Leben in Bayern

Auch in München wurden Straßen umbenannt. Zum Beispiel im Jahr 2010 die frühere Meiserstraße. Dem früheren evangelischen Landesbischof Hans Meiser werden antisemitische Äußerungen vorgeworfen. Katharina von Bora, nach der München die Straße in der Folge benannte, ist die Frau von Reformator Martin Luther. (Foto: dpa/Frank Leonhardt)

02.06.2023

Zoff um unliebsame Straßennamen

Eigentlich klar: Nach ehemaligen SA-Leuten sollten keine Straßen benannt werden. Trotzdem streitet eine kleine Gemeinde in Mittelfranken deshalb

In Allersberg gibt es Straßen, die gibt es gar nicht. Die Ludwig-Gmelch-Straße etwa. Oder die Wilhelm-Burkhardt-Straße. Schilder haben die Straßen keine, auch das Navi findet sie nicht. Selbst Bernhard Böckeler findet sie nicht. Er steht im Neubaugebiet und läuft die Straßen ab. Die kleinere, heißt es, soll die Wilhelm-Burkhardt-Straße sein. Doch welche ist kleiner? Die kürzere, die schmalere? Diese hier – oder vielleicht doch diese?

Sie zu finden ist nicht leicht – und doch erregt keine Straße in Allersberg so viel Aufsehen wie diese. Es geht um die Frage, ob es richtig war, sie nach Wilhelm Burkhardt zu benennen. Denn Burkhardt war nicht nur für kurze Zeit nach dem Krieg Bürgermeister von Allersberg, er war auch – ebenfalls für kurze Zeit – in der SA.

Böckeler hat die Suchexpedition aufgegeben, er sitzt jetzt in der Eisdiele Azzurro, gleich gegenüber dem Rathaus. „Es läuft doch auf einen Punkt hinaus“, sagt er jetzt. „Warum mache ich mich überhaupt an eine Straßenbenennung heran, wenn ich weiß, die Person war bei der SA?“

Böckeler ist ein freundlicher, nicht allzu großer Herr von 67 Jahren mit weißem Schnauzer. 24 Jahre lang war der CSUler selbst Bürgermeister, bis er 2017 nicht mehr antrat. In seiner Amtszeit bekam die Marktgemeinde südlich von Nürnberg wieder einen Bahnanschluss, die historische Gilardi-Fabrik direkt am Marktplatz wurde von der Gemeinde gekauft. Hier saßen früher die Drahtzieher, und das hat in diesem Fall nichts mit Politik zu tun: Das Handwerk des Drahtziehens, dafür war Allersberg dank der Firma Gilardi berühmt.

Bürgermeister für nur rund drei Monate

Böckeler kümmert sich inzwischen als Vorsitzender eines Fördervereins um die Sanierung des Gilardi-Anwesens. Jenes Haus, vor dem in der Früh nach der Pogromnacht im November 1938 etliche Nazis standen und den jüdischstämmigen Fabrikbesitzer Erik Geiershoefer und seine Mutter festnahmen.

Im Gefängnis in Hilpoltstein, erzählt Böckeler, seien ihnen Vollmachten abgepresst worden, tags darauf habe ihnen die Fabrik nicht mehr gehört. Was Geiershoefer blieb, war sein Leben. Im Frühjahr 1939 konnte er mit Frau und Tochter nach England fliehen. Böckeler erzählt die Geschichte, weil Geiershoefer später einer der Hauptbelastungszeugen gegen Burkhardt war.

Burkhardt war erst 1937 von Nürnberg nach Allersberg gezogen. Er hatte eine Firma, mit der er Druckereimaschinen vertrieb. Nach dem Krieg setzten ihn die Amerikaner als Bürgermeister ein: ein Amt, das er vom 25. Juni bis 3. Oktober 1945 ausübte. Danach sprach man nicht mehr viel über Wilhelm Burkhardt in Allersberg – bis zum 21. März 2021. Da stand im Gemeinderat das Thema Straßenbenennungen auf der Tagesordnung.

