Mit Diversitätsprogrammen sollen in der Arbeitswelt Benachteiligungen durch Sprache, ethnische Herkunft, Religion, Geschlechts- identität, Alter, sexuelle Orientierung und durch körperliche oder geistige Einschränkungen abgebaut werden. Wie lange noch?
Audi kennt die Tücken einer diversen Unternehmenskultur bereits. 2021 kündigte der Autohersteller an, „zur besseren Sichtbarkeit geschlechtlicher Vielfalt“ gendern zu wollen. Im Konzern wurde der Vorstoß heftig diskutiert und sogar dagegen geklagt. Das Oberlandesgericht München urteilte zwar, es gebe kein Recht für Gegner von Gendersprache, „in Ruhe gelassen zu werden“. Dennoch soll in dem Unternehmen nur noch „geschlechtersensible Sprache“ verwendet werden – statt des bei vielen verhassten Gendersterns und ähnlichen Schreibweisen.
In den USA herrscht hier ohnehin ein neuer Wind. Eine neue Exekutivverordnung zwingt Unternehmen, Programme zur Förderung von Diversity, Equity & Inclusion (DEI) abzuschaffen. Hierzulande war man überzeugt, dass dies nur US-Konzerne betrifft. Doch dann erhielten auch europäische Firmen ein Schreiben von der jeweiligen US-Botschaft in ihrem Land. Die von Donald Trump initiierte Vorgabe, so heißt es darin, gilt „zwingend für alle Lieferanten und Dienstleister der US-Regierung“ – unabhängig vom Standort. Seit ein paar Tagen haben laut Medienberichten auch erste deutsche Unternehmen einen solchen Brief erhalten.
Audi beziehungsweise die Volkswagen Group versicherte auf Anfrage der Staatszeitung, bisher noch kein entsprechendes Schreiben erhalten zu haben. Diversität sei ein wichtiger wirtschaftlicher Erfolgsfaktor, betont ein Sprecher. „Diverse Teams erreichen bessere Ergebnisse, weil unterschiedliche Perspektiven berücksichtigt werden.“ Daran werde auch in Zukunft unverändert festgehalten. Die Rücknahme des Genderns begründet der Autohersteller mit Problemen bei der Verwendung des Gendergaps bei Übersetzungs-tools und Screenreadern.
Der Münchner Wirtschafts- und Organisationspsychologe Felix Brodbeck von der Uni München erklärt den Groll des Republikaners Trump gegen DEI mit der „Affirmative action“, die der demokratische Präsident John F. Kennedy 1961 eingeführt hat. Um Schwarze oder ethnische Gruppen im Einwanderungsland USA vor Diskriminierung zu schützen, sollten sie bevorzugt behandelt werden. „Dadurch konnten sich zum Beispiel Randgruppen ein Studium leisten, aber der normale Amerikaner gefühlt nicht mehr“, erklärt er. Das wolle Trump mit seinem Dekret jetzt ändern, glaubt Brodbeck.
Die meisten US-Unternehmen beugen sich jedenfalls den Wünschen der Trump-Administration – ob aus Überzeugung oder aus Unterwürfigkeit. Apple betont zwar, an seinen Diversitätsprogrammen festzuhalten. Meta, Amazon und Google aber haben ihre Ziele etwa bei Einstellung und Lieferantenauswahl aufgegeben. Der US-Telekom-Ableger T-Mobile hat zwei Beiräte zu dem Thema aufgelöst. Die Telekom versichert, dass sie ihren Werten verpflichtet bleibe.
Roche hat sogar seine Frauenquote von 38 Prozent für Führungspositionen und die Quote für ethnische Minderheiten von 19 Prozent weltweit aufgegeben
Die Deutsche Bank sagt klar, dass sie an Diversitäts- und Integrationsprogramm festhalten will, ebenso die Deutsche Börse. Die Münchner Allianz-Versicherung betont, dass sie ein Arbeitsumfeld fördere, das auf Fairness, Inklusion und Chancengleichheit für alle basiert. "Das wird auch so bleiben." Andere bayerische Unternehmen wie etwa der Bremssystemhersteller Knorr-Bremse antworten auf Anfrage nicht.
