E-Sport? Ältere Menschen belächeln das oft als Hobby Jugendlicher. Doch die Szene wächst rasant und generiert inzwischen Milliardenumsätze. Bayerns Digitalminister Fabian Mehring (Freie Wähler) erklärt sich schon mal zum „Games-Minister“. Bayerns E-Sport-Präsidentin sagt im BSZ-Interview, wie das in der Community ankommt.
BSZ: Frau Bloy, das Olympische Komitee hat zum Start der Spiele in Paris beschlossen, dass E-Sport künftig eigene Olympische Spiele bekommt. Ein Grund zum Feiern?
Sandra Bloy: Wir freuen uns sehr darüber. Gleichzeitig bedrückt es uns, dass Saudi-Arabien wegen der unklaren Menschenrechtslage den Zuschlag dafür bekommen hat – und zwar für zwölf Jahre. Auch weiß ich als Frau nicht, mit welchen Einschränkungen ich bei der Einreise rechnen müsste. Unklar ist außerdem, ob und wie es danach weitergeht. Was passiert, wenn das Land den Geldhahn zudreht? Das ist alles andere als nachhaltig und bringt das Land in eine viel zu starke Machtposition.
BSZ: Sind E-Sport-Fans echte Sportler*innen oder nicht doch eher Couch-Patatos?
Bloy: Das werde ich tatsächlich sehr oft gefragt. Ich denke, beides ist wahr. Natürlich gibt es einige, die sich lieber in ihren eigenen vier Wänden aufhalten. Aber viele setzen das Gespielte auch physisch um und gehen zum Beispiel nach dem PC-Fußball als Ausgleich zum echten Fußballtraining. Im Profi-E-Sport gibt es wie bei anderen Sportarten auch feste Ernährungs- und Trainingspläne in der realen Welt.
BSZ: In Nordrhein-Westfalen hat sich der Landessportverband dazu entschieden, E-Sport mit Sport gleichzusetzen. Warum lehnen bayerischen Sportverbände das bisher ab?
Bloy: Ich vermute, weil in Stereotypen gedacht wird: Wer sich nicht bewegt, betreibt keinen Sport. Aber seitdem Fabian Mehring von den Freien Wählern neuer Digitalminister ist, hat sich der Austausch zwischen uns und den Sportverbänden deutlich verbessert. Inzwischen ist aus dem verbalen sogar ein aktiver Austausch geworden: Aktuell findet die Roadshow Bayern zockt mit dem bayerischen Fußballverband statt, bei der junge Menschen an der Konsole und auf dem Platz spielen können. Damit erreicht E-Sport endlich die breite Masse.
BSZ: Fabian Mehring hat in der Szene hohe Erwartungen geweckt, nachdem er sich selbst als „Games-Minister“ bezeichnet. Wurden sie bisher erfüllt?
Bloy: Ich denke schon. Unter seiner Vorgängerin fand meines Wissens nach kein ausufernder Austausch mit den verschiedenen Stakeholdern statt. Herr Mehring verleiht uns eine politische Stimme und bringt E-Sport aktiv nach Bayern, beispielsweise Ende August bei der Europa-Finalrunde von League of Legends in der Münchner Olympiahalle. Aber auch die Grünen-Fraktion im Landtag hat uns eingeladen und aktiv nach Unterstützungsmöglichkeiten gefragt.
BSZ: Auch andere Parteien in Bayern setzen sich für die E-Sport-Szene ein. Wieso ist E-Sport noch nicht als gemeinnützig anerkannt?
Bloy: Das ist Bundesrecht. Es war eine bittere Enttäuschung, als wir letzte Woche trotz Wahlversprechen diese Position im Kabinettsbeschluss wieder nicht aufgefunden haben. Ohne Gemeinnützigkeit, bleiben uns staatliche Fördergelder verwehrt, die wir für Vereinsheime, Turniere, aber auch Aufklärungskampagnen oder Präventionsmaßnahmen nutzen könnten. Die Mitgliedsbeiträge und vor allem die viele ehrenamtliche Arbeit wird auf Dauer nicht reichen.
BSZ: Aber ist das Spielen von Ego-Shootern in Ihren Augen gemeinnützig und förderungswürdig?
Bloy: Wieso nicht? Gerade in Bayern hat doch der Schießsport Tradition, Schützenvereine werden entsprechend staatlich gefördert. Ja, es besteht das Risiko, von Computerspielen abhängig zu werden oder sich zunehmend zu isolieren. Aber um diese jungen Menschen rechtzeitig zu erreichen, Aufklärungsarbeit und Präventionsarbeit zu leisten, brauchen wir Vereinsheime. Diese sollten auch als Anlaufstellen für Eltern dienen, die Angst haben, dass ihr Kind in die virtuelle Welt abdriftet. E-Shooter aus dem E-Sport auszugrenzen, würde unsere Community nicht akzeptieren.
BSZ: Wie organisieren sich Ihre Mitglieder?
Bloy: Unsere bayernweit 15 Vereine und Organisationen mit insgesamt über 1000 Mitgliedern nutzen die Kommunikationsplattform Discord, ähnlich wie Whatsapp. Dort können sich die Gamer verabreden und sich beim Spielen austauschen. Allein in der Gruppe von Munich E-Sports tummeln sich über 4000 junge Menschen. Dort werden auch regelmäßig bayernweite oder sogar bundesweite Offline-Events organisiert. Mitmachen können alle Kinder ab sechs Jahren, League of Legends ist ab 12 Jahren, Ego-Shooter sind ab 16 Jahren freigegeben.
BSZ: Wie muss man sich einen Spieltag bei Ihnen vorstellen?
