Politik

Markus Söder (2.v.r., CSU), Ministerpräsident von Bayern, spricht im ARD-Wahlstudio im Landtag neben SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen (r). Im Studio stehen die Spitzenkandidaten der Parteien (l-r) Martin Hagen (FDP), der AfD-Vorsitzende Martin Sichert, Katharina Schulze (Grüne), Hubert Aiwanger (Freie Wähler), Moderator Till Nassif sowie Moderatorin Birgit Kappel und warten auf den Beginn der Fernsehsendung. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

15.10.2018

Grüne oder Freie Wähler?

Die CSU braucht einen Koalitionspartner. Die SPD verzeichnet ihr bundesweit schlechtestes Ergebnis. Und die Grünen haben 17,8 Prozent und bisher fünf Direktmandate erobert. Die CDU fordert personelle Konsequenzen

Verheerendes Wahldebakel für CSU und SPD: Die Bayern haben bei der Landtagswahl beiden alten Volksparteien zweistellige Verluste zugefügt und die politische Landschaft umgekrempelt. Die jahrzehntelang dominierende CSU von Parteichef Horst Seehofer und Ministerpräsident Markus Söder verliert ihre absolute Mehrheit und braucht nun einen Koalitionspartner. Die SPD mit Spitzenkandidatin Natascha Kohnen verzeichnet ihr bundesweit schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl und wird nur noch fünftstärkste Kraft. Die Grünen dagegen erzielen einen Bayern-Rekord. Die AfD zieht zweistellig ins Maximilianeum ein und ist jetzt in 15 von 16 Landtagen vertreten. Die FDP erlebt eine Zitterpartie um die Rückkehr ins Parlament nach fünf Jahren Abwesenheit. Die Linke verfehlt die Fünf-Prozent-Hürde erneut.

Damit sind SPD und CSU als Regierungspartner von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geschwächt. Schon am Wahlabend zeichneten sich neue Reibereien in der ohnehin kriselnden Koalition ab. Vor der Landtagswahl in zwei Wochen in Hessen vermieden aber zunächst alle Seiten offene Personaldiskussionen und gegenseitige Attacken.

Nach den Hochrechnungen von ARD (22.30) und ZDF (22.45) kommt die CSU mit einem Minus von gut 10 Prozentpunkten nur noch auf 37,4 Prozent - ihr schlechtestes Ergebnis seit 1950. Die SPD halbiert mit Verlusten von rund 11 Punkten ihr Ergebnis von 2013 und landet bei 9,3 bis 9,6 Prozent. Zweitstärkste Kraft werden die Grünen mit 17,7 bis 17,8 Prozent - mehr als eine Verdoppelung gegenüber 2013. Es folgen die Freien Wähler mit 11,4 bis 11,8 Prozent, dicht dahinter die AfD mit 10,3 Prozent. Die FDP stand auch am späten Abend mit 5,0 Prozent noch auf der Kippe. Die Linke scheitert mit 3,1 bis 3,2 Prozent.

Daraus ergibt sich folgende Sitzverteilung: CSU 78 bis 84, SPD 20 bis 21, Grüne 37 bis 38, Freie Wähler 24 bis 25, AfD 22 und FDP 10 bis 11. Die unterschiedlichen Sitzzahlen von ARD und ZDF sind auf das komplizierte bayerische Wahlrecht zurückzuführen. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 72 Prozent (2013: 63,6).

In fünf von neun Münchner Stimmkreisen haben die Grünen bei der Landtagswahl am Sonntag Direktmandate erobert. Die beiden Spitzenkandidaten Ludwig Hartmann (40) und Katharina Schulze (33) gewannen nach Angaben des Landeswahlleiters in ihren beiden Stimmkreisen München-Mitte und Milbertshofen 44 beziehungsweise 34,9 Prozent der Erststimmen.

Auch Christian Hierneis (34,3 Prozent/Schwabing), Gülseren Demirel (30,9 Prozent/Giesing) und Benjamin Adjei (26,2 Prozent/Moosach) holten in ihren Stimmkreisen die meisten Erststimmen. Der frühere Bildungsminister und jetzige Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle (CSU) wurde in Schwabing Zweitplatzierter mit 20,9 Prozent.

Vier Münchner Stimmbezirke gingen an die CSU mit Generalsekretär Markus Blume (30,7 Prozent/Ramersdorf), Medien- und Digitalminister Georg Eisenreich (29,1 Prozent/Hadern), Robert Brannekämper (29,4 Prozent/Bogenhausen) und den zweiten Münchner Bürgermeister Josef Schmid (31,7 Prozent/Pasing), der knapp vor Hep Monatzeder von den Grünen (26,6 Prozent) siegte.

Die Grünen haben in Würzburg mit einem denkbar knappen Vorsprung vor der CSU erstmals ein Direktmandat für den bayerischen Landtag geholt. Nach Auszählung des Stimmkreises Würzburg-Stadt kam Patrick Friedl auf 29,93 Prozent der Erststimmen. Er verdrängte damit den CSU-Landtagsabgeordneten Oliver Jörg, der 2008 in den bayerischen Landtag gewählt wurde. Jörg erhielt nur 509 Stimmen weniger und kam auf 29,23 Prozent.

