Politik

Das Hochwasser hat in einigen Teilen Bayerns alles zerstört, wie hier in Offingen im Landkreis Günzburg. (Foto: dpa/Stefan Puchner)

07.06.2024

Aufräumen allein reicht nicht

Die Flutkatastrophe in Bayern zeigt, dass viel mehr Prävention notwendig ist – denn die Zahl der Extremereignisse wird steigen

Vier Tote, mehrere Vermisste und Schäden in wohl dreistelliger Millionenhöhe für Bevölkerung und Wirtschaft: Das ist die traurige Bilanz der Hochwasserkatastrophe, die sich in den vergangenen Tagen im Freistaat ereignet hat. Bund und Freistaat werden den Geschädigten wieder finanziell unter die Arme greifen. Aber dabei sollte es nicht bleiben. Es braucht mehr Prävention – sowohl beim Hochwasserschutz als auch bei der finanziellen Absicherung der Schäden.

Ein probates Mittel zum Hochwasserschutz könnten Rückhaltebecken, Flutpolder genannt, sein. Zehn davon wollte die Staatsregierung ursprünglich entlang der Donau errichten. Sie sollten bei extremen Hochwasserereignissen das Ansteigen der Flut abbremsen. Ein um 15 Zentimeter niedrigerer Pegel kann zum Beispiel darüber entscheiden, ob eine ganze Altstadt vollläuft oder nicht.

Doch nach der Bildung der Koalition von CSU und Freien Wählern stand das Projekt im Feuer. Drei der geplanten Polder wurden zunächst wieder gestrichen. Vor allem Vize-ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hatte die Sinnhaftigkeit der Bauwerke infrage gestellt. Nach vielen Diskussionen einigte man sich darauf, eine Kette von neun Poldern zu bauen. Wegen des langen Vorlaufs solcher Projekte verstrich dadurch natürlich auch wertvolle Zeit. Bis heute ist lediglich einer der Donaupolder in Betrieb, in Riedensheim im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen.

Umstrittene Flutpolder

Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass die Flutpolder an den Orten, an denen sie errichtet werden sollten, höchst umstritten sind. Bessonders die Landwirt*innen, denen die Flächen, die im Notfall geflutet werden sollen, gehören, beschwerten sich, weil sie einen massiven Eingriff in ihre Existenz sehen. Und die Kommunalpolitik wehrte sich, auch weil sie sich den Ärger mit den Wähler*innen sparen wollte.

Im Angesicht der aktuellen Hochwasserkatastrophe kündigte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) Anfang der Woche bei einem Ortstermin an, dass der geplante Ausbau der Polder fortgesetzt werde – notfalls gegen den Widerstand der Bevölkerung und der Kommunen. In einer Mitteilung betonen die Freien Wähler allerdings, dass keiner der Polder etwas gegen die dramatischen Ereignisse hätte ausrichten können, da der gewaltige Schaden ja schon mit dem Überlaufen der Nebenflüsse entstanden sei – bevor die Flut überhaupt die Donau erreicht hatte.

Freilich hätte der Freistaat auch noch mehr in den allgemeinen Hochwasserschutz investieren können – auch wenn die Staatsregierung sich jetzt gegen diesen Vorwurf verwahrte. Söder betonte, man habe seit 2001 4 Milliarden Euro in den Hochwasserschutz gesteckt und werde bis 2030 weitere zwei Milliarden investieren.

Abstand halten

Aber mindestens so wichtig wie Rückhaltebecken oder andere Maßnahmen wie die Renaturierung von Gewässern oder das Stärken von Dämmen ist ausreichend Abstand bebauter Flächen zu den Gewässern. Uwe Brandl (CSU), Präsident des Bayerischen Gemeindetags sowie des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, fordert, dass Kommunen bei der Flächenwidmung eine einfachere Möglichkeit erhalten sollen, Überschwemmungsland auszuweisen. Und Städte und Gemeinden sollten Brandl zufolge hochwassersensibler planen. Außerdem verlangt er, dass Nutznießende von Hochwasserschutzmaßnahmen zu deren Finanzierung mit herangezogen werden. Dies sei laut Artikel 42 des Bayerischen Wassergesetzes bereits heute schon möglich. Zwangsenteignungen von Flächen, die für den Hochwasserschutz benötigt werden, lehnt er allerdings ab. Das Innenministerium wollte Brandls Forderungen leider nicht kommentieren.

