Politik

1976: Die Parteivorsitzenden Helmut Kohl und Franz Josef Strauß - die CSU zog schnell ihren Beschluss, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufzukündigen wieder zurück. (Foto: dpa)

17.11.2016

40 Jahre "Geist von Kreuth"

Streit bei CDU und CSU sind keine Erfindung der jüngsten Geschichte. Doch nie eskalierte er in der Union wie am 19. November 1976: Für 23 Tage wagte die CSU mit ihrem streitbaren Chef Strauß die große Revolte. Auch wenn diese scheiterte, war mehr als ein Mythos geboren

Ein Geist geht um in der CSU - der Geist von Kreuth. Obwohl das Gespenst längst in die Jahre gekommen ist, genießt der Trennungsbeschluss der CSU-Landesgruppe vom 19. November 1976 noch immer einen hohen Stellenwert. Zum ersten und bislang einzigen Male wagte die CSU bei ihrer Klausur im seither legendären Wildbad Kreuth die große Revolte und kündigte die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag auf. Und mehr noch, der Plan von CSU-Chef Franz Josef Strauß sah auch vor, künftig bundesweit bei Wahlen anzutreten.

Anders als der seit über einem Jahr andauernde Zoff mit der CDU über die von der CSU geforderte Obergrenze für 200 000 Flüchtlinge dauerte 1976 die Mutter aller CSU-Revolten nur 23 Tage. Schon am 12. Dezember wurde der Trennungsbeschluss wieder zurückgenommen. Der Druck der CDU war einfach zu groß, der damalige Parteichef Helmut Kohl hatte dem Revoluzzer und CSU-Chef Franz Josef Strauß offen mit der Gründung eines bayerischen CDU-Landesverbandes gedroht. Trotzdem hatte Kreuth die CSU-DNA dauerhaft verändert - CSU und CDU bewegten sich nun auf Augenhöhe als gleichberechtigte Partner in der Union mit dem Recht auf eigene Meinungen und Positionen. Diese Denkweise zeigt sich aktuell eindrucksvoll im lautstarken Zoff zur Zuwanderungspolitik.

Der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter ist sich sicher, dass es eine vergleichbare Revolte nie wieder geben wird: "Die Strukturen sind zu verfestigt." Dies habe auch die jüngste Krise in der Union zur Zuwanderungspolitik gezeigt. "Das war heftig, aber nie wurde auch nur darüber nachgedacht, die Fraktionsgemeinschaft zu beenden." Für die CSU wäre ein erneuter Trennungsbeschluss "geradezu selbstmörderisch", denn die Partei müsste bei einer Ausdehnung um die Aufgabe ihrer bayerischen Identität fürchten.

Stoiber: Ohne Kreuth kein Kanzlerkandidat Strauß

"Die Mehrheit der CSU hatte eingesehen, dass mit einer Spaltung der Union die CSU ihr Alleinstellungsmerkmal und ihren einmaligen Vorteil, die einzige große Bayernpartei zu sein, verlöre", sagt auch der 1977 zum CDU-Generalsekretär gewählte Heiner Geißler. Die CSU habe am Ende erkannt, mit einer Ausdehnung über Bayern hinaus personell, organisatorisch und finanziell überfordert zu sein.
Dabei sei es genau dieser Sonderstatus, von dem die CSU bis heute profitiere, betont Oberreuter: "Es ist nicht die christliche Prägung des Freistaates oder ein besonders ausgeprägter Katholizismus, der der CSU zugute kommt, sondern die in der Bundesrepublik einmalige Konstellation, dass ein Land, eine Region, ein Lebensgefühl und Wohlergehen von einer Partei im Bund repräsentiert werden." CSU und CDU verbinde im Bund eine einzigartige Aktionsgemeinschaft, basierend auf politischer Eigenständigkeit und gemeinsamen Werten.

"Eine Zersplitterung des bürgerlichen Lagers kann niemand wirklich wollen, gerade in der heutigen Situation, in der die Volksparteien auf dem Prüfstand stehen und teilweise im 20-Prozent-Turm verharren", sagt der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber. Kreuth habe der CSU aber geholfen: "Letztlich wäre ohne Kreuth auch ein von der CDU unterstützter Kanzlerkandidat Strauß nicht denkbar gewesen", sagt der Mann, den die Nachricht über die Rücknahme des Beschlusses im Radio "wie ein Keulenschlag getroffen" habe. So sehr er daran geglaubt hatte, habe er erkennen müssen, "dass das die CSU zerrissen hätte".

Für die Chefin der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt, steht fest: "Die erste Klausurtagung in Kreuth vor 40 Jahren war der Beginn einer großen Erfolgsgeschichte." Es sei aber richtig gewesen, den Beschluss zu revidieren. "Als Union sind wir nur gemeinsam stark. Wir stehen auf dem gleichen Wertefundament, auch wenn wir in einigen wenigen Punkten unterschiedliche Auffassungen haben."

Das sieht der andere CSU-Ehrenvorsitzende, Theo Waigel, anders. Seit 40 Jahren steht für ihn fest, dass der Beschluss der CSU falsch war. Dass die Erinnerung in der CSU dennoch so positiv sei, habe einen einfachen Grund: "Ein Mythos lebt von der Erinnerung. Es sind noch immer viele Fragen offen und wir verbliebenen Zeitzeugen wissen, dass so manches von dem, was dazu gesagt wird, nicht stimmt."
(Marco Hadem, dpa)

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