Im Neubaugebiet Im Keinzel sollten die Straßen nach Ludwig Gmelch, Bürgermeister von 1975 bis 1993, und Burkhardt benannt werden. Wovon man zu diesem Zeitpunkt noch nichts wusste, war dessen SA-Vergangenheit. Erst als Bernhard Böckeler im Juli 2022 im Staatsarchiv Nürnberg auf Burkhardts Spruchkammerakten stieß, wurde diese bekannt. Die Aufregung war groß, es kam zu hitzigen Debatten im Gemeinderat.

Die Straßenbenennung zurücknehmen wollte die aus Freien Wählern, dem Allersberger Bürgerforum und dem parteilosen Bürgermeister Daniel Horndasch bestehende Gemeinderatsmehrheit allerdings nicht. Auch nicht, als die Debatte noch durch Post aus England befeuert wurde. Dort lebt Alexander Schulenburg, der Sohn der 2020 verstorbenen früheren Gilardi-Chefin Susanne Schulenburg, der Tochter von Erik Geiershoefer.

Alexander Schulenburg mischte sich via Pressemitteilung in die Debatte ein: An dem Straßennamen festzuhalten wäre „eine Beleidigung für die Opfer des Nationalsozialismus“. Er vermutete sogar, dass Horndasch absichtlich ein unvollständiges Bild Burkhardts zeichnen möchte, um auf der Straßenbenennung beharren zu können. Denn: Wie aus Allersberg zu hören sei, bleibe ein von der Gemeindearchivarin angefertigtes Gutachten zu Burkhardt unter Verschluss.

Gern hätte man den Bürgermeister zu den Vorwürfen befragt. Doch dieser lässt auf Anfrage lediglich mitteilen, dass es derzeit „vonseiten der Verwaltung keine Notwendigkeit für öffentliche Erklärungen zum Sachverhalt oder zu unterschiedlichen Sichtweisen“ gebe.

Natürlich sind belastete Straßennamen keine Allersberger Besonderheit. So sind in der ganzen Republik Straßen nach Agnes Miegel benannt, einer Autorin, die die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis vertrat. Auch Hindenburg, der Hitler zum Kanzler machte, ist in den Stadtplänen allgegenwärtig. Und in der Kreisstadt Roth gibt es einen Rudolf-Wöhrl-Ring. Der Modehausbegründer Wöhrl war 1931 in die NSDAP, 1933 in die SS eingetreten.

Nur ist der Fingerzeig auf die anderen, die es doch noch schlimmer trieben, selten hilfreich. Und so landen wir wieder in Allersberg, dieser 8000-Einwohner*innen-Gemeinde, die der Rest Deutschlands, wenn überhaupt, nur als Autobahnausfahrt kennt. Und eine Besonderheit hat der Allersberger Fall ja doch: Während es sich sonst bei unliebsamen Straßennamen meist um Altlasten handelt, bekam die Wilhelm-Burkhardt-Straße ihren Namen vor gerade einmal zwei Jahren.

Hilfsbereit sei er gewesen und ein Organisationstalent, begründeten die Freien Wähler seinerzeit ihren Antrag, die Straße nach Burkhardt zu benennen. Und viel weiß man tatsächlich nicht über diesen Mann, der schon 1949 im Alter von 52 Jahren starb.

Aussagen über ihn finden sich vor allem in seiner Spruchkammerakte. Etwa die lobenden Worte des damaligen Landrats, der 1946 vermerkte, dass Burkhardt seinen Aufgaben mit „größter Selbstaufopferung“ nachgekommen sei. Der Pfarrer seinerseits will Burkhardt als „schärfsten Gegner des Naziregimes“ gekannt haben. Kann man glauben. Oft aber entlasteten sich die Zeugen vor den Spruchkammern nur gegenseitig.

Zudem gibt es ja auch kritische Stimmen – allen voran die von Erik Geiershoefer: „Meine Ansicht ist, dass Burkhardt sogar noch nach dem Zusammenbruch, aus früherem jüdischen Besitztum nach echter Naziweise Kapital für sich schlagen wollte“, sagte der Gilardi-Fabrikant vor der Spruchkammer aus.

