Politik

15.03.2013

Alles anders in Bayern

Infratest-Chef Richard Hilmer und Politikprofessor Thorsten Faas diskutieren über Wählerumfragen

Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast, lautet ein gängiger Spruch. So schlimm steht es um die Demoskopie in Deutschland bei Weitem nicht. Dennoch gibt es Kritikpunkte insbesondere an Wählerumfragen. Gut zu wissen, in einem Jahr, in dem den bayerischen Bürgern zwei Urnengänge bevorstehen.
Es gehört zum Nimbus der Bayern, dass sie aus der Reihe tanzen. Nicht-Bayern kommentieren das bisweilen mit Augenrollen, Kopfschütteln, Achselzucken oder Schmunzeln. Letzteres zeigte Richard Hilmer, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap, während der Podiumsdiskussion mit dem Titel „Wie mit Umfragen Politik gemacht wird“. In Bayern würden die Parteien mit Wählerumfragen anders umgehen, als das in den restlichen Bundesländern der Fall sei.
Hierzulande gäben vor allem CSU & Co. Wählerumfragen in Auftrag, um diese dann zu veröffentlichen. „Das ist überall sonst in Deutschland nicht so. Da geben Parteien in der Regel nur interne Studien in Auftrag. Die Veröffentlichung von Wählerumfragen überlassen sie den Medien“, sagte Hilmer bei der Veranstaltung, die die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in ihrem Münchner Bayern Forum organisiert hatte.
Längst nicht immer lohnen Thema und Gäste, wenn eine Veranstaltung zeitlich überzogen wird. In diesem Fall war es aber so: Wenn Meinungsumfragen – wie bei der Diskussion mehrfach konstatiert – ein Korrektiv für Parteien und ihre Aussagen sein können, dann war dieser Austausch wiederum ein Korrektiv für die Bedeutung der Wählerumfragen. Deren Wichtigkeit relativierten die Diskutanten nämlich, ohne sie zu negieren oder gar die Demoskopie zu dikreditieren. Eine wichtige Feststellung im Jahr 2013, in dem den Bayern zwei Urnengänge bevorstehen. Nicht umsonst nehmen Meinungsumfragen umso mehr zu, je näher die Wahltermine rücken.
Es war vor allen Dingen der Politikprofessor Thorsten Faas von der Mainzer Universität, der die Methoden und Inhalte der Meinungsforschung kritisch hinterfragte. „Generell steht die Demoskopie in Deutschland sehr gut da. Daran möchte ich gar nicht rütteln“, stellte er klar. Allerdings sollte jeder Leser von Meinungsumfragen wissen, dass ihnen nicht der objektive Prozess schlechthin zugrunde liege. Genau das aber nähmen viele Menschen an. Faas: „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass jede Erhebung einen Auftraggeber hat und der bestimmte Interessen verfolgt.“ Beispielsweise würden etliche Umfragen gar nicht veröffentlicht, wenn sie nicht die vom Auftraggeber erhofften Zahlen und Positionen spiegelten.
Ein weiterer Schwachpunkt: Meistens werde den Lesern mitgeteilt, dass eine bestimmte Anzahl repräsentativ ausgewählter Bürger befragt worden sei. „Was man in der Regel aber nicht erfährt, ist, wie viele Kontaktversuche notwendig waren, um diese Gruppe zusammenzubekommen.“

horse race-Phänomen in der Berichterstattung

Eine Studie des US-amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center habe folgende Zahlen ergeben: In den vergangenen Jahrzehnten ist die Kontaktrate – Zahl der tatsächlich telefonisch erreichten Probanden – von 90 auf 62 Prozent gesunken. Die Kooperationsrate wiederum ist nach derselben Studie von 43 auf 14 Prozent zurückgegangen; dabei handelt es sich um den Anteil derjenigen, die schlussendlich bereit waren, Auskunft zu erteilen. Für Deutschland liegen laut Faas zu diesen Aspekten keine Zahlen vor. „Die amerikanischen sind allerdings auf Deutschland übertragbar“, sagte er.
Auch dies stellt die Demoskopen vor eine Herausforderung: Viele, vor allem junge Menschen haben kein Festnetz mehr, sondern sind nur über ihr Mobiltelefon zu erreichen. Also ist diese Gruppe möglicherweise in Stichproben unterrepräsentiert. „Das ist ein Argument, das die Piraten gegen viele Meinungsumfragen geltend machen. Ihr Klientel telefoniere überwiegend mit Handy. Die Meinungsforschungsinstitute aber kontaktieren meist auf Festnetz“, weiß Faas.
Hilmer weiß von diesen Einwänden. „Wir rufen die Menschen mittlerweile auch auf ihren Mobiltelefonen an“, sagte er. Er bestritt aber nicht die von Faas ausgeführte Problematik zu Kontakt- und Kooperationsrate. Und er benannte einen weiteren Unsicherheitsfaktor: die Berichterstattung der Medien über Umfragen. So gäben Journalisten selten alle erforderlichen Informationen zur Methodik an. Dem stimmte Faas zu und sprach zudem von einem horse race-Phänomen: „Viele Journalisten geben die Zahlen aus einer Umfrage so wieder, als berichteten sie über ein Pferderennen: Wer liegt vorne, wer holt auf. Inhalte gehen so unter.“
Aber auch die Frageformulierung sei häufig dubios. In einer Umfrage habe man von den Probanden wissen wollen, ob sie dieser Aussage zustimmen: „Die normalen Griechen verdienen unsere Unterstützung.“ Das könne man so nicht formulieren, findet Hochschullehrer Faas. Das Problem sei im konkreten Satz ein definitorisches. Faas: „Wer ist denn ein normaler Grieche? Kostas Kordalis?“(Alexandra Kournioti)

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