Politik

Florian Siekmann (Grüne), Felix Stahl (FW), Mike Malm (SPD), Julika Sandt (FDP), Tina Pickert (CSU), Christoph Steier (AfD). (Foto: loh)

21.09.2018

Angriffslustige Erstwähler

Die jüngsten Münchner Landtagskandidaten der Parteien lassen sich von Gleichaltrigen grillen

Wenn Politiker in Bierzelten ihre Reden halten, können sie sich der Zustimmung der Stammwähler sicher sein. Anders ist es, wenn sie sich den Fragen eines akademischen Publikums zwischen 20 und 30 Jahren stellen müssen. Viele der jungen Leute haben noch keine Parteipräferenz. Diese Woche hat der Veranstalter Global Shapers München, quasi die Jugendorganisation des Weltwirtschaftsforums, die jeweils jüngsten Landtagskandidaten der Parteien eingeladen. Die Themen wurden vorher per Online-Abstimmung ermittelt: Bildung, Umwelt und Europa. Nicht in allen Fällen konnten die Nachwuchspolitiker die kritischen Fragen der Jungwähler zu deren Zufriedenheit beantworten.

„Warum haben die Grünen für einen Uploadfilter gestimmt“, fragte zum Beispiel ein Jugendlicher. Das Europaparlament hatte sich kürzlich für ein neues Urheberrecht ausgesprochen, das Webseitenbetreiber zwingt, jedes Video vor dem Upload auf Urheberrechtsverstöße zu prüfen. Viele sehen darin eine Zensur. „Das ist ein krass kompliziertes Thema, da habe ich noch keine Lösung im Angebot“, räumte Florian Siekmann (23, Grüne) ein.

Eine andere Frage aus dem Publikum: „Wie kann die digitale Bildung an Schulen verbessert werden?“ Tatsächlich klagen viele Lehrer über eine schlechte Ausstattung und zu wenig medienpädagogische Fachkräfte. Christoph Steier (26, AfD) antwortete: „Um den Fachkräftemangel zu lösen, ist es nicht sinnvoll, Migranten ohne oder mit schlechtem Schulabschluss nach Deutschland zu holen.“ Sofort schallte ihm entgegen: „Ich habe Sie nicht zur Migration gefragt.“

Ein Eigentor schoss Tina Pickert (33, CSU). „Die CSU in München setzt sich stärker als Rot-Grün für den Ausbau der Radwege ein“, griff sie völlig unvermittelt die Kollegen auf dem Podium an. Wieso dann die CSU den Radschnellweg an der Münchner Leopold- und Ludwigsstraße, Münchens Hauptverkehrsachse, abgelehnt hat, wollte ein Zuhörer wissen. Gerade dort würden eben viele Parkplätze für Senioren benötigt, stotterte Pickert. Die Antwort ging im lauten Johlen des Publikums unter.

Mehr digitale Bildung

Ein Zuhörer fragte, welche Alternativen es zur umstrittenen Stromtrasse quer durch Bayern gebe. Felix Stahl (40, Freie Wähler) forderte, die Forschung zu neuen Speichertechnologien auszubauen. „Selbst wenn dabei 100 000 Euro verbrannt werden.“ Geld vom Steuerzahler zum Fenster rauswerfen? Nicht alle überzeugte das.

„Sollte die finanzielle Bildung an Schulen ausgebaut werden?“, fragte eine Teilnehmerin. Die Antwort von Julika Sandt (46, FDP, Vertretung von Anke Pöhlmann): „Jeder sollte in der Schule mal einen Businessplan erstellt haben.“„Typisch FDP“, raunte es durch den Saal. Die Frage zielte darauf ab, Schüler in Sachen Bafög-Antrag, Gehaltsverhandlungen, Steuererklärung oder Versicherungen fitzumachen.

Mike Malm (44, SPD) nervte manchen Zuhörer, weil er viele Themen für ein Plädoyer zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur nutzte. Start-up-Förderung? „Der Ausbau der Infrastruktur ist ein wichtiger Standortfaktor.“ Umweltschutz? „Auch Umweltschutz hat eine starke Verkehrskomponente.“ Viele hätten sich spezifischere Lösungen gewünscht.

Doch die Kandidaten konnten ihre potenziellen Wähler auch überzeugen – vor allem im Bereich Bildung. Großen Applaus erhielt FDP-Frau Sandt, als sie sich für mehr Medienkompetenz an Schulen aussprach. Natürlich gehöre zum Kunstunterricht das Arbeiten mit Schere und Farbe – „aber eben auch die digitale Bildbearbeitung oder das Drehen von Youtube-Videos“, betonte sie.

FW-Mann Stahl erhielt viel Anerkennung für seine Forderung, die Grundschule bis zur sechsten Klasse zu verlängern. „Ich hatte einen Riesendruck in der Grundschule, weil ich unbedingt aufs Gymnasium sollte“, erzählte er. Er landete schließlich auf der Hauptschule und kämpfte sich dann über Realschule und Berufsschule zum Fachabitur. Das könnte Schülern laut Stahl durch eine verlängerte Grundschulzeit erspart bleiben.

CSU-Frau Pickert konnte viele Zuhörer mit dem Ruf nach mehr digitaler Bildung für sich gewinnen. Jedes Kind solle in der Schule ein iPad erhalten, wo zum Beispiel ein Lückentext ausgefüllt werden muss. Die App gibt dann individuelle Rückmeldung: nächstes Kapitel oder Kapitel wiederholen. So werde Chancengleicheit und indivudelles Lernen gefördert, war sie überzeugt. „Das könnte ein Lehrer nie leisten.“

Auch der Grüne Siekmann punktete mit einem Bildungsthema. Er sprach sich für bundesweite Standards beim Abitur aus. Bayern rühmt sich gerne seiner besonders harten Abschlussprüfungen – was bayerische Schüler bei der Hochschulzulassung benachteiligt. Das sei eine „grausame Schranke“, sagte Siekmann. Dennoch dürfe das Bildungssystem nicht innerhalb kürzester Zeit auf den Kopf gestellt werden. Kopfnicken.

SPD-Mann Malm stieß mit seinen euroapolitischen Forderungen auf Wohlwollen. „Unternehmen müssen da Steuern zahlen, wo sie Gewinne machen“, verlangte er. Außerdem müsse sich Bayern in Europa dafür einsetzen, die Trinkwasserprivatisierung zu verhindern, das Herbizid Glyphosat zu verbieten, Sozialstandards wie den Mindestlohn zu stärken und generell eine verbraucherschutzfreundlichere Politik machen.

AfD-Mann Steier erhielt Zustimmung für seine Forderung, Politiker für Steuerverschwendung zu bestrafen. Ob er Beispiele kenne? „Ich schaue immer die Fernsehsendung von Mario Barth, da werden viele Fälle von Steuerverschwendung angeprangert“, erzählte er. Meinungsbildung über eine RTL-Show? Für viele ein No-Go.

Wie hat’s den jungen Zuhörern gefallen? „Zu plakativ, zu wenig Konkretes“, urteilte einer. „Ich war froh, dass es mal nicht um Flüchtlinge ging“, erklärte eine andere. Ein junger Mann gab zu: „Obwohl ich die Grünen nicht wähle, haben mich manche von Siekmanns Argumenten überzeugt.“ Wählen wollen alle gehen. Einer möchte sich künftig sogar politisch mehr engagieren. „Dann trau’ ich mich beim nächsten Mal, selber eine Frage zu stellen.“ (David Lohmann)

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