SPD-Spitzenkandidat Florian von Brunn tourt nun schon seit Wochen durch die Lande. Er war mit Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Münchner Marienplatz, Hauptredner auf dem Gillamoos in Abensberg, er führt Bürgerdialoge in ganz Bayern, besucht Firmen, Kitas und Altenheime – aber es tut sich nichts. In Umfragen verharrt die SPD im einstelligen Bereich, weit weg von den 15 Prozent, die von Brunn im Überschwang seiner Nominierung im Frühjahr 2022 einmal ausgegeben hatte. Also Frage nach einem wohlfühligen Bierzeltauftritt beim Politischen Frühschoppen der Regensburger SPD auf der Dult der Domstadt: „Sind Sie noch motiviert, Herr von Brunn?“
Der SPD-Landeschef knipst ein Lächeln an und sagt: „Der Wahlkampf macht noch immer Spaß. Es geht ja auch um viel für Bayern, deshalb hänge ich mich voll rein.“ Tatsächlich ist von Brunn in einer Art Mission unterwegs. „Ich will ein bezahlbares Bayern für alle“, lautet der Kernsatz seiner Kampagne. Im Programm hat er die „kostenfreie Bildung von der Kita bis zum Master und zum Meister“, Mieten und Energiekosten, die sich jeder leisten können muss, und bezahlbare Pflege im Alter. Man verbinde Klimaschutz mit sozialer Verantwortung, alles sei durchfinanziert und vom Freistaat mithilfe des Bundes leistbar.
Feindbild Freie Wähler
Zum Grundsound seiner Auftritte gehört auch, seine SPD als Gegenpol zu CSU und Freien Wählern zu positionieren. Als Partei, die Konzepte für die Zukunft habe, die handlungsbereit und -willig sei, die für eine „Politik mit Anstand und Vernunft“ stehe. Die Bilanz der regierenden „Bayern-Koalition“ brandmarkt von Brunn als dürftig. Kaum neue Wohnungen, Energiewende an die Wand gefahren, keine Ideen für die notwendige Transformation der Wirtschaft, Lehrermangel an den Schulen, fehlende Betreuungsplätze für Kinder und Senior*innen. Von Söders und Aiwangers Versprechen sei nicht viel übrig geblieben. „Mit der heißen Luft von Markus und Hubsi läuft keine Waschmaschine und kann man auch keine Wohnung heizen“, ruft von Brunn dem Publikum auf dem Gillamoos und auf der Regensburger Dult zu.
Auf dem Gillamoos hat von Brunn seine Standardrede für Bierzelte und öffentliche Plätze erstmals modifiziert. Anlass war die Flugblatt-Affäre um Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger. Den hatte von Brunn schon vorher wegen seines Auftritts auf der Erdinger Demo gegen das Heizungsgesetz einen „gefährlichen rechten Demagogen“ genannt, als sich dieser mit der Forderung, die schweigende große Mehrheit müsse sich die Demokratie zurückholen, auch den Beifall von Rechten abholte. Das Neonazi-Flugblatt in Aiwangers Schultasche anno 1988 und vor allem der irritierende Umgang des Ministers heute damit ist für von Brunn Anlass genug, immer wieder die die SPD einende Rolle als „Brandmauer gegen Rechts“ zu betonen.
An dieser Stelle verweist er gerne auf seine Urgroßtante Toni Pfülf, die 1933 als SPD-Abgeordnete im Reichstag gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt hatte. Pfülf sei eine „ganz entschiedene Kämpferin gegen die Rechtsradikalen“ gewesen. Es sei eine Ehre, eine Frau wie sie in der Familie zu haben, begründet von Brunn seine Sensibilität bezüglich des um sich greifenden Rechtspopulismus, der – wie er glaubt – durch den Vizeministerpräsidenten Aiwanger befeuert und salonfähig gemacht werde. „Es darf kein rechtspopulistischer Geisterfahrer die Hand am Steuer unseres Freistaats haben“, ist einer der neuen und von seinen Anhänger*innen umjubelten Sätze in von Brunns Wahlkampfreden. Er sieht sich als Wahrer des Vermächtnisses der Urgroßtante.