CDU fordert personelle- Konsequenzen

Seit 1962 hatte die CSU Bayern mit Ausnahme der Wahlperiode 2008 bis 2013 allein regiert. Eine komfortable Mehrheit hätte jetzt eine schwarz-grüne Koalition. Die Grünen-Spitzenkandidatin Katharina Schulze zeigte sich gesprächswillig: «Natürlich sind wir bereit, Verantwortung für dieses schöne Land zu übernehmen.» Söder war jedoch skeptisch: «Inhaltlich sind die Grünen meilenweit entfernt.» Er werde mit allen außer der AfD reden und strebe ein bürgerliches Bündnis an.

Nach den Hochrechnungen hätte eine Koalition mit den Freien Wählern eine Mehrheit. Deren Chef Hubert Aiwanger sagte am Abend, seine Partei werde machbare Vorschläge vorlegen. «Und ich bin überzeugt, die CSU wird anbeißen.» Eine Dreierkoalition zusammen mit der FDP von Spitzenkandidat Martin Hagen hätte eine satte Mehrheit - wenn denndie FDP in den Landtag einzieht. Auch ein schwarz-rotes Bündnis wäre knapp möglich.

Söder sagte: «Das ist ein schmerzhafter Tag.» Die CSU habe aber den klaren Regierungsauftrag erhalten. «Vom Bundestrend sich völligabzukoppeln, ist nicht so leicht.» Journalistenfragen nach der Verantwortung von Seehofer wich Söder aus. Dieser sagte im ZDF: «Natürlich habe ich als Parteivorsitzender auch Mitverantwortung für dieses Wahlergebnis.» Über personelle Konsequenzen könne man gerne diskutieren. Für die Niederlage gebe es aber zahlreiche Ursachen - auch in München.

Nach einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen sind die Gründe für den Absturz der CSU aber «primär hausgemacht». Diese zeige bei Regierungsbilanz, Parteiansehen und Sachkompetenzen Defizite und habe «ein erhebliches Personalproblem»: «Neben einem schwach bewerteten Ministerpräsidenten steht in Bayern ein massiv kritisierter Parteichef.» Einer ARD-Analyse zufolge verlor die CSU jeweils 180 000 Wähler an Grüne und AfD sowie 170 000 an die Freien Wähler. Diesen Verlust dämpfte der Hinzugewinn von 200 000 bisherigen Nichtwählern.

Auch die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles machte «die schlechte Performance der großen Koalition hier in Berlin» mitverantwortlich für den Absturz in Bayern. «Es ist uns nicht gelungen, uns von dem Richtungsstreit in der CDU/CSU frei zu machen. Deswegen gab es auch keinen Rückenwind aus Berlin, im Gegenteil. Fest steht, das muss sich ändern.»

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer hielt ebenfalls fest, «dass die Streitigkeiten der vergangenen Monate, insbesondere auch der Tonfall und der Stil, kein Rückenwind für die Wahlen in Bayern waren». Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen sprach von einem «grandiosen Erfolg» seiner Partei.

Bei der Landtagswahl 2013 hatte die CSU mit 47,7 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit geholt. Dahinter landete die SPD mit 20,6 Prozent, gefolgt von Freien Wähler mit 9,0 und Grünen mit 8,6 Prozent. FDP und Linke scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde.

Söder hatte das Amt des Ministerpräsidenten erst im März von Seehofer übernommen. Vorausgegangen war ein heftiger interner Machtkampf, der sich nach dem schlechten Abschneiden der CSU (38,8 Prozent) bei der Bundestagswahl 2017 verschärfte. Seehofer behielt aber den CSU-Vorsitz und wechselte als Innenminister ins Kabinett Merkel.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther hat der CSU nach ihrem Fiasko bei der Bayern-Wahl personelle Konsequenzen nahegelegt. «Ohne die wird es vermutlich kaum funktionieren. Allerdings halte ich wenig davon, jetzt Einzelne verantwortlich zu machen», sagte der Christdemokrat der «Welt». «Die CSU-Führung hat in vergangenen Jahren in Gänze Fehler gemacht: (Parteichef) Horst Seehofer, (Ministerpräsident) Markus Söder, (Landesgruppenchef) Alexander Dobrindt - da darf man niemanden ausnehmen.»

In den Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagte er auf die Frage nach einer Mitverantwortung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrer Migrationspolitik: «Das ist ein rein hausgemachtes CSU-Ergebnis.»Alle drei Koalitionsparteien in Berlin müssten die richtigen Schlüsse  aus dem Wahlergebnis ziehen. «Es kann nicht darum gehen, dass jeder Partner sich überwiegend darauf konzentriert, sich auf Kosten des jeweils anderen zu profilieren. Das mag vor 30 Jahren richtig gewesen sein. Heute interessieren sich die Leute nicht mehr dafür, wer was durchgesetzt hat. Sie wollen schlicht und ergreifend gut regiert werden.»

Die Verluste der CSU bei der Landtagswahl liegen nach Ansicht des Passauer Politikwissenschaftlers Heinrich Oberreuter an strategischen und taktischen Fehlern der Partei. «Die CSU hat die Zeichen der Zeit verkannt», sagte er am Sonntagabend im «Rundschau Magazin» des BR-Fernsehens. Volksparteien seien durch neue Lebensstile und gesellschaftliche Entwicklungen gefordert. «Das wollte man nicht hören, darauf hat man nicht reagiert», erklärte Oberreuter zur Politik der Christsozialen. Die CSU verlor bei der Wahl die absolute Mehrheit und fuhr ihr schlechtestes Ergebnis seit 1950 ein. (dpa)

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