Zwangsenteignungen lehnt auch Ulrike Kirchhoff, die Vorsitzende von Haus und Grund Bayern, dem Verband der Haus- und Grundbesitzer*innen, ab. Sie äußert Verständnis für Kommunen, die Grundstücke für den Hochwasserschutz freiräumen wollen. „Dazu bedarf es konstruktiv geführter Gespräche mit den Eigentümern und Angebote, wie sie ihre Immobilie an anderem Ort aufbauen können“, erklärt Kirchhoff der Staatszeitung. Dazu gehöre aber auch eine angemessene Entschädigung.

Grundsätzlich müsse mehr für den Hochwasserschutz getan werden, erklärt Kirchhoff . „Und zwar von allen Beteiligten.“ Aus Sicht von Haus und Grund müssen auch die Kommunen darauf achten, dass gefährdete Gebiete nicht weiter bebaut werden. „Gebaut wird dort, wo Städte und Gemeinden Baugrundstücke ausweisen.“ Die Kommunen könnten Hauseigentümer*innen auch über geeignete Maßnahmen informieren, wie sie ihre Immobilie vor Hochwasser besser schützen können. „Denn viele Eigentümer würden etwas tun, wenn sie entsprechende Informationen hätten“, sagt Kirchhoff.

Elementarschadenversicherung mildert wirtschaftliche folgen ab

Eine Elementarversicherung könnte zumindest die wirtschaftlichen Folgen eines Hochwassers für Betroffene abmildern – und Steuergelder sparen. Während etwa Haus und Grund nur an die Hausbesitzer*innen appelliert, eine solche Versicherung abzuschließen, fordert die Union die Einführung einer Pflicht. SPD und Grüne hegen dafür Sympathien, nur die FDP lehnt eine Pflicht ab.
Naturgemäß ist auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) dagegen: „Eine singuläre Pflichtversicherung löst das Problem nicht. Im Gegenteil: Sie verhindert keinen einzigen Schaden“, erklärt Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen gegenüber unserer Zeitung. Der GDV stellt stattdessen die automatische Umstellung bereits abgeschlossener Gebäudeversicherungen von einem Stichtag an auf Elementarschutz in Aussicht. Dafür brauche es aber eine Gesetzesänderung. Zudem fordert der Verband verbindliche Schutzmaßnahmen wie Bauverbote in gefährdeten Gebieten, eine Pflicht zu überschwemmungsresilienten Baustoffen und eine Klima-Gefährdungsbeurteilung bei Baugenehmigungen sowie einen Naturgefahrenausweis, der die Schadenanfälligkeit von Gebäuden aufzeigt. Auch da ist also der Gesetzgeber gefragt.

Daten des Rückversicherers Munich Re und des Deutschen Wetterdienstes bekräftigen den Ruf nach der Politik. Denn die aktuelle Hochwasserkatastrophe im Freistaat ist auf ein Mittelmeertief zurückzuführen. Diese Wetterlagen, umgangssprachlich Genuatief, in der Fachsprache Vb-Wetterlage genannt, nehmen laut Munich-Re und DWD zu. Die Entstehung solcher Genuatiefs erklärt Munich Re-Chefklimatologe Ernst Rauch: „Es saugt sich mit Wasser über dem Mittelmeer voll und zieht von Oberitalien Richtung Balkanländer. Dann kommt die Besonderheit dieser Vb-Wetterlagen: Die sehr feuchten Wolkenwirbel drehen nach Norden ab, kommen zurück und quetschen gegen die Alpen.“ Das Ausdrücken der Wolken dauere mehrere Tage. Der Unterschied zu Sturzfluten wie bei der Katastrophe im Ahrtal 2021 sei die großräumige Ausdehnung und die Dauer der Regenfälle über mehrere Tage. „Diese Vb-Wetterlagen treten quasi nur in den Frühjahrs- und Sommermonaten auf“, so Rauch.
(Thorsten Stark, Ralph Schweinfurth)

 

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