Bloy: Ganz unterschiedlich. Grundsätzlich gibt es, wie auch im klassischen Sport, Teambesprechungen vor dem entscheidenden Spiel, in denen Taktiken, Handlungsmuster und die Schwächen und Stärken des Gegners analysiert und entsprechende eigene Teamkonstellationen aufgebaut werden. Ebenso findet eine Konsultation mit einem Teampsychologen statt, der den Mental-Health-Status der Spieler*innen betrachtet. Und letztlich kommt es vor jedem Wettkampf zu den Trainingseinheiten.
BSZ: Wo sitzen die größten Anbieter in Bayern, und über welche Umsätze reden wir?
Bloy: Hier muss man unterscheiden zwischen E-Sport und Games. Games decken die Gesamtheit der Branche ab. Hier haben wir in Bayern bereits über 350 Unternehmen. Zu den größten Namen zählen unter anderem Plaion aus Planegg mit einem Umsatz von über 700 Millionen Euro. Im E-Sport-Sektor gibt es zum Beispiel die NNO GmbH, die eine der größten deutschen E-Sport-Mannschaften in League of Legends vertritt. Sie ist noch sehr frisch auf dem Markt, hat aber bereits einen extrem großen Einfluss auf die deutsche E-Sport-Szene.
"48 Prozent der Gamer sind weiblich"
BSZ: Welches wirtschaftliche Potenzial steckt in E-Sports?
Bloy: Über 80 Prozent der Deutschen spielen regelmäßig – und sei es am Handy. Die, die es aktiv und professionell machen, haben oft tausende Follower, die ihnen auf der Online-Plattform Twitch beim Spielen zuschauen. Allein “noway4u” aus München bringt es auf 10 - 20.000 gleichzeitige Zuschauer pro Spiel-Session. Bei Meisterschaften schauen Hunderttausende zu, die Preisgelder gehen in die Millionen. In Deutschland steigen große Krankenkassen, Lebensmittelhersteller oder Hersteller von Arbeitskleidung als Hauptsponsoren ein. Es ist kein Geheimnis, dass die Zielgruppe jung und zahlungskräftig ist. In Asien und den USA ist E-Sport schon lange ein Milliardengeschäft.
BSZ: Viele Tech-Firmen rekrutieren auch beim E-Sport auch ihren Nachwuchs. Digitalminister Mehring will jetzt vor allem Frauen zu Games-Entwicklerinnen machen.
Bloy: 48 Prozent der Gamer sind weiblich, daher ist das eine sinnvolle Sache. Die Games-Branche, in der ich auch arbeite, lässt den Mitarbeitenden viel mehr Freiheiten für Entwicklungen als die Tech-Branche. Entsprechend kommen auch viele Entwicklungen aus dem Computerspielbereich – zum Beispiel die VR-Brille, die inzwischen auch für Maschinenwartungen eingesetzt wird. Ich bin aber kein Fan davon, jetzt alle Frauen auf Biegen und Brechen in technische Berufe zu schleusen, sie sollten aber in jedem Fall über ihre Möglichkeiten aufgeklärt und ihre Motivationen aktiv gefördert werden.
BSZ: Mit welchen Klischees würden Sie als Gleichstellungsbeauftragte Ihres Verbands gerne aufräumen?
Bloy: Der Aberglaube, dass Computerspiele nur etwas für Männer sind. In der Gesellschaft herrscht immer noch das Denken vor, dass Frauen den ganzen Tag irgendwelche familiären oder ihnen gesellschaftlich auferlegten Aufgaben erledigen müssen und daher gar keine Zeit zum Spielen haben. Es braucht viel mehr weibliche Vorbilder und Role Models, die der Masse ihren Werdegang aufzeigen. Im Gegensatz zum klassischen Sport trennen wir auch nicht in Geschlechter, bei uns sind alle gleichgestellt. Das gilt übrigens auch für Menschen mit Behinderung. Entscheidend sind die kognitiven Fähigkeiten. Natürlich ist Gaming nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen, aber dafür haben für spezielle Leitlinien entwickelt und lernen ständig dazu, wie allen das beste Umfeld geboten werden kann.
BSZ: Spielen Frauen andere Spiele als Männer?
Bloy: Teilweise. Gamerinnen bevorzugen statistisch gesehen familienfreundliche Spiele, wie “Mario Kart” oder Rollenspiele wie “Stardew Valley“, wohingegen Männer Spiele bevorzugen, bei denen Ehrgeiz und ein Winner-Drive gefordert sind. Aber auch das bricht langsam auf und alle Geschlechter finden sich in allen Genres zuhause. Grundsätzlich geht es beim E-Sport fair zu. Ganz selten werden Fälle von Doping oder Cheaten bekannt, wenn also das Spiel durch Hackerangriffe manipuliert wird. Das Feld ist aber noch wenig erforscht.
BSZ: Was raten Sie Eltern, deren Kinder einmal E-Sporttreibende werden wollen?
Bloy: Lassen Sie sie machen! Ermöglichen Sie Ihren Kindern das Erlernen von wichtigen Skills wie Hand-Augen-Koordination, Reaktionsfähigkeit, Problemlösungskompetenzen und faires Team Play. Sie werden diese Skills später in fast allen Berufen nutzen können, versprochen. Nicht jeder Gamer oder jede Gamerin wird auch Profi, aber dasselbe gilt auch für den klassischen Sport. Training und Unterstützung sind hier die wichtigsten Förderfaktoren. Lassen Sie sich auch gerne durch Ihren lokalen E-Sport-Verein beraten, welche Maßnahmen zur Prävention von Suchtmustern oder Regulationen in diesem Kontext gegeben sein sollten. (Interview: David Lohmann)
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