Politik

Leiharbeit verursacht hohe Kosten für Pflegeheime und Kliniken. (Foto: dpa/Danny Gohlke)

04.03.2022

15 000 Euro für eine Fachkraft

Leiharbeit wird im Pflegebereich immer populärer – das ist teuer und birgt viele Risiken

An Silvester war es wieder so weit: Ulrike Hahn, Einrichtungsleiterin eines unterfränkischen Pflegeheims der AWO, hatte einen Personalengpass. Mehrere Pflegekräfte in ihrem Haus waren an Corona erkrankt. Also wandte sich Hahn an eine Leiharbeiteragentur. Dort erfuhr sie: Eine Pflegekraft würde sie nicht, wie gewohnt, 500 Euro pro Nacht kosten. Sondern 1000, weil ja Silvester war. Außerdem wurde ein Corona-Zuschlag verlangt. Hahn lehnte ab. Und schob – sie ist ausgebildete Krankenschwester – in der Silvesternacht selbst Dienst.

Leiharbeit: Das ist im Normalfall eine praktikable Möglichkeit für Unternehmen, Arbeitsspitzen aufzufangen. Als „Kuriosum“ bezeichnet Robert Hinke von der Gewerkschaft Verdi Bayern allerdings, was im Bereich der Pflege geschieht: Statt vorübergehende Engpässe zu bedienen, versuchen die Einrichtungen via Leiharbeit, einen strukturellen Mangel zu kompensieren. Das entlastet zwar kurzfristig, hat aber einen hohen Preis. Denn nicht nur die Arbeitnehmer*innen, auch die Agenturen wollen bezahlt werden. Laut Hahn sind für eine Vollzeitkraft in der Pflege monatlich 14 000 bis 15 000 Euro fällig.

Nur ein Teil, etwa 800 bis 1000 Euro mehr als der Tariflohn, landet bei der Pflegekraft. Den Löwenanteil streicht die Agentur ein. Stefan Wolfshörndl vom AWO Landesverband Bayern sagt darum: „Ich bin der Auffassung, dass die Leiharbeit die Pflege aussaugt!“

Während die Einrichtungen und ihre Träger Defizite einfahren, ist der Deal fürs Personal durchaus interessant. Die Pfleger*innen werden besser bezahlt. Sie entscheiden selbst, wann, wo und wie lange sie arbeiten wollen. Sogar der Dienstplan ist verlässlich. Das lästige Einspringen für andere, die Übernahme ungeliebter Schichten, die vielen Überstunden: All das fällt weg. Viele Pflegende schätzen es außerdem, wie Bernhard Krautz von der Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB) beobachtet hat, in unterschiedlichen Fachbereichen tätig sein zu können. Das bringt Abwechslung in den Arbeitsalltag, was gerade jüngeren Menschen gefallen dürfte.

Neid auf die Privilegien

Die Stammteams in Krankenhäusern und Alteneinrichtungen dagegen, die in gegenseitiger Loyalität das Äußerste aus sich und ihrem Arbeitstag herausholen, halten von Leiharbeit wenig. Zwar helfen die Leiharbeiter*innen ihnen immer wieder aus der Klemme. Sie werden aber auch um ihre Privilegien beneidet. Aus Sicht von Einrichtungsleiterin Hahn ist es auch problematisch, dass die Leihkräfte nur kurze Zeit im Haus sind. Was, wenn Fehler gemacht werden? Wie die Pflegenden zur Rechenschaft ziehen, die längst über alle Berge sind?

Auch Ruth Waldmann (SPD), Vizevorsitzende des Gesundheitsausschusses im Landtag, warnt vor der ausufernden Leiharbeit: Das Ausweichen vieler Beschäftigter in die Leiharbeit führe dazu, „dass oft die eher angenehmen Arbeitszeiten abgedeckt werden“, so Waldmann. Die Stammbelegschaft wiederum müsse dann umso mehr die anstrengenderen Rand- und Nachtschichten bewältigen. Sie fordert, die Arbeitsbedingungen so zu verbessern, „dass das Personal gehalten werden kann“.

Laut Robert Hinke von Verdi Bayern kann Leiharbeit auch für die Pflegenden selbst von Nachteil sein. Denn es fehlen entlastende Routinen, die soziale Unterstützung durchs Team vor Ort fällt aus. Krautz vom VdPB bestätigt: „Das Team hat eine wichtige Funktion.“ Häufig übersehen werde auch, dass Leiharbeiter*innen sowohl auf die betriebliche Altersvorsorge als auch auf Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten wie Fort- oder Weiterbildungen verzichten. Hinke von Verdi zweifelt daran, dass Leiharbeit langfristig Vorteile für die Pflegenden bringt. „Dass man auf Dauer so arbeiten kann, würde ich mit einem Fragezeichen versehen.“

Dennoch: Der Trend ist da. Das Phänomen, das in der Altenpflege begonnen hat, dehnt sich mehr und mehr auch in der Krankenpflege aus. In den Pflegeberufen insgesamt ist laut Bundesagentur für Arbeit der Anteil an Leiharbeitenden bundesweit auch seit 2020 leicht auf knapp 2 Prozent gestiegen – obwohl seither die Kosten für Leiharbeit nur in Höhe des Tariflohns vergütet werden und die Einrichtungen auf Zuschüssen und Vermittlungsentgelten sitzen bleiben.
Was man dagegen tun kann? „Das Grundproblem ist, dass eine Branche für Profitinteressen geöffnet wurde“, erklärt Hinke. „Wir brauchen eine deutlich bessere Personalquote, attraktivere Arbeits- und Einkommensbedingungen, Tarifverträge in der Altenpflege und betriebliche Interessenvertretungen.“ Verdi tritt dafür ein, Leiharbeit zu begrenzen. „Leiharbeit darf kein Strukturphänomen im Gesundheitswesen werden.“

Wolfshörndl von der AWO bringt die Überlegung ins Spiel, eine finanzielle Obergrenze für Leiharbeit einzurichten, als Pendant zum Mindestlohn. „Man sollte Leiharbeit auf das zurückfahren, wofür sie gedacht ist: im Notfall Spitzen abzudecken.“

Auch Ulrike Hahn möchte die Leiharbeit nur noch in Ausnahmefällen zulassen. Damit nicht noch mehr Pflegekräfte dahin abwandern, wo es für sie attraktiver ist. Anders sieht das der gesundheitspolitische Sprecher der Landtags-FDP, Dominik Spitzer: Die Schlussfolgerung, die Leiharbeit verbieten zu wollen, springe zu kurz. „Zum einen würde durch den Wegfall der Leiharbeit in der Pflege an vielen Orten die Versorgung schlicht zusammenbrechen. Zum anderen ist die Leiharbeit lediglich das Symptom für einen absoluten Arbeitnehmermarkt“, so Spitzer. „Daran kann man nur etwas ändern, indem man die Ursache entschlossen bekämpft: den Fachkräftemangel in der Pflege.“

In dem unterfränkischen Pflegeheim, das Ulrike Hahn leitet, stehen übrigens gerade 25 von 68 Betten leer. Nicht, weil dort weniger Menschen betreut werden müssen – es fehlt schlicht das Personal.
(Monika Goetsch)

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