„Nazis ehrt man nicht mit Straßennamen“

Eine andere, ganz persönliche Geschichte erzählt Aris Maul. Der 53-Jährige ist Vorsitzender des Allersberger Bürgerforums und sitzt für die Wählergemeinschaft im Gemeinderat. Und: Maul ist Burkhardts Enkel. Dass Burkhardt in der SA war, sagt Maul, passe so gar nicht zu dem, was ihm seine Mutter aber auch andere Allersberger von seinem Großvater erzählt hätten: Ein großzügiger Mann, einer, der sich gekümmert hat, der den Leuten in der schlimmsten Not geholfen hat: So hatten sie ihn beschrieben.

An eine Sache kann sich Maul selbst noch erinnern: „Ich war noch sehr klein, da habe ich zweimal erlebt, dass ehemalige Kriegsgefangene aus Frankreich bei uns an der Tür geklingelt haben und nach meinem Großvater gefragt haben. Sie wollten sich bei ihm bedanken, weil er ihnen in der schwersten Zeit geholfen, vielleicht sogar das Leben gerettet habe.“ Burkhardt war von 1942 an in einem Kriegsgefangenenlager als Stabszahlmeister eingesetzt worden. „Es ist immer noch meine feste Überzeugung“, sagt Maul, „dass er die Ideologie der Nazis in keinster Weise unterstützt hat.“

Alexander Schulenburg kann er damit freilich nicht überzeugen. SA-Mitglied bleibt SA-Mitglied. Was zähle, so der Enkel Geiershoefers, sei die „Tatsache, dass man Nazis nicht mit Straßennamen ehrt“.

Wenn es denn so einfach wäre. Ist es aber nicht, findet etwa Andreas Heusler. Er ist weder mit der Causa Burkhardt noch mit den Verhältnissen in Allersberg näher vertraut; dennoch lohnt sich ein Abstecher in die Landeshauptstadt, wo der Historiker eine Expertenkommission leitet, die der Stadt Empfehlungen für den Umgang mit belasteten Straßennamen unterbreitet.

Natürlich spielten die Mitgliedschaft in einer Partei oder Organisation für die Bewertung eine Rolle, sagt Heusler, aber nicht die allein ausschlaggebende. „Die nominelle Mitgliedschaft in der NSDAP ist kein zentrales Kriterium, aufgrund dessen wir sagen würden: Der Straßenname muss weg.“

Man müsse erst einmal untersuchen: Welche Motivation lag dem Parteieintritt zugrunde? War die fragliche Person ein aktives Mitglied? Ähnliches gelte auch für die SA. „Aus meiner historischen Erfahrung heraus kann ich sagen, dass es durchaus Männer gab, die für das Naziregime keine Sympathie hatten und aus einem gewissen Anpassungsdruck in die SA gegangen sind.“

Und was, wenn sich jemand eben erst im Laufe der Zeit zu einem Nazigegner gewandelt hat? Beispiel Erwin Rommel: Dass der Generalfeldmarschall glühender Hitler-Verehrer war und dessen verbrecherischen Krieg maßgeblich mitgestaltete, steht außer Frage. Dennoch sind heute nach ihm mindestens 15 deutsche Straßen und drei Kasernen benannt. Hätte er sich nicht 1944 dem Widerstand angenähert und wäre er nicht von Hitler zum Suizid gezwungen worden, sähe das Gedenken wohl anders aus.

Und hat sich nicht auch Burkhardt von einem SA-Saulus, zu einem Widerstands-Paulus gewandelt? Immerhin soll er aus der SA wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ ausgeschlossen, wegen seiner „demokratischen Einstellung“ aus der Wehrmacht entlassen und „als politischer Gegner der NSDAP“ dauernd beobachtet worden sein. Aspekte, die zu bedenken wären.

Allerdings hat die von den Befürwortern der Straßenbenennung so beschriebene Vita Burkhardts einen Schönheitsfehler: Sie fußt allein auf den Angaben eines Mannes: Wilhelm Burkhardt. (Dominik Baur)
 

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