Was es konkret bedeutet, wenn die DEI-Ziele aufgegeben werden, zeigt sich am Beispiel von schweizerischen Pharmakonzernen. Bei Novartis werden laut dem Fernsehsender SRF künftig keine diversen Kandidatenlisten und Auswahlgremien im Einstellungsprozess mehr für Positionen in den USA verwendet. Roche hat sogar seine Frauenquote von 38 Prozent für Führungspositionen und die Quote für ethnische Minderheiten von 19 Prozent weltweit aufgegeben. Bei Aldi Süd wurden die DEI-Hinweise von der Webseite gestrichen, bei SAP befindet man sich noch im „Prüfungsprozess“.
Dem bayerische Wirtschaftsministerium sind Briefe von US-Botschaften an deutsche Firmen aus Medienberichten bekannt. Es warnt diese davor, die DEI-Programme zu beenden. „Unternehmerische Leitlinien, die über Jahre entwickelt wurden, sollten nicht aufgrund von politischen Vorstellungen der US-Regierung aufgegeben werden“, sagt eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) der BSZ. Natürlich könnten sich Angestellte als „Quotenmitarbeiter“ fühlen. Sorgfältig geplant würden solche Programme aber junge Talente anziehen, die besser auf die Bedürfnisse einer diversen Kundschaft eingehen könnten.
"Inzwischen haben auch etwa zwei Dutzend in Deutschland ansässige Unternehmen solche Schreiben von der US-Botschaft in Berlin erhalten", sagt der Außenwirtschaftschef der Deutsche Industrie- und Handelskammer, Volker Treier, der Tagesschau. Das Bundeswirtschaftsministerium will den Eingang von US-Botschaftsbriefen hingegen nicht bestätigen und entsprechend auch keine Empfehlungen abgeben.
Die Gewerkschaft Verdi betont, Quoten verhinderten nicht, dass qualifizierte Mitarbeiter zum Zug kämen. „Denn auch bei Diversitätsprogrammen geht es darum, was der/die Bewerber*in kann und dass die Personalverantwortlichen überzeugt werden“, sagt ein Sprecher vom bayerischen Landesbezirk. Ein Einknicken vor Trump sei „ein fataler Rückschritt“ und sollte daher trotz möglicher wirtschaftlicher Verluste vermieden werden.
Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft will Unternehmen keine Vorschriften zum Thema Diversität machen. „Handlungsbedarf besteht aber, wenn die aktuellen Vorgaben aus den USA im Konflikt mit deutschem und europäischem Recht stehen“, sagt ein Sprecher. Hier sind das Führungspositionen- und Gleichstellungsgesetz beziehungsweise die geplante EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen zu nennen. Diversitäts- und Inklusionsprogramme seien zwar grundsätzlich zu begrüßen. „Eine Verpflichtung lehnen wir aber ab.“
Arbeitspsychologe Brodbeck erinnert daran, dass in Deutschland niemand wegen seines Geschlechts oder seiner Wurzeln benachteiligt werden darf. "Die westlichen Alliierten, also auch die Amerikaner, haben uns nach 1945 sehr deutlich dazu angehalten, das auch in unserem Grundgesetzt von 1949 in Artikel 3, Absatz 3 zu verankern. Die Amerikaner haben das erst 1964 mit dem Civil Rights Act in den USA gesetzlich verankert." Natürlich würde durch die positive Diskriminierung auch mal eine Frau eingestellt, obwohl ein Mann besser geeignet sei. Dennoch habe das Gesetz dazu geführt, dass bei gleicher Eignung viel mehr Frauen und andere benachteiligte Gruppen eingestellt worden seien. Früher sei das akzeptiert gewesen. „Jetzt fühlen sich vor allem Menschen davon diskriminiert, die ihr Recht auf eine eigene Meinung
mit einem vermeintlichen Recht auf ihre eigenen Fakten verwechseln." (David Lohmann)
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