Für Udo Klotz war schon lange klar: Lebensmittel dürfen nicht verschwendet werden. Klotz ist Geschäftsführer der AEZ Amper Einkaufs Zentrum GmbH. Noch vor anderthalb Jahren füllten die zehn AEZ-Supermärkte in und um München 15 Mülltonnen mit unverkäuflichen Waren. Inzwischen sind es nur noch drei. So spart die GmbH Müllgebühren. Und nicht nur das: Sie bekämpft auch aktiv Lebensmittelverschwendung.
Klotz’ Erfolg beruht auf einem einfachen Prinzip: In allen AEZ-Läden stehen ein Regal und ein Kühlschrank mit Lebensmitteln, die verschenkt werden. Zum Beispiel, weil ihr Mindesthaltbarkeitsdatum sehr bald abläuft. Wer mag, nimmt sich, was er braucht. Sogar eine Kiste mit Salat und Gemüse steht da. Für das Meerschweinchen zu Hause.
Natürlich traf seine Idee auf Widerstand. Kritiker fürchteten, es kämen nur noch Schnäppchenjäger ins Haus. Bisher war das jedoch nicht der Fall, erzählt Klotz. Er hat allen Grund, stolz zu sein. Sein Konzept zeigt: Innovation und ein gewisser Wagemut sind gefragt, will man das Problem der Lebensmittelverschwendung in den Griff bekommen. Denn das ist durchaus nicht gelöst: Laut einer Studie der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft von 2014 liegt das Vermeidungspotential für Lebensmittelverluste im Freistaat bei 1,31 Millionen Tonnen. 99 000 Tonnen Müll fallen im Lebensmitteleinzel- und im Großhandel an.
Das bayerische Landwirtschaftsministerium, vom World Wildlife Fund als einer der Pioniere in der Sache gelobt, hat bereits im Oktober 2016 das Bündnis „Wir retten Lebensmittel!“ angeschoben, das seither 17 Vorschläge für Rettungsmaßnahmen ausgearbeitet hat. Im Lebensmittelhandel setzen diese vor allem auf die Entwicklung intelligenter Prognosesysteme für die Warendisposition.
Wer Lebensmittel aus der Mülltonne fischt, wird verklagt
Nicht auf der Vorschlagsliste steht, was vergangene Woche vor Gericht verhandelt wurde. Zwei junge Frauen hatten sich in Olching bei München des sogenannten Containerns strafbar gemacht. Um Lebensmittel zu retten, bedienten sie sich aus den Mülltonnen eines Edeka-Supermarktes. Der Marktleiter zeigte die beiden Frauen wegen Diebstahls an und wurde daraufhin, wie eine Sprecherin von Edeka erläutert, so massiv öffentlich angegriffen, dass Edeka entschied, die Anzeige zurückzuziehen.
Die beiden jungen Frauen mussten dennoch ausbaden, was das deutsche Recht festlegt: Lebensmittelhändler tragen Verantwortung nicht nur für die Produkte in den Regalen, sondern auch für das, was in der Tonne landet. Ihr Müll ist ihr Besitz. Wer sich daran vergreift, begeht Diebstahl – und der muss von Amts wegen geahndet werden.
Vor dem Hintergrund der heillosen Verschwendung erscheint die Bestrafung der Lebensmittelretterinnen allerdings absurd. Nicht nur der rechtspolitische Sprecher der Landtags-Grünen, Toni Schuberl, spricht sich deshalb dafür aus, das Containern künftig straffrei zu stellen. Auch Leopold Herz von den Freien Wählern möchte das Containern erlauben.
Im Moment bewirkt das Urteil vor allem eines: Es schüchtert ein. „Viele Menschen haben jetzt Angst, beim Containern erwischt zu werden“, sagt Günes Seyfarth vom Verein Foodsharing. Der Verein containert nicht, er rettet Lebensmittel, kurz bevor sie in der Tonne landen. Die Ehrenamtlichen sammeln und verteilen, was Supermärkte, Händler vom Viktualienmarkt, Bäckereien und Restaurants nicht mehr verkaufen können. Günes Seyfarth fährt dann schon mal 120 Kilo spanische Erdbeeren durch die Stadt. Sie rettet kiloweise Rosenkohl vor der Tonne, aber auch Joghurt, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. Und sie staunt immer wieder über die gute Qualität der Wegwerfware: „Wenn eine Orange angeschlagen ist, wird gleich ein ganzer Sack aussortiert“, sagt sie.
Erklärtes Ziel des Vereins ist es, sich selbst durch Aufklärungsarbeit überflüssig zu machen. Das allerdings liegt derzeit in weiter Ferne. So plant die Tafel in Bayern, die derzeit 40 000 Tonnen Lebensmittel pro Jahr rettet, drei zusätzliche Logistikzentren einzurichten. Auf diese Weise könnten weitere 35 000 Tonnen Lebensmittel an Bedürftige abgegeben werden. Klar ist aber auch, dass selbst dann noch Lebensmittel im Müll landen. Die Grünen fordern daher „Gesetze gegen die Lebensmittelverschwendung“.
Das Beispiel anderer europäischer Länder zeigt: Solche Gesetze sind durchaus möglich. Frankreich zwingt Lebensmittelhändler mit einer Ladengröße von über 400 Quadratmetern, nicht verkaufte Ware zu spenden statt wegzuwerfen – mit Erfolg. Auch in Tschechien ist das Wegwerfen verboten.
Strengere Auflagen für den Handel und eine Entkriminalisierung des Containerns können allerdings nur Teil der Lösung sein. Denn die größten Verschwender von Lebensmitteln sind nicht die Supermärkte und Discounter. Sondern die Verbraucher zu Hause. Der Grund für die Verschwendung: Mangelnde Planung und falsche Lagerung. Für Missverständnisse sorgt darüber hinaus noch immer das Mindesthaltbarkeitsdatum. Es suggeriert, ein abgelaufenes Lebensmittel sei nicht mehr zum Verzehr geeignet. Das ist jedoch meist nicht der Fall.
Immerhin: Mit 65 Kilo weggeworfener Lebensmittel pro Kopf und Jahr stehen die Bayern noch ganz gut da. Deutschlandweit sind es 85 Kilo. Aber auch hier ist jedes Kilo eines zu viel. Aufklärung, auch in Kindertagesstätten und Schulen, ist dringend erforderlich. (Monika Goetsch)
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