktiv ist. Jetzt, wo es aber wirklich keinen Platz mehr gebe, höre er auf, bemerkt er lächelnd. Früher, als noch jeder eine Krippe besaß, habe es die Tradition gegeben, seine Häuser zu öffnen, damit die Menschen sich die Krippen ansehen konnten. „Ich habe daran festgehalten.“

Werner Fuchs sammelt privat Krippen – und öffnet Gästen gerne sein Haus

Stolz und kenntnisreich führt Fuchs die Gäste durch sein mehrstöckiges Reich, in dem es von einem Prunkstück aus dem 19. Jahrhundert, einer figurenreichen Münchner Krippe im Orientstil bis zu einer amerikanischen Papierkrippe vieles zu sehen gibt. Es gibt sogar eine Krippe, die sich im Nähkasten versteckt.

Krippentradition lebt nicht nur in Mindelheim, sondern auch in der Umgebung – besonders in den Klöstern. Die Benediktinerabtei Ottobeuren, deren Basilika mit barocker Üppigkeit wuchert, ist das Ziel vieler Reisender. Aber auch die Klosterkrippe mit mehr als 300 Figuren, teils noch in barocken Originalgewändern, und 230 Tierplastiken kann sich wirklich sehen lassen. Und die Franziskanerinnen im nahen Bonlanden haben in ihrem Kloster ihrer Krippe mit 16 Szenen und bis zu 250 Jahre alten Figuren sogar 160 Quadratmeter gewidmet.

Die Krippenreise nach Mindelheim und in die Region ist eine stille Alternative zum lärmenden Weihnachtsmarkttourismus und eine nachdrückliche Begegnung mit Geschichte und Tradition. Und auf Glühwein muss man auch nicht verzichten.
(Ulrich Traub)

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