Leben in Bayern

Die Jugendkriminalität ist im Freistaat zwar insgesamt rückläufig. Die Brutalität der von Heranwachsenden verübten Gewalttaten nimmt jedoch zu. (Foto: Bilderbox)

18.03.2011

Zwischen Rambo und Versager

Serie: Blaulicht – Bayerns Polizei im Einsatz (XIX): Die Sondereinheit Proper kümmert sich um jugendliche Serientäter

Um der immer brutaler werdenden Jugendgewalt entgegenzuwirken, gründete die Münchner Polizei im Jahr 2000 die Sondereinheit Proper. Die Beamten kümmern sich um Kids, bei denen elterliche Strenge und Sozialstunden längst nicht mehr weiterhelfen. Bei Proper nimmt man die schweren Jungs unter besondere Beobachtung. Eine Zahl, die schockiert: 77.081 junge Menschen unter 21 Jahren kamen im Jahr 2009 bayernweit mit dem Gesetz in Konflikt. So mancher davon hatte nach dem ersten Ausflug ins kriminelle Milieu schon wieder genug, aber etwa ein Drittel begeht laut einer Untersuchung der Kriminologischen Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei aus dem Jahr 1998 mindestens fünf Straftaten pro Jahr. An dieser Verteilung hat sich im Laufe der Jahre nur wenig geändert.
Es musste etwas passieren, um der wachsenden Jugendkriminalität entgegenzuwirken. In München gründete die Polizei deshalb im Jahr 2000 die AG Proper. Proper steht für das „Projekt personenbezogene Ermittlungen und Recherche“. „Das Terrorkid vom Kieferngarten“
Nehmen wir den Fall Ahmed: Trotz seiner 16 Jahre hat der junge Türke schon allerlei Verbrechen auf dem Kerbholz – Diebstahl, Körperverletzung und Drogendelikte. Die Figur ist fiktiv, aber repräsentativ. Die meisten Straftaten begehen junge Mehrfachrtäter im Alter von 16 oder 17 Jahren, vor allem Raub, Sachbeschädigung und Diebstahl. Mädchen sind deutlich unterrepräsentiert. Mehr als die Hälfte der jugendlichen Intensivtäter hat einen Migrationshintergrund. Vor allem bei der Gewaltkriminalität ist laut Polizeistatistik der Anteil der Täter aus der Türkei, Serbien und Montenegro, dem Irak sowie Afghanistan, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, überproportional hoch.
Früher war die Polizei bei Mehrfach- und Intensivtätern machtlos. Da sie in der Regel deliktbezogen ermittelt, tauchte Ahmed zwar bei Kollege A im Drogen-, bei Kollege B im Betrugs- und bei Kollege C im Einbruchsdezernat auf, aber kaum ein Kriminalist konnte nachvollziehen, dass Ahmed eine Art Stammgast in den Statistiken ist.
Das war so, bis man in München die AG Proper ins Leben rief. Sobald ein Jugendlicher unter 21 Jahren mehr als fünf Straftaten in einem halben Jahr inklusive einer Gewalttat begangen hat, wird er für die Arbeitsgemeinschaft zu einem potenziellen Kunden.
Ein weiteres Kriterium ist seine Prognose: Wird er weitermachen, sollte man ihn besonders im Blick behalten? Sobald der junge Delinquent in das Proper-Programm aufgenommen wurde, steht er unter besonderer Beobachtung der Polizei. Ab sofort hat er es immer mit dem gleichen, besonders geschulten Beamten zu tun und kann somit auch eine Beziehung zu ihm aufbauen. „Wir wollen den jungen Kriminellen zeigen, dass wir sie im Blick haben“, so Kriminalhauptkommissar Thomas Hemm vom Kommissariat 23 in der Münchener Bayerstraße.
Er ist von Anfang an dabei und seit 2003 AG-Leiter. Um 237 Jugendliche hat sich seine Abteilung seit Gründung gekümmert. Aktuell werden 95 Intensivtäter bei Proper geführt; es könnten doppelt so viele sein. Doch das ist mit einem Stab von acht Mitarbeitern nicht zu bewältigen. „Wir könnten locker noch zwei Mitarbeiter mehr gebrauchen“, so AG-Leiter Hemm.
Ein weiteres Problem der Beamten der AG Proper sind die Intensivtäter unter 14 Jahren, denn sie sind noch strafunmündig und können nicht mit den Mitteln der Justiz bestraft werden. Drei dieser noch zu den Kindern gerechneten Kriminellen werden derzeit in der AG Proper geführt. Der jüngste jemals erfasste Täter ging mit gerade einmal elf Jahren als das „Terrorkid vom Kieferngarten“ in die Geschichte ein. Mit Neun begann seine kriminelle Laufbahn, er fiel als gewalttätig auf. Es folgten Delikte wie Raubüberfälle, Körperverletzung. Sein größter Coup: Ein Einbruch bei BMW, samt Spritztour in der Werkshalle mit immensem Sachschaden. Er kam ins Proper-Programm.
