Politik

Für viele Flüchtlinge ist das Kirchenasyldie letzte Hoffnung. (Foto: dpa/Friso Gentsch)

14.12.2020

Balanceakt zwischen Hilfe und Schuldspruch

Wenn die Abschiebung droht, kann Kirchenasyl die letzte Hoffnung sein. Doch der Unterschlupf bei einer Gemeinde oder im Kloster ist nicht gesetzlich verankert - und die Toleranz dafür schwindet

Wird sie nach Italien abgeschoben, droht ihr die Zwangsprostitution. Die junge Frau aus Eritrea wird dort unweigerlich in die Hände ihrer Schlepper geraten, befürchtet sie. "Das ist sehr verbreitet in Italien - durch mafiöse Strukturen, die ihren Sitz in Nigeria, Eritrea oder sonst wo haben", bestätigt Dieter Müller, Koordinator des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Bayern.

Nach dem Dublin-Verfahren muss die Frau nach Italien zurück und ihr Asylverfahren durchlaufen, weil sie dort die Europäische Union (EU) zum ersten Mal betreten und sich registriert hat. Auch wenn die Polizei sie dort wahrscheinlich nicht vor Zwangsprostitution schützen kann. "Sie kann ja keinen Personenschutz kriegen", meint Müller. "Und dann heißt es: Sie soll sich halt innerhalb Italiens woanders hinbegeben, wo der Schlepper oder der Zuhälter sie nicht findet. Was auch absurd ist."

Ihre letzte Hoffnung ist Kirchenasyl. Eine christliche Tradition "zur Vermeidung von besonderen humanitären Härten", wie es beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) offiziell heißt. Gemeinden versuchen, aus ihrer Sicht besonders verletzliche und schutzbedürftige Migranten vor einer Abschiebung zu schützen. Doch diese Praxis gestaltet sich in Bayern immer schwieriger.

Laut Bamf gingen dieses Jahr bis Ende November 298 Meldungen für Kirchenasyl ein, davon 33 aus Bayern. "Besondere, außergewöhnliche Härte wurde in 5 Fällen anerkannt", teilte eine Sprecherin mit. In diesen fünf Fällen konnten die Geflüchteten das Gelände der Kirche oder des Klosters verlassen, die meisten harren weiter aus.

Sie warten, bis sechs Monate vergangen sind. So lange haben die Ausländerbehörden für eine Überstellung in das laut Gesetz zuständige EU-Land Zeit. Nach Ablauf der Frist haben die Migranten ein Recht auf ein Asylverfahren in Deutschland. Doch immer öfter werde die Frist auf 18 Monate verlängert und es kommt zur Klage, berichtet Müller vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst.

Immer mehr Geistlichen drohen Gerichtsprozesse

Ein Gerichtsprozess droht aber auch zunehmend Pfarrern oder der Leitung eines Klosters - wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt. "2017 hat das in Bayern im großen Umfang begonnen", sagt Müller. Hunderte Verfahren, die am Ende meistens wegen Geringfügigkeit eingestellt wurden.

Immer häufiger werde das Verfahren aber erst gegen eine Geldauflage eingestellt, berichtet Müller. "Es wurde auch schon gezahlt." Er selbst könne sich an "ein halbes Dutzend Mal" in Bayern erinnern. So zahlte beispielsweise ein evangelischer Pfarrer aus Immenstadt (Landkreis Oberallgäu) 3000 Euro. Er stand vor Gericht, weil er einem Afghanen Unterschlupf im Gemeindehaus gewährt hatte.

Doch die Äbtissin Mechthild Thürmer aus Oberfranken will nicht zahlen. Keine 2500 Euro, weil sie eine Eritreerin vor der Überstellung nach Italien bewahrt hat. Und auch sonst nicht. Wegen drei Fälle steht sie ab kommenden Jahr vor Gericht, im schlimmsten Fall rechnet ihr Anwalt mit einem Jahr Gefängnis. "Wenn ich jemand in so einer aussichtslosen Situation helfe, unterstütze, dann kann das keine Straftat sein", betont die Äbtissin bei einer Diskussion der Katholische Stiftungshochschule (KSH) in München.

Medien berichten bundesweit über die Äbtissin, die für Kirchenasyl sogar hinter Gittern gehen würde. Das Telefon stehe kaum mehr still, selbst aus Amerika bekäme sie Briefe. "Das ich dafür bewundert werde, das war überhaupt nicht in meinem Denken", erzählt Mechthild Thürmer. "Meine Mutter hätte genauso gehandelt, wenn da jemand gekommen ist und um Hilfe gebeten hat. Hilfe in der Art und Weise, wie es halt möglich ist - hier bei uns Kirchenasyl."

Tatsächlich ist die Äbtissin nicht die Einzige, der ein solches Verfahren droht. Auch eine Schwester des Klosters Oberzell weigere sich, eine Geldauflage zu zahlen. "Es geht um zwei Dublin-Fälle, im Grunde genau dasselbe wie bei Äbtissin Mechthild Thürmer", berichtet Rachtsanwalt Franz Bethäuser, der beide Frauen vertritt. Der Prozess vor dem Amtsgericht Würzburg soll kommendes Jahr beginnen.

Die Kirchen wollen sich davon nicht abschrecken lassen. "Also der Fall der Äbtissin Mechthild Thürmer ist eher einer, der die Leute erst recht wieder motiviert", schildert Thomas Schmitt, Berater der evangelischen Landeskirche für Kirchenasyl. Ein Motivationsschub, den die Kirchen gerade dringend gebrauchen können. Die katholische Kirche gewährt nach eigenen Angaben aktuell nur in 16 Fällen Kirchenasyl, die evangelische Landeskirche in 17 Fällen. Kritiker wenden ein, damit werde der Geltungsvorrang staatlichen Rechts ausgehöhlt.

Vergangenes Jahr hätten die Kirchen bundesweit noch doppelt so oft Kirchenasyl gewährt. Der Rückgang sei hauptsächlich der Corona-Pandemie geschuldet, vermutet Müller. Viele Beratungsstellen arbeiteten im Homeoffice oder seien gleich geschlossen, manche Kirchengemeinden seien auch unsicher wegen der Ansteckungsgefahr. "Es ist nicht mehr so leicht für Geflüchtete zu erfahren: Wer hilft mir jetzt? Und wie kann mir geholfen werden?"

Äbtissin Mechthild Thürmer sieht ihre Arbeit aber nicht nur als Hilfe für die Geflüchteten. "Die Kanzlerin hat gesagt: Wir schaffen das. Und ich möchte ihr eigentlich nur helfen", erklärt Äbtissin Mechthild Thürmer den Studierenden der KHS. "Ich hab nie daran gedacht: Ich möchte mich gegen den Staat, gegen irgendwelche Gesetze stellen." Inzwischen sei ihr sogar selbst schon Asyl angeboten worden - von Unterstützern aus Amerika.
(Mirjam Uhrich, dpa)

Kommentare (1)

  1. Löwenherzfriedenspreis am 15.12.2020
    Es soll in der öffentlichen Diskussion wie immer Ratio gegen Empathie ausgespielt werden.
    Wir von humanprojects haben Mechthild Thürmer im Sommer getroffen und kennen gelernt.
    Wir können allen, den Unterstützern und auch den geneigten Kritikern versichern, diese wunderbare Frau verfügt über beides.
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