Ausgezahlt hat sich diese klare Kante für die SPD bislang nicht. Ganz im Gegensatz zu Aiwangers Freien Wählern, die nach der Flugblatt-Geschichte in Umfragen auf ein Allzeithoch geschossen sind. Ob ihn das frustriert? „Nein“, antwortet von Brunn etwas gequält, „das ist der ganz normale Wahnsinn in der Politik.“
Er hofft aber darauf, dass sich manche der Aiwanger-Fans bis zum 8. Oktober noch besinnen würden. Und CSU-Sympathisant*innen, denen der forsche Juniorpartner schon länger ein Dorn im Auge ist, lässt von Brunn wissen: „Wer am 8. Oktober Söder wählt, wählt in Wirklichkeit Aiwanger.“
Ein Gutes habe der Skandal um Aiwanger aber gehabt: dass der vorher von Berliner Themen und dem Ampel-Bashing der Konservativen geprägte Wahlkampf nach Bayern zurückgekommen sei. Jetzt gehe es „um die wichtigen Themen für die Menschen in Bayern“ und darum, einen „Rechtsruck“ im Freistaat zu verhindern. „Für uns ist das gut, obwohl ich mir gewünscht hätte, die Affäre um Aiwanger hätte es nicht gegeben.“
Unterstützung durch Bundesprominenz
Trotz der Betonung bayerischer Themen und vor allem trotz der grassierenden Unzufriedenheit mit der Ampel setzt von Brunn im Wahlkampf bewusst auf die Unterstützung von Bundesprominenz. Es waren schon da: der Kanzler, die Bundesminister Lauterbach und Heil, Parteichef Klingbeil und Generalsekretär Kühnert. Deren Erscheinen sorgt zumindest für mediale Aufmerksamkeit, die von Brunn gut brauchen kann. Sein eigener Bekanntheitswert in Bayern ist nämlich noch immer ausbaufähig. Und das, obwohl er im Landtag als Fraktionschef gerne für laute, mitunter auch schrille Töne gesorgt hat – inklusive einer Rüge durch die Landtagspräsidentin.
Im Wahlkampf gibt sich von Brunn allerdings gemäßigt. So muss der Wahlkampfhelfer Karl Lauterbach nicht einmal flunkern, als er bei einem gemeinsamen Pressetermin mit von Brunn sagt, er schätze an diesem die „sachlich ruhige Art, die Dinge beim Namen zu nennen“. Sein lange gepflegtes linkes Image hat sich von Brunn offenbar abtrainiert. Als er einmal ein paar Fussel vom rechten Ärmel seines Sakkos wischen muss, um für die Kameras ein ordentliches Bild abzugeben, witzelt einer aus der Medienrunde, Hauptsache sei doch, dass seine linke Sakkohälfte unbefleckt sei. Früher hätte von Brunn eine solche Bemerkung vielleicht aufgegriffen, um seine Haltung zu dokumentieren. An diesem Tag aber weist er den Zwischenrufer mit Nachdruck darauf hin, dass er ein „Mann der Mitte“ sei.
Frustrierende Umfragewerte
Mit seiner stattlichen Körpergröße und dem selbstsicheren Auftreten kann von Brunn Bierzelt. Um einen Saal emotional zu erreichen und zum Toben zu bringen, packt er aber fast ein bisschen zu viel Sachpolitik in seine 30-Minuten-Auftritte und vernachlässigt das Gefühlige. Im kleinen Kreis zeigt er ehrliche Zugewandtheit, ohne aber ein Menschenfischer zu sein. Das wäre aber wohl nötig, um die SPD im Schlussspurt des Wahlkampfs auf eine höhere Ebene zu heben. Von Brunn wird weiterkämpfen, den vollen Terminkalender abarbeiten.
Angetrieben wird er von der Hoffnung, „dass wir am 8. Oktober zulegen“, die SPD also mehr erreicht als die mageren 9,7 Prozent von 2018. „Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen“, betont er noch. Die Frage wird sein, ob es dafür reicht – und ob man ihn dann lässt. (Jürgen Umlauft)
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