Das einzige Mittel, das den Polizisten bei einem jungen Delinquenten wie diesem bleibt, ist, ihn sich besonders intensiv zur Brust zu nehmen, ihn unmissverständlich mit den möglichen Folgen seiner Taten zu konfrontieren. „Die Jugendlichen spüren den Druck, sie sollen erfahren, dass ihr Handeln Konsequenzen hat“, erklärt Kriminalhauptkommissar Hemm.
Besonders bei den strafunmündigen Delinquenten kommt ein weiteres Instrument des Proper-Projekts zum Tragen: die Zusammenarbeit mit den anderen Stellen, die in einem solchen Fall ebenfalls involviert sind: Jugendgerichtshilfe, Jugendamt, Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls Ausländeramt. Es wird gemeinsam beratschlagt, welche Maßnahmen für den jungen Täter am besten sind. Soll er aus seiner Familie herausgenommen und in ein geschlossenes Erziehungsheim eingewiesen werden? Würde er von erlebnispädagogischen Programmen profitieren?
Oft sind dies schwierige Abwägungen. „In der Anfangszeit des Projekts waren diese runden Tische noch nicht besonders effizient“, erzählt Hemm. Der Datenschutz verbot es den Jugendämtern, nähere Informationen zu den Jugendlichen herauszugeben. Die Polizei teilte mit den betroffenen Stellen ihre Erkenntnisse, doch wenn es um die erzieherischen Maßnahmen ging, mussten die Beamten den Raum verlassen. „Das war zum Teil ziemlich frustrierend“, so Hemm.
Doch mit der Zeit wuchs das Vertrauen, die datenrechtlichen Bestimmungen wurden präzisiert und es wurden neue Spielräume entdeckt. Für die Beamten ist es wichtig, bei diesen Entscheidungen mit einbezogen zu werden. „Es geht auch um das Erfolgserlebnis, man will einfach wissen, was aus den Kids wird.“ Oder auch, ob man diesen oder jenen Täter nun erst mal von der Liste streichen kann, weil er sowieso hinter Schloss und Riegel ist und keine Straftaten mehr begehen kann.
Im Fall vom „Terrorkid vom Kieferngarten“ konnte Thomas Hemm den Fortgang der Geschichte allerdings weiterverfolgen, es liest sich wie die Story eines Actionkrimis: Der junge Türke machte munter weiter. An die 100 Delikte hatte er am Ende auf dem Kerbholz, bis er schließlich für ein erzieherisches Auslandsprojekt vorgeschlagen wurde.
Doch noch auf dem Weg dorthin büchste der damals 13-Jährige aus dem Zug aus. Kurz nachdem er strafmündig wurde und endlich mit den Mitteln der Justiz hätte belangt werden können, schickte ihn sein Vater zum Großvater in die Heimat. Weiteres Schicksal: unbekannt.
Personalmangel gefährdet Erfolg des Projekts
Manchmal sehnt sich Kriminalhauptkommissar Thomas Hemm hellseherischen Beistand herbei. „Ich wünschte, ich würde immer die richtigen Kandidaten in die Proper-Liste aufnehmen“, sagt er. Denn wer weiß schon, wie die kriminelle Karriere eines Jugendlichen weitergeht? Mancher, der die Betreuung durch die Proper-Beamten dringend bräuchte, fällt aus Personalmangel durchs Raster.
Ein sinnvolles Recherchetool, das einen jungen Täter bei Erfüllen der Kriterien automatisch an Proper meldet, ist zurzeit nicht verfügbar – „Man arbeitet dran“, versichert Hemm. So sind die Beamten vom Kommissariat 23 auf Tipps von Kollegen aus anderen Dezernaten angewiesen, nicht selten erhalten sie ihre Informationen auch von „plaudernden“ Mittätern.
Die AG Proper ist längst ein anerkanntes Instrument bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität und wurde 2008 auf ganz Bayern ausgeweitet. Die unermüdlichen Bemühungen der Beamten sind sicher mit ein Grund dafür, dass der Anteil der jugendlichen Straftäter rückläufig ist.
Was allerdings zunimmt, ist die Brutalität der Taten. Wie kann man diesem Problem Herr werden? Polizist Hemm wünscht sich „schnellere und konsequentere Maßnahmen der Gerichte“, denn oft vergehen Monate, bis einem jungen Täter der Prozess gemacht wird. Und bekommt er dann eine Bewährungsstrafe, muss er sich schon einiges leisten, damit diese in eine Haftstrafe umgewandelt wird. (Gabi Peters)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll das Gesetz für mehr Barrierefreiheit gelockert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.